| # taz.de -- Die Zukunft der Ukraine: Mehr Diplomatie oder mehr Waffen? | |
| > Während die BRD Hilfen für die Ukraine verstärkt, stehen Gelder aus den | |
| > USA auf der Kippe. Doch eine Niederlage gefährdet die ganze westliche | |
| > Welt. | |
| Bild: Hoffungsschimmer in der schwer umkämpften Region Charkiw: Ein junger Man… | |
| Da sage mal jemand, der grüne [1][Vizekanzler Robert Habeck] habe bei | |
| seinem Solidaritätsbesuch in Kyjiw am Donnerstag dieser Woche nicht vollen | |
| Körpereinsatz gezeigt. Eine Zugfahrt in die ukrainische Hauptstadt ist | |
| beschwerlich, macht jedoch sinnlich erfahrbar, wie nah uns dieser Krieg | |
| mitten in Europa ist. | |
| Die Ukraine brauche [2][jede Unterstützung] „in ihrem Kampf um Freiheit“, | |
| sagte Habeck. Das klingt zwar floskelhaft, ist aber darum nicht weniger | |
| wahr. Die Äußerungen von Boris Pistorius (SPD) im Magazin Focus dürften | |
| viele Ukrainer*innen ebenfalls aufmerksam registriert haben. | |
| Der Bundesverteidigungsminister hält einen Sieg der Ukraine immer noch für | |
| möglich, allerdings müsse alles dafür getan werden. Und [3][Kanzler Olaf | |
| Scholz]? Er hat nicht nur die Lieferung eines weiteren Patriot-Systems | |
| eingetütet, sondern wirbt jetzt auch bei den anderen Nato-Partnern, es | |
| Berlin gleichzutun. | |
| Es bewegt sich wieder etwas – aber, um es im Politiker*innensprech zu | |
| sagen, den schon niemand mehr hören kann: Wir müssen uns ehrlich machen. Es | |
| pressiert, die Zeit läuft ab. | |
| Militärisch steht der Ukraine, die jeden Tag Tote und Verletzte zu beklagen | |
| hat, das Wasser bis zum Hals. Der Aggressor Russland konnte in der | |
| Ostukraine in den vergangenen Wochen einige Geländegewinne verbuchen. | |
| Systematisch wird kritische Infrastruktur unter Beschuss genommen – aus | |
| Moskauer Sicht erfolgreich. Ein Großteil der Wärmekraftwerke ist zerstört. | |
| ## Dienst in der Armee kein Selbstgänger | |
| Charkiw wird ständig angegriffen. Die Großstadt im Osten, die russische | |
| Truppen 2014 nicht einzunehmen vermochten, unbewohnbar machen – so lautet | |
| offenbar das vom Kreml ausgegebene Kriegsziel. „Menschenmaterial“, das in | |
| der Ukraine verheizt werden kann, hat Wladimir Putin (noch) genug. Ein | |
| Leben in Russland zählt nichts. | |
| Demgegenüber ist die Ukraine in der Defensive. Es mangelt an Munition, | |
| Waffen – vor allem Luftabwehr – sowie Soldat*innen. Nach jetzigem Stand | |
| laufen die ukrainischen Truppen Gefahr, nicht einmal die aktuellen | |
| Frontlinien halten zu können. Um Änderungen des Mobilisierungsgesetzes, das | |
| Präsident Wolodymyr Selenskyj erst vor Kurzem unterzeichnet hat, wurde | |
| lange gerungen. | |
| Es zeigt, dass der Dienst in der Armee kein Selbstgänger ist. Das gilt umso | |
| mehr in einem Land, in dem es, anders als in Russland, eine wache, agile, | |
| jedoch zusehends erschöpfte Zivilgesellschaft gibt. Hinzu kommt eine | |
| wachsende Verunsicherung ob der Verlässlichkeit der westlichen Verbündeten. | |
| Was passiert, wenn das US-Repräsentantenhaus an diesem Wochenende die | |
| avisierten Hilfsgelder in Höhe von 61 Milliarden Dollar nicht freigibt? | |
| Was, wenn sich zugesagte Waffenlieferungen verzögern? Was, wenn die Ukraine | |
| im Falle einer Eskalation des Konflikts im Nahen Osten zu einem | |
| Nebenkriegsschauplatz wird? Schließlich ist die Aufmerksamkeit schon jetzt | |
| ein knappes Gut. As long as it takes? | |
| Leute wie die Politikerin Sahra Wagenknecht haben darauf eine klare | |
| Antwort: Nein. Da der Krieg auf dem Schlachtfeld auf absehbare Zeit nicht | |
| entschieden werden könne, müsse die Stunde der Diplomatie schlagen, um das | |
| Sterben zu beenden. | |
| ## Im Krieg mit dem „kollektiven Westen“ | |
| Abgesehen davon, dass sich vor allem die Ukrainer*innen nichts sehnlicher | |
| wünschen als das, muss diese Forderung für sie wie Hohn klingen. In diesem | |
| Krieg, den Russland vom Zaun gebrochen hat, geht es für die Ukraine um | |
| nichts weniger als ums Sein oder Nichtsein. | |
| Nicht nur das wird wegignoriert. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, | |
| worüber mit Russland verhandelt werden soll. In diesem Punkt lässt Moskaus | |
| Position an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Verhandeln ja, aber nur zu | |
| unseren Bedingungen. Im Klartext bedeutet das: die Menschen, die unter | |
| russischer Besatzung Gewalt, Zwang und Repressionen ausgesetzt sind, | |
| aufzugeben und hinzunehmen, dass sie nicht die letzten sein werden. | |
| Doch mit der Ukraine könnte der Wahnsinn nicht aufhören. Moskau sieht sich | |
| schon längst mit dem „kollektiven Westen“ im Krieg. Der Kreml maßt sich | |
| eine Deutungshoheit an, die das Argument von westlicher Seite, die Nato | |
| müsse jede einzelne Waffenlieferung genau abwägen, um keinesfalls | |
| Kriegspartei zu werden, entkräftet. | |
| ## Fehler aus der Vergangenheit vermeiden | |
| Die politischen Entscheidungsträger in Europa und den USA müssten | |
| entscheiden, ob sie dieses Eskalationsmanagement fortsetzen oder sich auf | |
| einen Sieg der Ukraine festlegen wollten, schreibt der ukrainische | |
| Politikwissenschaftler Mykola Bielieskow in einem Beitrag für die Website | |
| der US-Denkfabrik Atlantic Council. | |
| „Wenn die Ukraine nicht über die nötigen Mittel verfügt, um Russland auf | |
| dem Schlachtfeld zu besiegen, wird Putin einen historischen Sieg erringen, | |
| der das internationale Sicherheitsklima verändern wird. Wenn das passiert, | |
| wird der heutige Akzent der Vermeidung einer Eskalation als der größte | |
| geopolitische Fehler seit der Appeasementpolitik der 1930er Jahre angesehen | |
| werden.“ | |
| Ein Fehler, der noch zu vermeiden wäre, wenn die Menschen denn aus der | |
| Geschichte gelernt hätten. Doch das ist schon öfter schiefgelaufen. Leider. | |
| 19 Apr 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wirtschaftsminister-Habeck-in-Ukraine/!5925695 | |
| [2] /G7-zu-weiteren-Ukraine-Hilfen/!6005267 | |
| [3] /Regierungsbesuch-in-China/!6004439 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Waffenlieferung | |
| Diplomatie | |
| GNS | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Atomkraftwerk | |
| US-Wahl 2024 | |
| Kolumne Fernsicht | |
| Wolodymyr Selenskij | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| US-Wahl 2024 | |
| Entwicklungszusammenarbeit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Russische Invasion in der Ukraine: Schweiz lädt zur Friedenskonferenz | |
| Russland bombardiert erneut zivile Gebäude in der Ukraine. Die Schweiz | |
| setzt auf einen internationalen Friedensprozess – vorerst ohne Russland. | |
| Mit Unterstützung von US-Firmen: Ukraine setzt auf neue AKWs | |
| Mehrere neue Reaktoren – die Ukraine baut ihre Atomwirtschaft aus. | |
| Unterstützung kommt von zwei US-Firmen. Doch es gibt Bedenken. | |
| US-Militärhilfe für die Ukraine: Unberechenbare Machtspiele | |
| Nach Monaten endlich gibt das US-Repräsentantenhaus grünes Licht für | |
| Militärhilfe an die Ukraine. Um Inhalte ging es bei der Abstimmung nicht. | |
| Krieg in der Ukraine: Düstere Stimmung im Osten Europas | |
| Die Abwehr des iranischen Luftangriffs auf Israel weckt Fragen in | |
| Osteuropa. Warum ist eine solche Intervention nicht auch in der Ukraine | |
| möglich? | |
| +++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Journalist getötet | |
| Der Reporter starb bei einem ukrainischen Drohnenangriff im besetzten | |
| Gebiet. Das US-Repräsentantenhaus stimmt über das Hilfspaket für die | |
| Ukraine ab. | |
| G7 zu weiteren Ukraine-Hilfen: Luftabwehr auf Capri | |
| Die G7-Außenminister:innen ringen um Antworten für Nahost und die Ukraine. | |
| Vor allem neue Waffensysteme sollen bald kommen. | |
| Abstimmung über US-Militärhilfe geplant: Hoffnungsschimmer für die Ukraine | |
| Nach monatelanger Blockade durch die Republikaner*innen könnte in | |
| dieser Woche im US-Kongress über neue Militärhilfen entschieden werden. | |
| Zivile Hilfe und Wiederaufbau: Wirtschaftswunder für die Ukraine | |
| Die Bundesregierung will Firmen dazu ermuntern, trotz Krieg in der Ukraine | |
| zu investieren. Der Vorstoß soll nicht nur Symbolik sein. |