# taz.de -- Chef der Verbraucherzentrale über Autos: „Prämie würde zum Bum… | |
> Werden VerbraucherInnen mit Boni zum Kauf eines Verbrennerautos animiert, | |
> zahlen sie langfristig drauf, sagt Klaus Müller. | |
Bild: Proteste gegen die Abwrackprämie Anfang Mai in Berlin | |
taz: Herr Müller, am Dienstag berät der Koalitionsausschuss über eine | |
Abwrackprämie. Auch Autos mit Verbrennermotor sollen profitieren. Fürs | |
Klima wäre es zwar schlecht, für Verbraucherinnen und Verbraucher aber | |
prima, oder? | |
Klaus Müller: Nein. Das würde zu einem Bumerang werden. Wenn SUVs und | |
ähnlich große Autos tatsächlich in den Genuss dieser Subvention kommen, | |
bedeutet das: Als Gesellschaft werden wir ein größeres Problem haben, | |
unsere Ziele für eine CO2-Minderung zu erreichen. Aber auch für die | |
Verbraucherinnen und Verbraucher gibt es Nachteile. Denn in den kommenden | |
Jahren wird das CO2-Thema wichtiger werden. Unter anderem dürfte Benzin | |
teurer und die Kfz-Steuer ökologisiert werden. Wer sich jetzt mit | |
staatlichem Geld und Segen ein CO2-unfreundliches Auto gekauft hat, wird | |
sich fragen: Wieso hat es einen Scheck der Kanzlerin für dieses Auto | |
gegeben? | |
Die Käuferinnen und Käufer von Verbrennerautos zahlen also langfristig | |
drauf? | |
Ja, Maßnahmen zur CO2-Minderung sind schon längst beschlossen. Wenn eine | |
Autoprämie für Verbrennungsmotoren entgegen unserer Empfehlung doch kommen | |
sollte, muss sie an Klimaverträglichkeit gekoppelt werden. | |
Und wie? | |
Den höchsten Fördersatz dürfen nur Fahrzeuge erhalten, die maximal 95 Gramm | |
CO2 pro Kilometer ausstoßen. Autos mit mehr als 105 Gramm CO2 pro Kilometer | |
sind in keinem Fall förderfähig. Übrigens müssen Mittel in gleicher Höhe | |
für eine Umstiegsprämie bereitgestellt werden – das wäre ein Zuschuss von | |
250 Euro für den Kauf eines Fahrrads, den Abschluss eines ÖPNV-Abos oder | |
als Carsharing-Guthaben. | |
Werden Klimaschutz und Verbraucherschutz gegeneinander ausgespielt? | |
Es gibt auf jeden Fall die Tendenz dazu. Gerade jetzt in der Coronakrise | |
wird sichtbar, dass kurzfristige und langfristige Interessen miteinander | |
kollidieren. Langfristig sind alle für Klimaschutz. Doch dann heißt es: | |
Aber das Thema ist heute nicht ganz so wichtig wie … Und dann kommt eine | |
lange Serie von anscheinend wichtigeren Themen – die Autoindustrie, die | |
Arbeitsplätze in den fossilen Industrien, die Wettbewerbsfähigkeit. Das | |
sind viele, auch legitime Punkte. Aber: Hier wird eine Abwägung getroffen, | |
bei der der kurzfristige Gewinn und kurzfristige Bequemlichkeit | |
übergewichtet werden. | |
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher sind derzeit empört, dass sie ihr | |
Geld nicht zurückerhalten, das sie beispielsweise für Reisen überwiesen | |
haben. | |
In der Tat war die Frage der Zwangsgutscheine in den vergangenen Wochen | |
unser größtes Thema bei den Beschwerden. Zehntausendfach haben sich | |
Betroffene an unsere Beratungsstellen gewandt. Es war eine Initiative der | |
Bundesregierung, bei Reisen, Flügen oder Veranstaltungen die | |
Vorkassenleistungen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Zwangskredite | |
umzuwandeln. Damit bleiben die Unternehmen zwar liquide, aber sie haben | |
nicht darüber nachgedacht, dass sie damit mittel- und langfristig das | |
Vertrauen der Kundinnen und Kunden zerstören. Mit den Zwangsgutscheinen | |
werden die Kosten und Risiken der Coronakrise auf die Verbraucher | |
abgewälzt. | |
Wie sollte ein Konjunkturpaket aussehen, das sowohl verbraucher- als auch | |
klimafreundlich ist? | |
Die wichtigste Maßnahme, die wir uns in einem Konjunkturpaket wünschen, ist | |
die deutliche Absenkung der Stromsteuer und der EEG-Umlage. Es wäre die | |
sozial gerechteste Form der Entlastung. Gerade Geringverdiener zahlen weit | |
überproportional ihres Einkommens für den hohen Strompreis. Außerdem wäre | |
es ein wichtiges ökologisches Signal. Die Sektorkopplung, also Ökostrom für | |
Mobilität oder für Heizung zu verwenden, würde sich deutlich besser | |
rechnen. Die Senkung der EEG-Umlage und Stromsteuer füllt die Portemonnaies | |
der Verbraucherinnen und Verbraucher und wäre gleichzeitig eine Chance, | |
ökologisch voranzukommen. Sowohl der Umweltsachverständigenrat als auch der | |
Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen schlagen das vor. Es wäre schön, | |
wenn die Bundesregierung sich dafür entscheiden würde, statt eine | |
Abwrackprämie einzuführen. | |
Sind Konsumgutscheine für Verbraucherinnen und Verbraucher eine gute Idee? | |
Das wäre nicht unser Vorschlag. Vor dem Hintergrund des Klimaschutzes wären | |
höchstens Konsumgutscheine sinnvoll, die eine ökologische Lenkungswirkung | |
entfalten. Konsumgutscheine sollten nur für Güter eingesetzt werden, die | |
als energiesparsam, ressourcenschonend, ökologisch und nachhaltig | |
ausgewiesen sind – also zum Beispiel mit dem Blauen Engel ausgezeichnet | |
sind. Das ist das bekannteste Umweltsiegel. | |
Wie sähe eine nachhaltige Verbraucherpolitik aus? | |
Wir brauchen ehrliche Preissignale. Ökologische Nebenwirkungen müssen am | |
Preis zu erkennen sein, zum Beispiel bei Lebensmitteln oder Mobilität. | |
Außerdem: Die Unternehmen stellen gute Produkt- und Prozessinformationen | |
viel zu selten zur Verfügung, weil es dafür keinen Anreiz gibt. Aber die | |
meisten Menschen haben weder Zeit noch Lust, sich über jeden Umweltaspekt | |
des Konsums zu informieren. Deshalb ist die Politik in der Pflicht, für | |
gute Informationen zu sorgen. Außerdem müssen bestimmte Infrastrukturen zur | |
Verfügung gestellt werden. Wir werden zum Beispiel sehen, dass einer der | |
Krisenverlierer der Coronapandemie der öffentliche Nahverkehr sein wird. | |
Viele Menschen meiden Bus und Bahn aus Angst vor Ansteckung. Wenn alle | |
einen Meter Abstand halten, ist der Bus sehr leer. Wir müssen kreativ | |
werden und uns fragen, ob der klassische Fahrplan mit 10- oder | |
20-Minuten-Takt noch zeitgemäß ist oder ob wir flexible Formen brauchen. | |
Ein Beispiel sind Angebote on demand, also auf Bestellung, wie es sie etwa | |
in Berlin mit dem Berlkönig und CleverShuttle gibt. | |
Ehrliche Preissignale – wollen Verbraucherinnen und Verbraucher das? | |
Es gibt nicht den Verbraucher oder die Verbraucherin, sondern sehr | |
unterschiedliche Interessen. Wir unterscheiden zwischen drei Gruppen: Es | |
gibt die verantwortungsbewussten Verbraucherinnen und Verbraucher, die an | |
Nachhaltigkeit interessiert sind und sich informieren. Dann gibt es die | |
verletzlichen Verbraucher, die mit jedem Euro und Cent rechnen müssen und | |
die sich teurere Angebote wie Ökostrom nicht leisten können. Und es gibt | |
die vertrauenden Verbraucherinnen und Verbraucher, die etwas „bequem“ sind, | |
für die das Thema Nachhaltigkeit fern ihrer Lebenswirklichkeit ist. Für | |
diese Gruppe muss es vor allem niedrigschwellig sein. Sie wird ökologisch | |
handeln, wenn man es ihr deutlich einfacher macht. | |
Was heißt das konkret? | |
Es wird nicht die eine Lösung für alles geben. Wir müssen mit einfachen | |
Dingen beginnen. Das sind vor allem gute Verbraucherinformationen. Ehrliche | |
Preise sind schon ein wenig komplizierter und ökologische Infrastruktur – | |
ja, da wissen wir, dass wir einen langen Atem brauchen. | |
Kritikerinnnen und Kritiker monieren, dass der Verbraucherschutz die | |
Ökologie reichlich spät entdeckt hat und sich lange auf ökonomische Aspekte | |
konzentriert hat. | |
Man kann seit den 1970er und 80er Jahren viele Beispiele finden, wo der | |
Verbraucherschutz Nachhaltigkeitskriterien einbezogen hat. Zum Beispiel | |
geht der Blaue Engel auch auf den Verbraucherschutz zurück. Aber ich würde | |
selbstkritisch sagen, dass auch der Verbraucherschutz im Spagat zwischen | |
mehreren Zielen steht: Sicherheitsaspekte wie sichere Lebensmittel, sichere | |
Energieversorgung und Bezahlbarkeit sind ganz starke Motive. Diese | |
Bedürfnisse beschäftigen die Verbraucherinnen und Verbraucher besonders | |
stark und stehen häufig zuerst auf ihrer persönlichen Agenda. Ökologie und | |
Klimaschutz sind als Themenfelder dazugekommen und werden zunehmend | |
wichtiger. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Verbraucherzentralen | |
mit der Energieberatung einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz geleistet. | |
Und übrigens: Nachhaltigkeit steht von Anfang an in der Satzung des | |
Verbandes. Da müssen wir nicht in Schutt und Asche gehen. | |
Sie werden als Umwelt- und Verbraucherminister in einer Koalition mit | |
Beteiligung der Grünen gehandelt. Wäre das was? | |
Ich habe einen traumhaften Job als Verbraucherschützer. Ich finde den | |
grandios. Und ich wünsche mir in der nächsten Bundesregierung eine | |
Verbraucherschutzministerin oder einen -minister, die oder der die | |
Bezahlbarkeit von Produkten und Dienstleistungen mit Nachhaltigkeit und | |
Sicherheit kombiniert. Diese Ministerin oder diesen Minister unterstütze | |
und fordere ich gerne bei der Arbeit. | |
Aber Sie könnten doch als Minister vieles von dem umsetzten, was Sie | |
fordern. | |
Das stimmt. Aber ich durfte ja schon mal Minister sein, in | |
Schleswig-Holstein. Das war eine klasse Erfahrung. Die Freiheitsgrade, die | |
ich aber in meinem jetzigen Job habe, sind so traumhaft schön, mich zieht | |
da gar nichts weg. | |
2 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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