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# taz.de -- Streit um die Abwrackprämie: Der Lobbyist in den eigenen Reihen
> Soll es Kaufprämien auch für Autos mit Verbrennungsmotor geben? Die
> Grünen sind strikt dagegen – außer Ministerpräsident Kretschmann.
Bild: Winfried Kretschmann ist dem Auto an sich näher als andere Grüne
BERLIN/KARLSRUHE taz | Toni Hofreiter wählte am Mittwoch in Berlin große
Worte: „Wenn wir jetzt nicht handeln, riskieren wir den permanenten
Ausnahmezustand für künftige Generationen.“ Der Chef der Grünen im
Bundestag will die Krise mit viel Geld und noch mehr Klimaschutz
überwinden. Mit 100 Milliarden Euro sofort und 500 Milliarden in den
nächsten Jahren soll der Öko-Umbau der Wirtschaft bewerkstelligt werden.
Die Grünen wollen mehr Windenergie und weniger Flüge, staatliche
Subventionen für E-Autos und den öffentlichen Nahverkehr. Bei der Frage,
wer das bezahlt, bleibt die Fraktionsspitze [1][in ihrem 49-seitigen
„Zukunftspakt“ (Link zu pdf-Datei)] allerdings etwas wolkig.
Die Verwandlung der alten Industrien in eine ökologisch verträgliche
Wirtschaft ist das Herzstück des grünen Selbstverständnisses. Es ist die
Schnittstelle zwischen dem Gestern, als man noch alternativ war, und dem
Morgen als mittige Regierungspartei. Ein Weg zwischen pragmatischem
Anpacken und dem Selbstverständnis als Partei mit einem besonderen
moralischen Auftrag. Dabei spielt die deutsche Autoindustrie eine
Schlüsselrolle. Früher war sie der Lieblingsgegner der Grünen, das ist sie
heute nicht mehr – zumindest nicht für alle.
Am Dienstag wollte die schwarz-rote Koalition beim Autogipfel entscheiden,
[2][wie der Branche unter die Arme gegriffen wird]. Der ist jetzt erst mal
abgesagt. Innerhalb der Groko gibt es noch Abstimmungsbedarf. Vor allem in
Reihen der Union gibt es Vorbehalte, Kaufprämien für Autos auszuloben.
Fraktionschef Ralph Brinkhaus hält es für nicht plausibel, warum es dann
nicht auch eine Abwrackprämie „für Waschmaschinen geben soll“.
Aber auch in der SPD hält sich die Begeisterung in Grenzen. Am Dienstag gab
es in der Fraktion eine kontroverse Debatte. Generalsekretär Lars
Klingbeil, als Niedersachse eigentlich VW-nah, zeigt sich eher skeptisch.
Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion,
sagt, es werde mit der SPD „keine reine Abwrackprämie geben“. Man will
lieber mehr Geld für Ladestationen und Zuschüsse für
Brennstoffzellenproduktion. Schneider ärgert, „wie dreist die Autolobby“ �…
also die Chefs von VW, Mercedes, BMW und Verbandschefin Hildegard Müller –
beim vergangenen Gipfel Anfang Mai ihre Forderungen präsentierte.
Doch vom Tisch ist die Abwrackprämie nicht. Druck auf die widerwilligen
Fraktionen von Union und SPD machen die Ministerpräsidenten der Autoländer
Bayern und Niedersachsen, Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD).
## Kurzarbeitergeld und satte Dividenden
2009 sollte eine 5 Milliarden Euro teure Abwrackprämie den Autokauf in
Schwung bringen. Das tat sie auch. 2009 wurden in Deutschland 3,8 Millionen
neue Autos gekauft – so viele wie noch nie. Allerdings brach die Nachfrage
2010 ebenso rasant ein. Die Leute kauften also Autos, die sie sowieso
gekauft hätten, nur ein paar Monate früher und mit 2.500 Euro Unterstützung
vom Staat. Die Grünen bekämpften die von der SPD entwickelte Abwrackprämie
damals als „Unsinn des 21. Jahrhunderts“.
Die Einschätzungen, ob die Abwrackprämie wirtschaftspolitisch ein Flop war,
gehen auseinander. Befürworter glauben, dass schon der ein halbes Jahr
vorgezogene Kauf von Neuwagen Arbeitsplätze in der Branche rettete.
Doch 2020 ist die Lage anders. Am härtesten sind nicht die Fabriken
betroffen, sondern Dienstleister, von der Kneipenwirtin bis zum
Eventmanager. Und die Autokonzerne haben mehr Geld auf der hohen Kante als
in der Finanzkrise: Volkswagen rund 25 Milliarden, Daimler gut 18
Milliarden, BMW mindestens 12 Milliarden Euro. Die Abwrackprämie könnte als
unsoziales Geschenk wirken. Derzeit werden Jobs bei BMW und Mercedes mit
Kurzarbeitergeld erhalten, aber die Konzerne schütten ungerührt Milliarden
an die Aktionäre aus.
Stefan Gelbhaar, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Verkehrsexperte,
warnt davor, „den Fehler von 2009 wiederholen.“ Die Abwrackprämie habe
„sogar geschadet, weil sie den Druck zur Innovation völlig rausgenommen
hat“. Auch in dem „Zukunftspakt“ steht, dass mit Staatsgeld Diesel oder
Benziner zu fördern ein Holzweg ist – gerade weil BMW, Mercedes und VW den
Trend zum E-Auto sträflich lang ignorierten. Anstatt alte Technologien zu
unterstützen, so Gelbhaar, müsse der Staat dem öffentlichen Nahverkehr
helfen. Denn während die Autokonzerne dichtmachten, war der „trotz weniger
Fahrgäste und einbrechender Einnahmen weiter in Betrieb“.
Kurzum: Die Grünen wollen Geld für Fahrräder, ÖPNV und E-Autos. Also alles
im grünen Bereich?
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg und
machtpolitisch der einflussreichste Grüne, hat zusammen mit den
Ministerpräsidenten Weil und Söder Anfang Mai einen Forderungskatalog
vorgelegt, der spiegelt, was die Chefetagen der Autokonzerne wollen. Wer
ein E-Auto und Hybrid kauft, soll vom Staat 4.000 Euro bekommen, beim Kauf
von modernen, emissionsärmeren Benzin- und Dieselfahrzeugen soll es 3.000
Euro geben. Nach diesen Kritierien würde auch der Kauf der teuren
Mercedes-E-Klasse und von kleineren SUVs gefördert.
Kretschmann hält das „für ökologisch gut vertretbar“. Denn, so das
Argument, wenn ältere Autos durch neue emissionsärmere ersetzt werden,
nutze das dem Klima. Außerdem wolle man ja E-Autos deutlich stärker
fördern. Er betont aber auch: Kurzfristig bringt noch mehr zusätzliches
Geld für E-Autos nicht viel. Es fehlen nicht nur Ladestationen, sondern
auch Fabriken für Batteriezellen. Kretschmann hat sich jüngst einen VW E-UP
bestellt. Der werde eben erst im Herbst geliefert, so der
Ministerpräsident. E-Autos haben nur einen Marktanteil von knapp 4 Prozent
– laut Kretschmann zu wenig, um „eine Branche, die in die Knie gegangen
ist, wieder nach oben ziehen“. Im April wurden 61 Prozent weniger Autos
verkauft. Daher müsse man eben auch den Verkauf von Benzinern und Diesel
fördern. „Ökologischer Purismus“ helfe nicht weiter, sagt Kretschmann.
Die Bundesgrünen suchen angesichts des Überholmanövers des Schwaben und der
Abweichung von der grünen Linie nach einer Sprachregelung, die Kretschmann
nicht verärgert – aber auch das volltönende Öko-Umbauprogramm nicht als
bloß folgenlose Oppositionsprosa erscheinen lässt. Kein einfaches
Unterfangen. Stefan Gelbhaar, in der Bundestagsfraktion Sprecher für
Fahrradpolitik, sagt zu Kretschmanns Pro-Auto-Kurs: „Unsere Debattenkultur
braucht unterschiedliche Ansatzpunkte, trotzdem ist das so nicht
hilfreich.“ Das ist zartfühlend formuliert. Kretschmann ist in der Frage,
wie der Staat in der Krise mit den Konzernen umgehen soll, von der grünen
Parteilinie ungefähr so weit entfernt, wie es Sahra Wagenknecht in der
Flüchtlingsfrage von der Linie der Linkspartei war.
## Ein alter Konflikt
In Baden-Württemberg will in der Fraktion und dem Landesvorstand niemand
sich mit Einwänden zitieren lassen. Bei der Basis sind immerhin skeptische
Stimmen zu hören. In einem Brief kritisiert der Kreisverband Stuttgart,
dass jetzt der „Automobilindustrie unter die Arme gegriffen werden soll“.
Der Kreisvorsitzende Mark Breitenbücher hat Verständnis für das Dilemma des
Ministerpräsidenten, bemängelt aber, dass mit der Kaufprämie alte
Technologien gefördert werden. „Das ist keine gute Nachricht für den
Wirtschaftsstandort Deutschland.“
Die IG Metall in Stuttgart hingegen ist durchaus für die Abwrackprämie – um
Jobs zu retten. Die Gewerkschafter wollen aber, dass bei staatlicher Hilfe
„Dividendenausschüttungen reduziert werden oder gänzlich entfallen“.
Kretschmann hält das für falsch.
Der Konflikt zwischen der grünen Partei und Kretschmann in Sachen Umbau der
Autoindustrie ist schon älter. Als Toni Hofreiter vorschlug, dass ab 2030
in Deutschland nur noch E-Autos zugelassen werden, fand Kretschmann, der
seiner Partei mitunter in Hassliebe verbunden ist, das wenig überzeugend.
2016 machte Kretschmann in einem viel beachteten Spot Wahlwerbung mit einer
dunklen Daimler-Limousine. Die Grünen bekamen bis vor Kurzem 40.000 Euro
Spenden vom Daimler-Konzern, der allerdings seit 2019 an keine Partei mehr
Geld gibt.
Georg Kurz, Bundesvorsitzender der radikalökologischen Grünen Jugend,
stellt ziemlich konsterniert fest: „Ich kenne niemanden bei den Grünen, der
Kretschmanns Position bei der Abwrackprämie teilt. Auch in
Baden-Württemberg nicht.“ Es trage, so Kurz diplomatisch, „nicht zur
Glaubwürdigkeit eines grünen Ministerpräsidenten bei, klimaschädliche
Technologien zu fördern“.
Auch Fraktionschef Toni Hofreiter will den Ball gern flach halten und
erinnert an vergangene Taten. „Winfried Kretschmann kommt in diesem Fall zu
seiner Abwägung, ich zu einer anderen. Aber man kann ihm da keine
Glaubwürdigkeit absprechen. Ich kann mich genau erinnern, wie entschlossen
Winfried mit uns gegen die Bundesregierung einen höheren CO2-Preis
durchgesetzt hat – ohne Winfrieds Druck hätte das nicht geklappt.“
An der Seite von Söder und der Autolobby glaubwürdig für grüne Ziele? Diese
Art von Dialektik ist gewöhnungsbedürftig. Es bleibt der Eindruck, dass die
Bundesgrünen schwungvoll die ökologische Verwandlung der Autobranche
fordern, aber bei einem Ministerpräsidenten mit grünem Parteibuch beide
Augen zukneifen.
31 May 2020
## LINKS
[1] https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_a…
[2] /Subventionen-fuer-die-Automobilindustrie/!5684798
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Benno Stieber
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