| # taz.de -- Machtkampf in SPD-Fraktion: Das Stühlerücken nach dem Knall | |
| > Nach dem Abgang von Johannes Kahrs wirkt der rechte SPD-Flügel | |
| > angeschlagen. Fraktionschef Rolf Mützenich ordnet die Machtverhältnisse | |
| > neu. | |
| Bild: Abgang aus Frust: Johannes Kahrs hat hingeschmissen | |
| Berlin taz | Seinen letzten großen Auftritt hatte Johannes Kahrs in der | |
| SPD-Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag. Der Partei-Rechte wollte | |
| unbedingt Wehrbeauftragter werden. Doch dieses Vorhaben war gescheitert. | |
| Die Union traute dem stets zackig auftretenden und immer polarisierenden | |
| Chef des Seeheimer Kreises, des rechten SPD-Flügels, offenbar das für das | |
| Amt nötige diplomatische Geschick nicht recht zu. | |
| Nun sollte die SPD-Fraktion die Berliner Abgeordnete Eva Högl nominieren. | |
| [1][Reserveoffizier Kahrs] meldete sich in der Debatte knapp zu Wort und | |
| sagte, dass die Seeheimer „immer der Führung folgen“ und er daher seine | |
| Konkurrentin Högl wählen werde. | |
| Doch schon ein paar Minuten später lief die Meldung von Kahrs | |
| Komplettrückzug aus der Politik über die Nachrichtenagenturen. Der | |
| 56-Jährige legt ab sofort alle politischen Ämter nieder, inklusive seines | |
| Bundestagsmandats. Ein Abgang mit Knalleffekt. Kahrs, hyperaktiv in | |
| sozialen Netzwerken, legte seinen Twitter- und Facebook-Account still – | |
| eine Art Selbstauslöschung als öffentliche Person. SPD-Mann Carsten | |
| Schneider versuchte es am Mittwoch mit Humor. „Der linke Flügel, der sich | |
| oft über Kahrs aufgeregt hat, vermisst ihn jetzt schon“, sagte der | |
| parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion. | |
| Doch die Geschichte hat noch mehr Ebenen. Der bisherige Wehrbeauftragte | |
| Hans-Peter Bartels wollte den Job [2][gern weitere fünf Jahre machen.] Doch | |
| er biss damit bei Fraktionschef Mützenich auf Granit. Bartels ist im | |
| Bundestag allgemein anerkannt, forderte aber auch öfter eine höheren | |
| Verteidigungsetat. Der SPD-Linke und Außenpolitikexperte Mützenich setzt | |
| indes mehr auf Diplomatie als auf Militär. Allerdings entspricht der | |
| Wechsel von Bartels zu Högl keinem klaren Rechts-links-Schema: Högl, | |
| profilierte Innenpolitikerin, gehört wie Bartels zur Mitte der SPD. | |
| ## Ein harter Konkurrenzkampf droht | |
| Scharfe Kritik an dem Aus für Bartels kommt weniger aus der SPD denn von | |
| Medien wie FAZ und Welt. Aber auch der frühere Grünen-Abgeordnete und | |
| Militärexperte Winfried Nachtwei hält das Aus für Bartels für „fachlich in | |
| keiner Weise begründbar“. Högl fehle es, so seine Kritik, an Erfahrung mit | |
| der Bundeswehr. | |
| Die SPD-Fraktionsspitze indes versteht die ganze Aufregung nicht. Man habe | |
| „eine Abwägungsentscheidung“ zwischen Kahrs, Bartels und Högl getroffen. | |
| Und, so Schneider: „Es war Zeit für einen Neubeginn.“ Ungewöhnlich ist der | |
| Wechsel nicht. Nur einer von zwölf Wehrbeauftragten machte den Job länger | |
| als fünf Jahre. | |
| Zudem erspart Högls neuer Job der SPD ein paar unschöne personelle | |
| Entscheidungen. Högl war bereits als Justizministerin im Gespräch – und | |
| scheiterte daran, dass mit Giffey bereits eine Berlinerin SPD-Ministerin | |
| geworden war. Für 2021 könnten Michael Müller, derzeit Regierender | |
| Bürgermeister, und SPD-Vizechef Kevin Kühnert in den Bundestag drängen. | |
| Weil die Aussichten auf Mandate für die SPD derzeit äußerst trübe sind, | |
| droht ein harter Konkurrenzkampf, der nun ein wenig entschärft ist. Carsten | |
| Schneider betont zwar, dass solche Überlegungen bei Mützenichs Entscheidung | |
| „null Komma null“ eine Rolle spielten – doch der Vorteil liegt auf der | |
| Hand. | |
| ## Einen Klatsch-Aspekt gibt es auch noch | |
| Högl soll am Donnerstag im Bundestag zur neuen Wehrbeauftragten gewählt | |
| werden. Sie braucht die Kanzlermehrheit von 351 Stimmen. Alles andere als | |
| diese Mehrheit wäre ein Debakel für Mützenich. | |
| Es gibt auch noch einen Klatsch-Aspekt der Geschichte. Die Journalistin | |
| Susanne Gaschke, die mal kurz SPD-Oberbürgermeisterin von Kiel war, ist mit | |
| Bartels verheiratet. Zu Gaschkes Geschäftsmodell gehört es, vernichtende | |
| Texte über die SPD zu publizieren. Das dürfte nicht unbedingt ein Pluspunkt | |
| für Bartels gewesen sein. Gaschke ist gestern aus der SPD ausgetreten. | |
| Also: Nur personelles Gerangel, Anti- und Sympathien, wie es sie überall | |
| gibt? Das größere Bild zeigt etwas anderes. Der rechte Flügel der SPD ist | |
| geschwächt. Ersatz für Kahrs, den robusten Strippenzieher, ist nicht in | |
| Sicht. Und Fraktionschef Mützenich, der eher zufällig nach Andrea Nahles’ | |
| Abgang an die Spitze kam, zieht nun Linien. Am Wochenende hatte er in einem | |
| viel beachteten Interview US-Atomwaffen in Deutschland als | |
| Sicherheitsrisiko bezeichnet und gefordert, dass „Deutschland deren | |
| Stationierung zukünftig ausschließt“. Kurzum: Deutschland soll Atomwaffen | |
| verbannen. | |
| Das war eine scharfe Antwort auf den Plan von CDU-Verteidigungsministerin | |
| Annegret Kramp-Karrenbauer, die neue teure US-Jets anschaffen will, die | |
| Atomwaffen tragen können. Gefährlich naiv, polterte die CDU. Doch auch in | |
| der SPD rumpelte es. SPD-Außenminister Heiko Maas sagte, dass Atomwaffen | |
| nur als Teil einer gemeinsamen Abrüstung abgezogen würden – also auf | |
| absehbare Zeit nicht. Im Grunde hat Mützenich aber nur das | |
| SPD-Grundsatzprogramm wiederholt: „Wir treten ein für den Abzug sämtlicher | |
| Atomsprengköpfe, die auf deutschem Boden lagern.“ | |
| 6 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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