| # taz.de -- Demo gegen Coronamaßnahmen: Verschwörer im Anmarsch | |
| > Tausende CoronaskeptikerInnen wollen am Samstag in Berlin auf die Straße | |
| > gehen. Radikalisiert sich die Bewegung? | |
| Bild: CoronaskeptikerInnen campten bis Freitag im Berliner Tiergarten. Dann sol… | |
| Michael Ballweg, der Anführer der Coronaskep-tiker*innen aus dem | |
| Hotspot Stuttgart, zeigt in einem Video sein Gepäck: Rucksack, Megafon, | |
| Regenschirm. Aber auch: Zelt, Schlafsack, Konservendosen, Klopapier und elf | |
| Bücher. „Wir werden sicher auch Zeit haben, ein bisschen zu lesen, wenn wir | |
| 14 Tage in Berlin sind.“ | |
| Dass der Berliner Innensenator Andreas Geisel [1][am Mittwoch, mit großem | |
| Echo, Ballwegs Demo in der Hauptstadt verboten hatte]? Dem 45-jährigen | |
| Softwareentwickler ist das egal. Die Demo werde normal weiterorganisiert, | |
| erklärt Ballweg am Telefon. „Wir sind ganz entspannt.“ Man werde das Verbot | |
| vor Gericht kippen, wenn nötig vor dem Bundesverfassungsgericht. Und selbst | |
| wenn nicht, werde er auf die Straße gehen. Und „selbstverständlich“ auch … | |
| dem ebenfalls verbotenen 14-tägigen Protestcamp festhalten, für das er | |
| seine Sachen gepackt hat. „Wir treten für Freiheit und Selbstbestimmung | |
| ein.“ | |
| Es ist ein ungewisser Samstag, der Berlin bevorsteht. Nicht nur Ballweg, | |
| auch andere Gegner*innen der Coronamaßnahmen mobilisierten zur Großdemo | |
| in die Hauptstadt. Mehr als 22.000 Teilnehmer*innen waren angemeldet. Das | |
| „Fest für Freiheit und Frieden“, organisiert von Ballwegs Initiative | |
| „Querdenken-711“ aus Stuttgart, sollte ein neuer Höhepunkt werden. [2][Die | |
| Berliner Versammlungsbehörde aber stellte sich quer]. Die Begründung: Bei | |
| einem ersten Großaufzug vor vier Wochen hatten die Protestierenden | |
| massenhaft Auflagen ignoriert, hielten keinen Abstand ein und trugen keine | |
| Masken. | |
| Am [3][Freitagnachmittag kippte das Berliner Verwaltungsgericht das | |
| Verbot]: Die Demo dürfe stattfinden, die Veranstalter müssten aber mit | |
| Gittern, Ordnern und Durchsagen für Mindestabstände zwischen den | |
| Teilnehmer*innen sorgen. Endgültig ist der Gerichtsentscheid aber nicht. | |
| Denn die Berliner Polizei akzeptiert ihn nicht. Sie legte am | |
| Freitagnachmittag Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) ein, wie ein | |
| Gerichtssprecher sagte. | |
| Michael Ballweg hatte direkt nach dem Verbot eine Mitteilung verschickt: | |
| „Die Versammlungen in Berlin werden stattfinden.“ Busse wurden weiter | |
| organisiert, teils aus dem Ausland, die Versammlungsbehörde mit neuen | |
| Demo-Anmeldungen geflutet. In einigen Gruppen des sozialen Netzwerkes | |
| Telegram wurde ein „Sturm auf Berlin“ ausgerufen, von Millionen erwarteten | |
| Teilnehmer*innen war die Rede. Auch zu Gewalt wurde dort vereinzelt | |
| aufgerufen: Waffen seien erlaubt, es werde „krachen“. | |
| ## Rechtextreme nutzen den Protest | |
| Die Kompromisslosigkeit markiert eine neue Stufe des Protestsgegen die | |
| Coronamaßnahmen. Und sie bekommt eine gefährliche Dynamik, weil nun auch | |
| die rechtsextreme Szene geballt den Protest nutzt. AfD-Funktionäre wie Tino | |
| Chruppalla, Alice Weidel oder Björn Höcke [4][riefen zu der Demo auf], auch | |
| die NPD, der III. Weg und die Reichsbürger. Der rechtsextreme Publizist | |
| und Herausgeber des Compact-Magazins Jürgen Elsässer, schrieb: „Stürzt die | |
| Freiheitsbewegung die Corona-Diktatur?“. Der Samstag werde „der wichtigste | |
| Tag seit 1945“. | |
| Die Corona-Demo könnte zur größten rechtsextremen Zusammenkunft seit Jahren | |
| in Berlin werden. Innensenator Geisel hatte das Verbot auch damit | |
| begründet, dass man es kein zweites Mal hinnehmen werde, „dass Berlin als | |
| Bühne für Coronaleugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht | |
| wird“. Auch ein „Campingplatz für vermeintliche Querdenker und | |
| Verschwörungsideologen“ werde man „nicht zulassen“. Eine Kampfansage. Ab… | |
| auch Sätze, derentwegen sich der SPD-Mann der Kritik ausgesetzt sah, ein | |
| politisches Demoverbot zu verhängen. | |
| Tatsächlich stieg in den Behörden die Nervosität. Seit 30 Jahren sei er im | |
| Dienst, aber „solch eine Lage habe ich noch nicht erlebt“, sagte am Freitag | |
| der Einsatzleiter der Polizei, Stephan Katte. Komme es zu einem Verbot, | |
| werde man mit insgesamt 3.000 Beamten den Veranstaltungsplatz abriegeln und | |
| anreisende Demobusse stoppen. „Wir sind auf alle Szenarien vorbereitet.“ | |
| Polizeipräsidentin Barbara Slowik forderte die Protestierenden auf, | |
| „vernünftig“ zu bleiben. „Es gibt nichts, was Gewalt legitimiert.“ Ein | |
| Aufruf, den auch Geisel unterstrich: Er appellierte „eindringlich“ an | |
| Anreisende, „die Lage nicht eskalieren zu lassen“. | |
| Bereits im Frühjahr, als sich der Protest gegen die Corona-Einschränkungen | |
| von Berlin bundesweit ausbreitete, hatten sich AfD-Politiker und der | |
| frühere NPD-Chef Udo Voigt eingeschaltet. In Chemnitz, Cottbus und Halle | |
| organisierten Rechtsextreme Coronaskeptikerdemos. | |
| Auch als Ballwegs Truppe [5][Anfang August erstmals in Berlin | |
| demonstrierte], waren unter den rund 20.000 Teilnehmer*innen Neonazis | |
| mit einschlägigen Szenesymbolen, darunter die schwarz-weiß-rote Flaggen der | |
| Reichsbürger – ohne dass sich Mitprotestierende daran störten. Dazu kamen | |
| [6][Anhänger*innen der QAnon-Bewegung], die mit schrägen antisemitischen | |
| Stereotypen operieren: satanistische und jüdische Eliten, zu denen Obama, | |
| Merkel und Bill Gates gehörten, würden weltweit Kinder entführen, um sich | |
| mit deren Blut zu verjüngen. | |
| Michael Ballweg aber will von einer rechtsextremen Unterwanderung des | |
| Protests nichts wissen. Er beharrt darauf, dass in der Bewegung kein Platz | |
| für Rechts- oder Linksextremisten sei. Auch die Gewaltaufrufe seien | |
| daneben. „Wir sind eine friedliche Bewegung.“ Tauchten Rechtsextreme am | |
| Samstag auf, werde man diese ausschließen. | |
| ## Umsturzfantasien wie bei Pegida | |
| Auf der Demo vor vier Wochen war das nicht passiert. Viele der | |
| Demonstrierenden gaben an, keine Nazis gesehen zu haben oder dass es sich | |
| bei denen nur um eine sehr kleine Minderheit handele. Derweil bedienten | |
| Bühnenredner Umsturzfantasien, die man sonst bei Pegida hört: „An die | |
| Mainstream-Medien: Eure Zeit ist vorbei“, drohte etwa der Rechtsesoteriker | |
| Heiko Schrang. Immer wieder wurde „Volksverräter“ oder „Lügenpresse“ | |
| skandiert. | |
| Damit finden die Coronaskeptiker*innen und Rechtsextreme immer mehr zu | |
| einem gefährlichen Grundkonsens: Das „erwachte Volk“, dass sich erhebt | |
| gegen eine „verdorbene Elite“ aus Politik, Mainstream-Medien und Antifa. | |
| Inzwischen hat das auch der Verfassungsschutz im Blick. Der Chef der | |
| Behörde, Thomas Haldenwang, erklärte diese Woche noch, dass Rechtsextreme | |
| zwar intensiver zu den Corona-Protesten mobilisierten, diese aber nicht | |
| prägten. Nun hört man auch andere Töne. | |
| Etwa aus Baden-Württemberg. Das Landesamt führt „Querdenken-711“ zwar nic… | |
| als Beobachtungsobjekt, verweist aber auf Rechtsextreme, die sich dem | |
| Protest anschlössen: „Problematisch sind vor allem die verbreiteten | |
| Verschwörungsmythen, die teilweise mit dem Ziel eines Umsturzes verknüpft | |
| werden.“ Politiker würden „verunglimpft“, der Rechtsstaat werde als | |
| „Diktatur diffamiert“. All dies finde „immensen Anklang“ und stelle „… | |
| zunehmende Gefahr für die Radikalisierung einzelner | |
| Demonstrationsteilnehmer dar“. | |
| ## „Legal, illegal, scheißegal“ | |
| Die Protestierer suchen indes die Zuspitzung – etwa mit ihrem Protestcamp. | |
| „Wir werden Berlin nicht verlassen, bevor wir unser Ziel erreicht haben“, | |
| erklärte Ballweg. Würden 20 Zelte geräumt, brauche es eben 1.000 neue. Als | |
| Vorhut campierten bereits einige Aktivist*innen mit einer Dauerkundgebung | |
| auf einer Wiese in der Nähe des Kanzleramts. Die Polizei wollte das Gelände | |
| am Freitag räumen. | |
| Am Mittwoch hatten sich dort noch gut ein Dutzend Leute aufgehalten. | |
| Pressevertreter*innen ernteten abschätzige Blicke und bekamen von einem | |
| jüngeren Aktivisten mit Guy-Fawkes-Maske über dem Hinterkopf wortlos einen | |
| Zettel: Name, Redaktion und Kontaktdaten sollten Journalist*innen dort | |
| ausfüllen, und sich verpflichten „wahrheitsgemäß, unparteiisch und | |
| vollständig“ zu berichten. | |
| Ein Frührentner aus Thüringen, der sich als „Mike“ vorstellte, hatte hier | |
| seit vergangenen Samstag campiert. Auch bei der Demo Anfang August war er | |
| dabei. Ob er am Samstag trotz Verbot demonstrieren werde? „Früher haben wir | |
| gesagt: legal, illegal, scheißegal.“ Die Regierung werde aber im Vorfeld | |
| alle Autobahnen und Zugstrecken sperren, um die Anfahrt der | |
| Teilnehmer*innen zu verhindern, war er sich sicher. | |
| ## Taucherbrille im Gepäck | |
| Seine Hoffnung: dass es trotzdem ein Teil der „Millionen“ nach Berlin | |
| schafft. „Wenn einige Hunderttausend eine Sitzblockade machen und dann für | |
| eine Woche oder so sitzen bleiben – das wäre schon was.“ Ob er kein Problem | |
| mit den anreisenden Rechtsextremen habe? Er kenne sich da nicht so aus, | |
| aber ja, „ein paar Idioten gibt es immer“. Er selbst sei weder rechts noch | |
| links, sondern „Mitte“. | |
| Die Antwort des Thüringers Mike ist exemplarisch für die | |
| Querdenkenbewegung, die ihre Anziehungskraft auf die extreme Rechte nicht | |
| wahrhaben will. Der rechtsextreme Stratege Götz Kubitschek erklärte für den | |
| Samstag bereits auf seinem Blog, „kaum jemand aus meinem weiteren Umfeld | |
| wird zuhause bleiben“. Nur „in Millionenstärke“ könne man „die Macht … | |
| Wanken bringen“. Kubitschek erhofft sich von den Protestierenden einen | |
| Umsturz wie einst in der Ukraine: „Vielleicht kommen sie einfach so, ohne | |
| Erlaubnis, und bauen sich ihren eigenen Maidan-Platz.“ | |
| Dass es nicht ganz so friedlich werden könnte, scheint auch Demo-Anmelder | |
| Michael Ballweg zu ahnen. Auf seinem Video mit dem Reisegepäck präsentiert | |
| er auch eine Taucherbrille – offenbar mit Blick auf Reizgas der Polizei. | |
| Die könne nicht schaden, sagt Ballweg. „Falls was in der Luft liegt.“ | |
| 28 Aug 2020 | |
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