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# taz.de -- Ausstellungen zu Filmklassiker „Nosferatu“: Schatten vom Vortag
> „Nosferatu“ war ein Lieblingsfilm der Surrealisten. Es gibt viele
> Verbindungen zwischen dem Film und der Kunst, wie gleich zwei
> Ausstellungen zeigen.
Bild: Nosferatu erscheint an Deck
Der Vampir „Nosferatu“ auf dem Deck des Geisterschiffs „Empusa“, damit
setzte Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau 1922 ein ikonisches Bild in die
Filmgeschichte, vergleichbar mit den aufgerissenen Augen im Gesicht des
gejagten Serienmörders in Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder�…
oder dem dunklen Vogelteppich, der sich am Ende von Alfred Hitchcocks „Die
Vögel“ über die kalifornische Bodega Bay legt.
Murnau drehte den „Nosferatu“ wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, „M�…
entstand kurz vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und „Die
Vögel“ kam knapp nach der Kuba-Krise, dem Höhepunkt des Kalten Krieges, in
die Kinos. Als sich diese Bilder im gesellschaftlichen Gedächtnis
einprägten, könnte man heute interpretieren, waren sie von politischen
Erschütterungen begleitet.
„Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“, so der vollständige Titel der
Verfilmung von Bram Stokers Roman „Dracula“, ist eine Wucht der Bilder. Und
sie sind voller kunsthistorischer Querverweise. Ihnen nachzugehen, hat sich
die Berliner Sammlung Scharf Gerstenberg zur Aufgabe gemacht und, um es
vorwegzuschicken, gelöst.
Für Murnaus fantastische Szenen lassen sich Vorbilder bei Carl Gustav
Carus, bei Caspar David Friedrich, bei Max Klinger oder bei Edvard Munch,
bei einer ganzen Ahnengalerie der Romantik und der Frühmoderne finden,
folgt man der schön-schaurigen Ausstellung „Phantome der Nacht. 100 Jahre
Nosferatu“.
## Nosferatu als Sauger
Der österreichische Symbolist Alfred Kubin hatte etwa um 1915 mit Tusche
und Aquarell eine düstere Vorstellung von „Marsbewohnern“ auf einem Blatt
gezeichnet, zwei überdimensionierte Rüsselwesen mit Stilaugen.
Murnaus Filmarchitekt, der Maler, Werbezeichner und Okkultist Albin Grau,
wiederum stellte 1921 auf einer Werbeannonce in der Zeitschrift
Film-Tribüne den „Nosferatu“ als Sauger dar. Unverkennbar ähnelt er den
Außerirdischen Kubins. Schwarz thront Graus Vampir auf einer Treppe
umgestürzter Särge. Um ihn zündelt es violett. Eine Eskalation des Grauens.
Die Berliner Ausstellung zeigt auch die schwarz-weiße Fotoreproduktion
einer Nosferatu-Szene. Darin sitzt Reeder Harding in seiner Kammer, bevor
er die schlafwandelnde Ellen hört. Dieser Blick in das Zimmer, wie sich
Harding mit dem Rücken zur Welt an einen Sekretär platziert, darauf die
Leselampe, die Büste, das Bücherregal mit dem Vorhang, er zitiert ein
kleines Ölgemälde von Georg Friedrich Kersting.
Der Romantiker und Biedermeiermaler Kersting war mit Caspar David Friedrich
befreundet. 1812 fertigte er „Der elegante Leser“ an. Das Stück ist noch
aus einem anderen Grund interessant: Die Lichtquelle bei Kersting ist ein
sogenannter Argand-Brenner, eine damalige hochmoderne Version der Öllampe.
Und ausgerechnet in diese wohlgeordnete und wohlbeleuchtete Welt tritt
Nosferatu, Graf Orlok, der Vampir.
## Geister auf der Brücke
Die Heimat des unheimlichen Orlok ist das in der Kunst Anfang des 20.
Jahrhunderts vielfach exotisierte Osteuropa, er kommt aus den Karpaten.
Geografie hat es in sich, verdeutlicht auch der Katalog zur Berliner
Ausstellung. „Nosferatu“ war einer der Lieblingsfilme der Surrealisten.
Womöglich ist es ihrer Begeisterung für Murnaus Schauerwerk zu verdanken,
dass der Film, dessen deutsche Rollen nach einem Rechtsstreit mit den
Bram-Stroker-Erben eingestampft werden mussten, überhaupt erhalten blieb.
[1][André Breton, Begründer des Surrealismus], hat oft einen der
Zwischentitel aus dem Nosferatu zitiert: „Als er die Brücke überquerte,
kamen ihm die Geister entgegen.“ Die Reise von Ellens Ehemann Thomas Hutter
in den Osten ist eine Reise in das Unbewusste, das sich im Laufe des Films
selber auf den Weg machen wird.
Dabei findet sich bei dem Kriegsgegner Breton eine bemerkenswerte
Assoziation zu Nosferatu, auf die Kyllikki Zacharias, Kuratorin in der
Sammlung Scharf Gerstenberg, im Katalog hinweist. Demnach erschien Breton
im Traum ein Kind, das ihn in einem Laden auf Krawatten aufmerksam macht.
Eine davon ist die „Nosferatu-Krawatte“, und der Träumende hat sie
protokolliert: „Sie ist granatrot, an ihren Enden ist in Weiß das Gesicht
Nosferatus zu sehen, wenn sie gebunden ist, sogar zweimal. Das Gesicht ist
zugleich der einfache Umriss der Karte Frankreichs, wobei die Ostgrenze,
die nur andeutungsweise mit grünen und blauen Strichen gezogen, mich eher
an Flüsse denken lässt, überraschenderweise die geschminkten Züge des
Vampirs ergibt.“
## Beginn des Surrealismus
Das vampirische Heimatland, dazu gibt es in einem Schlüsseltext des
Surrealismus Anklang. In „Die magnetischen Felder“ („Les Champs
magnétiques“) schreiben André Breton und Philippe Soupault: „Unser Mund i…
trockener als die verlorenen Strände; unsere Augen drehen sich ziellos,
hoffnungslos. Da sind nur noch die Cafés, wo wir uns treffen, um kühle
Getränke, diesen verdünnten Alkohol, zu trinken, und die Tische sind
schmieriger als die Bürgersteige, auf die unsere toten Schatten vom Vortag
gefallen sind.“
Das Buch wurde 1920 veröffentlicht, 1919 geschrieben, kurz nach dem Ersten
Weltkrieg. Auf diesen Krieg sollte Soupault 1968 in „Ursprünge und Beginn
des Surrealismus“ wieder zurückblicken: „Der Krieg … die Verdummung …
die,Heimatliteratur' … die alten Kämpfer … Vater Sieg … der Vertrag von
Versailles … die Millionen (sic) Tote … die Amputierten … die
Gasvergifteten … die Opfer des Schocks.“ Der Surrealismus wollte mit dieser
Welt eigentlich Schluss machen.
1949 malt Leonor Fini mit Öl auf Leinwand „Das Ende der Welt“. Man kann es
derzeit im Potsdamer Museum Barberini neben Max Ernst, Leonora Carrington
oder René Magritte in der Ausstellung „Surrealismus und Magie. Verzauberte
Moderne“ sehen. Eine Figur – eine Frau, eine Sphinx? – blickt darauf aus
dem Meer, an der Wasseroberfläche treiben Schädel.
Fini spannte über diese Horrorfilm-Szenerie am oberen Bildrand einen
glühenden Himmel. [2][Die Italienerin war Freundin und Skeptikerin des
Surrealismus zugleich]. Einer seiner Dissidenten, der Schriftsteller und
Schauspieler Regisseur Antonin Artaud, hat 1925 im „Manifest in klarer
Sprache“ geschrieben: „Was zum Bereich des Bildes gehört, kann von der
Vernunft nicht reduziert werden und muss im Bild verbleiben, andernfalls
zerstört man sich.“
## Vernunft und Unvernunft
Zwischen exaktem Wissen und offener Spekulation pendelt 1955 die
spanisch-mexikanische Remedios Varo auf ihrem Gemälde „Der Uhrmacher
(Offenbarung)“. Das sonderbare Bild, ebenfalls in der Potsdamer
Surrealismus-Schau zu sehen, zeigt den scheinbar aus einer entfernten Zeit
kommenden Uhrmacher in einem grün-gelben Raum, mehr königliches Gemach als
Werkstatt.
Acht obeliskenhafte Standuhren ragen um ihn auf, auf ihrem Korpus sind
historische Herrscherporträts zu erkennen. Alle Uhren zeigen auf Viertel
nach Zwölf, eine dunkle Katze schaut aus dem Bild, durch das Fenster
gelangt ein metaphysisches Objekt in den Raum, eine blau-graue, sphärische
Scheibe. „Aber dennoch herrscht eine Vernunft in den Bildern, es gibt viel
klarere Bilder in der Welt der bildhaften Lebenskraft“, schreibt Artaud.
Die Vernunft der Bilder. Es geht im Surrealismus – und der „Nosferatu“ ka…
zum Um- und Spannungsfeld des Surrealismus gezählt werden – nicht um eine
Feier des Irrationalismus. Es geht um ein bewusstes Erkunden des
Irrationalen. Das Dunkle aus dem Leben verbannen zu wollen, ist ein
schlechter Ratschlag, sich kopfüber hineinzustürzen kein besserer.
20 Dec 2022
## LINKS
[1] /Surrealism-Beyond-Borders-in-New-York/!5818440
[2] /Schau-ueber-Elsa-Schiaparelli-in-Paris/!5881974
## AUTOREN
Robert Mießner
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