| # taz.de -- Subventionen für die Automobilindustrie: Staatliche Beatmungshilfe | |
| > Mit Milliardenbeträgen sollen die Autobauer wieder fit gemacht werden. | |
| > Dabei zahlt der Steuerzahler jetzt schon für das Autofahren viel Geld. | |
| Berlin taz | Die Ministerpräsidenten hielten sich nicht mit Kleingeld auf. | |
| Als die „Autoländer“ Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg vor dem | |
| „[1][Autogipfel“ am 5. Mai im Kanzleramt] eine „Innovationsprämie“ fü… | |
| Kauf neuer Autos forderten, wünschten sie sich viel staatliche Hilfe. 4.000 | |
| Euro Prämie zusätzlich für ein E-Auto oder einen Plug-in-Hybridwagen, 3.000 | |
| Euro für einen neuen Benziner oder Diesel. Plus noch einmal 1.000 Euro, | |
| wenn ein altes Auto verschrottet wird. | |
| Nun verhandelt die Regierung mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) | |
| bis Anfang Juni über ein „Konzeptpapier“ zu Konjunkturhilfen. Klar ist nur: | |
| Die deutsche Autoindustrie wieder auf die Straße zu bringen wird teuer für | |
| den Staat. 2019 wurden in Deutschland 3,6 Millionen Pkws neu zugelassen. | |
| Käme die „Innovationsprämie“ der Ministerpräsidenten in diesem Umfang, | |
| wären das mehr als zehn Milliarden Euro im Jahr. | |
| Viel Geld – aber eine überschaubare Summe, wenn man sie damit vergleicht, | |
| wie viel die deutschen SteuerzahlerInnen regelmäßig und ohne große Debatte | |
| aufwenden, um das System Auto am Laufen zu halten. Jedes Jahr fließen | |
| Dutzende von Milliarden an Subventionen in den Individualverkehr – darunter | |
| direkte Zahlungen, indirekte Hilfen, Verzicht auf Einnahmen und Bußgelder, | |
| Investitionen in die Infrastruktur. | |
| Rechnet man alle Kosten und Einnahmen gegeneinander auf, bleibt ein | |
| riesiger Minusbetrag über. „Jedes Jahr pumpen wir unter dem Strich etwa 30 | |
| Milliarden Euro in dieses System“, sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie vom | |
| Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). „Obwohl alle wissen, dass der | |
| motorisierte individuelle Verkehr so in der Zukunft nicht weitergehen | |
| kann.“ | |
| Die „externen Autokosten in der EU-27“ bezifferte eine Studie der TU | |
| Dresden schon 2012 im Auftrag der Grünen im EU-Parlament. Ergebnis: Europa | |
| steckt jedes Jahr 373 Milliarden Euro – drei Prozent des | |
| Wirtschaftsprodukts – in den Autoverkehr. In Deutschland waren das 88 | |
| Milliarden Euro. Darunter zählten die Wissenschaftler aus Dresden in ihrer | |
| Überblicksstudie die Kosten aus Unfällen, Luftverschmutzung, Klimaschäden, | |
| Lärm oder der Nutzung von Flächen. Nicht enthalten waren Straßenbau oder | |
| Staukosten, auch Stickoxid-Belastung spielte noch keine Rolle. Aber auch | |
| damals war schon klar: Jeder Europäer „externalisiert Autokosten von 750 | |
| Euro pro Jahr an andere Personen, Länder und Generationen“. | |
| ## Autos schädigen die Umwelt | |
| Für Deutschland sind die direkten Hilfen für die Autokratie gut belegt. Das | |
| Umweltbundesamt (UBA) führt regelmäßig Buch über „umweltschädliche | |
| Subventionen“. Darin finden sich mit Stand von 2019 die Vergünstigung für | |
| Diesel (7,5 Milliarden weniger Steuereinnahmen), die Entfernungspauschale | |
| (5,1 Milliarden), die Steuervorteile für Dienstwagen (3,1 Milliarden) und | |
| die Förderung von Biokraftstoffen (eine Milliarde). Die Bilanz des UBA: | |
| Allein der Bund gibt für die Umweltzerstörung durch das automobile System | |
| pro Jahr 16,7 Milliarden Euro aus. | |
| Dazu kommen die Zahlungen für Bau und Unterhalt der Straßen. Im | |
| Bundeshaushalt 2020 hat der Verkehrsminister mehr als 9 Milliarden Euro | |
| dafür eingeplant. Aus den Ländern kommen weitere Gelder, allein das | |
| grün-schwarz regierte Baden-Württemberg gibt im laufende Jahr 1 Milliarde | |
| für die Auto-Verkehrswege aus. | |
| Umwelt- und Klimaschäden aus dem Verkehr, etwa aus der Verbrennung von | |
| Ölprodukten, dem Lärm oder dem Abrieb der Reifen, werden durch Steuern und | |
| Abgaben nur teilweise ausgeglichen. So sieht etwa das (von den Grünen über | |
| den Bundesrat noch verbesserte) Klimaschutzgesetz einen CO2-Preis im | |
| Emissionshandel auch für den Verkehr vor. Er beginnt ab 2021 bei 25 Euro. | |
| Die Schäden durch eine Tonne CO2 beziffert das UBA allerdings auf gut das | |
| Siebenfache: 180 Euro. Selbst mit dem Emissionshandel bleiben also in jedem | |
| Jahr Umweltschäden in Höhe von über 15 Milliarden Euro, die nicht vom | |
| Autoverkehr, sondern von der Allgemeinheit getragen werden müssen. | |
| Die Autolobby dagegen verweist darauf, sie zahle bereits. „Kaufprämien | |
| würden sich nach kurzer Zeit rechnen und durch sich selbst finanzieren“, | |
| verspricht VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Das entlaste den Staat durch | |
| weniger Kurzarbeit und helfe besonders auch dem Mittelstand. Die | |
| Unternehmen der Branche hätten im letzten Jahr 93 Milliarden Euro an | |
| Steuern gezahlt, sagt Müller. Das seien allerdings normale Gewinn- und | |
| Umsatzsteuern, die auch andere Branchen entrichten, entgegnen Kritiker. | |
| Der ADAC kann auf taz-Anfrage „keine finanzielle Lücke zwischen den | |
| staatlichen Ausgaben und Einnahmen aus dem Straßenverkehr“ erkennen. „Über | |
| Energiesteuer, Kfz-Steuer und Lkw-Maut nimmt der Staat wesentlich höhere | |
| Einnahmen ein, als er für den Bau und Unterhalt der Straßen ausgibt“, | |
| erklärt der Autoclub. „Somit trägt der Straßenverkehr wesentlich zur | |
| Finanzierung öffentlicher Aufgaben für die Allgemeinheit bei.“ Zu den | |
| „sogenannten externen Kosten“ bei Verkehrssicherheit und Umwelt gebe es | |
| „sehr unterschiedliche Bewertungsansätze“. | |
| ## Ein Paradies für Falschparker | |
| In der Tat. Denn der Staat gibt nicht nur viel Geld für das Auto-System, er | |
| verzichtet auch auf Einnahmen, Bußen und Strafen, um dem motorisierten | |
| Verkehr nicht im Weg zu stehen. So ist Deutschland im internationalen | |
| Vergleich ein Paradies für (Falsch-)Parker: Während wiederholtes | |
| Schwarzfahren in Bahn und Bus zu einer Straftat wird, bleibt auch häufiges | |
| Falschparken, das in unübersichtlichen Situationen Menschen gefährden kann, | |
| immer nur eine Ordnungswidrigkeit. Eine Stunde das Auto in der Innenstadt | |
| abzustellen kostet in Berlin im Schnitt 3 Euro – in London 5,70, in | |
| Amsterdam 7,50 Euro. | |
| „Parkgebühren orientieren sich in Deutschland nicht an den tatsächlich | |
| anfallenden Kosten“, kritisiert der „Sachverständigenrat für Umweltfragen… | |
| der Bundesregierung in seinem aktuellen Gutachten die Subvention des Autos. | |
| Um Lärm und Schadstoffe zu verringern, solle der Verkehr in Städten | |
| reduziert werden. Möglich sei das durch ein Mautsystem für Straßen und | |
| Städte und weniger Parkplätze mit höheren Gebühren. | |
| Die Bewohnerparkausweise sind in Deutschland mit maximal 30,70 Euro | |
| unschlagbar günstig, zeigt auch die Broschüre „Umparken“ des Thinktanks | |
| Agora Verkehrswende – in Stockholm kostet das Recht, sein Auto ein Jahr | |
| lang vor der Tür abzustellen, dagegen 827 Euro. Auch bei der Nutzung des | |
| öffentlichen Straßenlandes kommen Automobilisten billig weg, zeigen die | |
| Daten: 8 Cent pro Tag für Anwohnerplätze; die gleiche Fläche für einen | |
| Stand auf dem Wochenmarkt kostet 18 Euro am Tag. | |
| Sehr großzügig war Vater Staat auch gegenüber der Autoindustrie im größten | |
| deutschen Industrieskandal der letzten Jahrzehnte, dem Dieselbetrug. Statt | |
| saftige Strafen zu verhängen, hielten sich die Behörden zurück. 2019 zahlte | |
| VW nach Beschluss der Staatsanwaltschaft Braunschweig 1 Milliarde Euro an | |
| das Land Niedersachsen (das 20 Prozent der Aktien von VW besitzt). Davon | |
| waren allerdings nur 5 Millionen Bußgeld und 995 Millionen „Abschöpfung von | |
| unrechtmäßigen Gewinnen“. | |
| ## Gewinne von fast 30 Milliarden Euro | |
| Dabei hätten die Behörden nach Meinung der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die | |
| durch ihre Recherchen geholfen hatte, den Dieselskandal aufzudecken, bis zu | |
| 5.000 Euro pro manipuliertem Fahrzeug bei BMW, Daimler und VW verhängen | |
| können. „Allein bei den 2,6 Millionen VW-Autos mit erwiesener Manipulation | |
| hätte das für VW 13 Milliarden Buße bedeutet“, sagt DUH-Geschäftsführer | |
| Jürgen Resch. „Das klingt viel, aber die deutschen Autobauer haben 2019 | |
| fast 30 Milliarden Euro Gewinne gemacht.“ | |
| Von der EU-Kommission gab es für die Nachsichtigkeit mit der Autoindustrie | |
| sogar einen offiziellen Rüffel. Zusammen mit Italien, Großbritannien und | |
| Luxemburg wurde Deutschland 2018 kritisiert, weil „wirksame, | |
| verhältnismäßige und abschreckende Sanktionssysteme“ fehlten, um Hersteller | |
| vom Verstoß gegen Gesetze abzuhalten. In wenigen Wochen wird der | |
| Europäische Gerichtshof wohl erklären, dass die im Dieselskandal | |
| umstrittenen „Abschalteinrichtungen“ für die Motorenreinigung unrechtmäß… | |
| waren. Dann müssten Regierung und Kraftfahrtbundesamt erklären, warum sie | |
| bisher auf Bußgelder in Milliardenhöhe verzichtet haben. | |
| Für Mobilitätsforscher Andreas Knie jedenfalls ist die Rechnung klar und | |
| für die Öffentlichkeit negativ: „Wir zahlen 90 Milliarden in das System | |
| ein, über Steuern und Abgaben kommen aber nur 60 Milliarden zurück.“ Die | |
| Geschichte vom Autofahrer als „Melkkuh der Nation“ stimme nicht, das System | |
| finanziere sich über Steuern und Abgaben auch nicht selbst. Und für | |
| „systemrelevant“ hält er die Autobranche trotz ihrer über 800.000 Jobs bei | |
| Herstellern und Zulieferern auch nicht mehr. | |
| ## Tempolimit als Verkaufshilfe | |
| Was sie für die Zukunft anbiete, lasse sich auf dem Weltmarkt billiger | |
| einkaufen: digitale gelenkte Mobilität mit E-Mobilen. Auch die gut | |
| bezahlten, gewerkschaftlich unterstützten Jobs bei den Autobauern seien | |
| bedroht, wenn diese sich nicht umstellten: „Jedes Jahr verlieren wir fünf | |
| bis zehn Prozent dieser Jobs, sie folgen den Märkten ins Ausland“, so Knie. | |
| Auf diesen ausländischen Märkten wirkt die vielleicht wichtigste indirekte | |
| Verkaufshilfe für die deutsche Autoindustrie: [2][das Fehlen eines | |
| generellen Tempolimits auf Autobahnen.] Das schreibt zum Beispiel Christian | |
| Malorny, „Weltautochef“ der Unternehmensberatung Kearney, im manager | |
| magazin: Die Käufer im „Premium“-Segment, also der schweren, schnellen und | |
| teuren Karossen von Audi, Porsche, BMW und Daimler lobten nach Umfragedaten | |
| seiner Firma, ein Land, in dem man so schnell fahren könne, wie man will, | |
| und das relativ wenige Unfälle habe, müsse die besten Autos der Welt bauen: | |
| „Den Zusammenhang zwischen ‚kein Tempolimit‘, der Autobahn, | |
| Premiummodellen, Profitabilität und Wohlstand muss man Politikern, die | |
| überall eine Höchstgeschwindigkeit einführen wollen, wohl noch erklären.“ | |
| Anders als viele andere Subventionen für die deutsche Autokultur kostet die | |
| Maßnahme „kein Tempolimit“ auch kein Geld. Nur Menschenleben. | |
| 24 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Abwrackpraemie-fuer-Autos/!5679973 | |
| [2] /Mobilitaetsforscher-ueber-Tempolimit/!5656151 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
| ## TAGS | |
| Subventionen | |
| Umweltschäden | |
| Autoindustrie | |
| Maut-Gebühr | |
| Abwrackprämie | |
| Pkw-Maut | |
| Dieselskandal | |
| Green Deal | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Lars Klingbeil | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Streit um die Abwrackprämie: Der Lobbyist in den eigenen Reihen | |
| Soll es Kaufprämien auch für Autos mit Verbrennungsmotor geben? Die Grünen | |
| sind strikt dagegen – außer Ministerpräsident Kretschmann. | |
| Untersuchungsausschuss zum Mautdesaster: Seehofer verteidigt Maut-Projekt | |
| Der Ex-CSU-Chef findet, dass er bei der gescheiterten Straßenabgabe alles | |
| richtig gemacht hat. Er nimmt Verkehrsminister Scheuer in Schutz. | |
| BGH-Urteil zu Dieselauto: VW verdient kein Vertrauen | |
| Ein Rentner klagte gegen VW, das oberste Zivilgericht gab ihm nun recht. | |
| Ihm ist dafür zu danken, dass er sich nicht zu einem Vergleich überreden | |
| ließ. | |
| Wirtschaftshilfen nach Corona: Grün klotzen, nicht kleckern | |
| Das Umweltbundesamt und die KfW fordern grüne Konjunkturprogramme: Das Geld | |
| soll nur nach Öko-TÜV verteilt werden. | |
| Höhere EU-Klimaziele: Berlin und Paris für Brüssel | |
| Deutschland und Frankreich unterstützen die schärferen Klimaziele der EU | |
| und den „Green Deal“. Die Union denkt darüber anders. | |
| Lars Klingbeil über Coronahilfen: „Jetzt massiv investieren“ | |
| BMW will Dividenden ausschütten trotz Kurzarbeit. SPD-Generalsekretär | |
| Klingbeil hält das für „unmoralisch“ – und eine Abwrackprämie für | |
| unbrauchbar. |