# taz.de -- Lars Klingbeil über Coronahilfen: „Jetzt massiv investieren“ | |
> BMW will Dividenden ausschütten trotz Kurzarbeit. SPD-Generalsekretär | |
> Klingbeil hält das für „unmoralisch“ – und eine Abwrackprämie für | |
> unbrauchbar. | |
Bild: BMW-Werk in Dingolfing: Viele sind hier in Kurzarbeit – Dividende für … | |
taz: Herr Klingbeil, neoliberale Gesellschaften [1][wie die USA] werden | |
schlechter mit der [2][Coronakrise] fertig. Was heißt das für die Zukunft? | |
Lars Klingbeil: Erst mal heißt das, dass wir viel positiver auf das gucken, | |
was wir haben: Wir haben einen Sozialstaat, ein Gesundheitssystem und eine | |
öffentliche Verwaltung, die funktionieren und die Menschen auffangen. Und | |
viele haben gerade jetzt in der Krise gemerkt, wie wichtig das ist. Das | |
Lied vom Staatsabbau, das auch in Deutschland die letzten Jahre sehr laut | |
gesungen wurde, wird dadurch auch verstummen. | |
Ist der Neoliberalismus tot? | |
Er gerät zumindest unter massiven Druck. Wenn es nach mir ginge, könnten | |
wir das Kapitel beenden. | |
Befördert die Coronakrise einen eingreifenden Staat? | |
Diese Krise steht für eine Zeitenwende. Und es ist jetzt die Zeit für einen | |
starken, handlungsfähigen Staat, der die Menschen in schwierigen Zeiten | |
schützt. Das passiert ja gerade. Die Menschen müssen nicht die Ellenbogen | |
rausfahren. Der Staat kümmert sich, wir retten Arbeitsplätze und | |
Unternehmen. | |
Soll der Staat retten, was es gab? Oder die Lage nutzen, um ökologisch und | |
sozial umzusteuern? | |
Wir sollten nicht einfach mit Geld alte Strukturen erhalten und in die | |
Vergangenheit investieren. Wenn der Staat hilft und eingreift, dann müssen | |
die Schalter auch Richtung Zukunft umgelegt werden. In der Autoindustrie | |
zum Beispiel sollten wir neue Antriebssysteme und den Ausbau mit | |
Ladestationen fördern. | |
War die Abwrackprämie für Autos 2009 sinnvoll? | |
Einige Studien zeigen, es hat wirtschaftlich nur kurzfristig genutzt und | |
dem ökologischen Wandel gar nicht. Wir sollten jetzt der Automobilindustrie | |
klug helfen – aber nicht mit einer Prämie Richtung Vergangenheit. Wir haben | |
ja dazugelernt. | |
Wie lösen Sie den Zielkonflikt zwischen Jobs retten und ökologischem Umbau | |
auf? | |
Das ist kein Zielkonflikt. Wir müssen beides tun. Arbeitsplätze in | |
Schlüsselindustrien bewahren und zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr | |
ausbauen. | |
Die Lufthansa soll 9 Milliarden Euro vom Staat bekommen. | |
CDU-Wirtschaftsminister Altmaier will, dass der Staat trotzdem keinen | |
Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen nimmt. Einverstanden? | |
Nein, es kann keine staatliche Hilfe, also Steuerzahlergeld, in diesem | |
enormen Umfang ohne Mitsprache geben. Das wird nicht funktionieren. | |
Sollen die Milliarden für die Lufthansa an [3][Bedingungen geknüpft werden] | |
– etwa die Halbierung des CO2-Ausstoßes in zehn Jahren oder keine | |
ökologisch schädlichen Inlandsflüge mehr? | |
Politik muss ein Mitspracherecht haben, vor allem bei sozialen und | |
ökologischen Zielen. Oder wenn es um Arbeitsplätze geht. Aber soll der | |
Bundestag wirklich entscheiden, welche Inlandsflüge die Lufthansa anbietet? | |
Da bin ich skeptisch. | |
Also Wunschzettel ja, Bedingung nein? | |
Die SPD ist sehr klar: Keine Staatshilfen ohne Mitsprache. Was die | |
Inlandsflüge angeht, glaube ich, dass es nach Corona ohnehin mehr | |
Videokonferenzen geben wird und weniger Kurzflüge. Mit dem Zug dauert es | |
von Berlin nach München genauso lang wie mit dem Flugzeug. Jetzt müssen wir | |
dafür sorgen, dass die Bahn auch noch billiger wird. Wir haben ja schon vor | |
Corona mit der Reduzierung der Mehrwertsteuer Zugfahren attraktiver | |
gemacht. Wir dürfen in der Krise nicht jeden Gedanken an die | |
sozialökologische Umwandlung vergessen. | |
Die Bundesregierung plant ein Konjunkturprogramm … | |
… das hart umkämpft werden wird. | |
Auf welcher Seite kämpft die SPD? | |
Wir müssen unser Land wieder hochfahren, Arbeitsplätze sichern, dürfen aber | |
nicht nur auf die Wirtschaft schauen. Familien brauchen jetzt | |
Unterstützung. Und die Kommunen. Denen brechen die Einnahmen weg, | |
gleichzeitig steigen ihre Ausgaben für Soziales. Deshalb muss jetzt | |
dringend der Altschuldenfonds kommen. Der Staat muss zudem massiv | |
investieren in Schulen, Digitalisierung, Infrastruktur. Wir haben ja in der | |
Krise gesehen, dass es vor allem im Bildungsbereich fehlt. Schritte für | |
mehr Investitionen hat der Koalitionsausschuss im März beschlossen. In der | |
Union wollen davon manche nichts mehr wissen, dafür aber den Soli auch für | |
die oberen zehn Prozent absenken. Dagegen werden wir uns wehren. | |
Gibt es Staatshilfen für Unternehmen, die Boni und Dividenden zahlen? | |
Nein, bei Krediten ist das bereits gesetzlich geregelt. | |
BMW wird am Donnerstag mehr als 1,5 Milliarden Euro an ihre Aktionäre | |
auszahlen – während die Bundesagentur für Arbeit per Kurzarbeitergeld die | |
Jobs bei BMW sichert. | |
Kurzarbeitergeld ist eine Versicherungsleistung, keine direkte Staatshilfe. | |
Ich finde es aber unmoralisch, Kurzarbeitergeld zu kassieren und | |
gleichzeitig Dividenden zu zahlen. Wenn die Angestellten den Gürtel enger | |
schnallen müssen, sollten das auch die Manager tun. Unternehmen, die jetzt | |
Boni ausschütten, schaden sich damit selbst. Denn viele empfinden es als | |
ungerecht, dass es Kurzarbeit gibt und trotzdem Dividendenzahlungen. | |
Sozialunternehmer bekommen keine Kredite vom Staat, weil ein Kriterium | |
dafür ist, 2019 Gewinn gemacht zu haben. Deshalb fallen | |
Nonprofitunternehmen durch den Rost. Was tun? | |
Wir fordern, dass das Wirtschaftsministerium die Bedingungen ändert, damit | |
auch solche Unternehmen, wie etwa Sozialkaufhäuser, nicht pleitegehen. Wir | |
brauchen die Gemeinwohlökonomie – und zwar nach der Krise noch mehr als | |
zuvor. | |
Die Pflegeberufe wurden in der Krise viel gelobt. Wie sollen jetzt konkret | |
die Löhne und Bedingungen dort verbessert werden? | |
Es gibt jetzt die steuerfreien Bonuszahlungen. Das ist gut. Aber wir | |
brauchen natürlich langfristige Verbesserungen. Das sind Tarifverträge, die | |
die Lohndrückerei beenden. Giffey, Spahn und Heil arbeiten an einem | |
Tarifvertrag Soziales, der dann für allgemeinverbindlich erklärt werden | |
muss. Das Zweite ist: Wir müssen die Verdichtung der Arbeit in den | |
Pflegeberufen nicht nur stoppen, sondern zurückdrehen. Für beides brauchen | |
wir wesentlich mehr Geld. | |
Also höhere Beiträge in der Pflegeversicherung? | |
Die Kosten, die Angehörige zahlen, müssen gedeckelt werden. Die SPD will | |
mehr staatliches Geld für die Pflege. Das muss es uns wert sein. | |
Das klingt, von Autos über Kommunen bis Pflege, nach sehr viel Geld. Wer | |
zahlt? | |
Erst mal: Wenn wir jetzt kein Geld für Arbeitsplätze, Kommunen und Familien | |
ausgeben, wird es am Ende sehr viel teurer. Ich finde es fair, wenn die | |
starken Schultern im Land auch etwas übernehmen. Über die Kosten der Krise | |
reden wir zu einem geeigneten Zeitpunkt. | |
Der ist wann? | |
Jetzt müssen wir erst mal die akute Krise bewältigen. Im Juni wird das | |
Konjunkturprogramm beschlossen. Wir hatten diese Woche eine | |
Online-Konferenz zum Thema Zusammenhalt. Da kam auch eine Idee für eine | |
Finanzierung von mehr Gemeinwohl in der Wirtschaft auf: Warum nehmen wir | |
nicht das Geld von nachrichtenlosen Konten – also Assets, die seit Langem | |
niemand mehr beansprucht, etwa weil es keine Erben gab? Großbritannien | |
finanziert damit einen Sozialfonds. Der Big Society Capital ist der größte | |
Social Impact Fonds in Europa. | |
Um wie viel geht es? | |
Laut Schätzungen 2 bis 9 Milliarden Euro. Das ist keine kleine Summe. | |
Es läuft in Deutschland, verglichen mit anderen Ländern, gut. Die SPD | |
regiert, hat aber rein gar nichts davon. Schlimm, oder? | |
Ich gehe in dieser Krise, in der viele um ihre Existenz bangen, nicht mit | |
dem Gedanken ins Bett: Was hilft der SPD? Wir haben uns zwei Jahre lang | |
viel mit uns selbst beschäftigt. Jetzt machen wir in der Regierung | |
Krisenmanagement, und zwar ganz gut. Das wird sich auszahlen. | |
Ärgert es Sie nicht, dass alle Sympathien Merkel zufliegen? | |
Merkel ist in ihrer letzten Amtszeit. Danach beginnt ein neues Spiel. | |
14 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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