| # taz.de -- Robert Eggers' „Nosferatu – Der Untote“: Lieber nicht tiefer … | |
| > Ohne echtes Leben: Nach F. W. Murnau und Werner Herzog macht sich | |
| > Regisseur Robert Eggers mit „Nosferatu – Der Untote“ einen Reim auf das | |
| > Vampirwesen. | |
| Bild: Kein Vampirfilm ohne flackerndes Feuer: Professor Albin Eberhart von Fran… | |
| Leben und Tod. Mut und Angst. Lust und Verlust. Reinheit und | |
| Skrupellosigkeit. Bram Stokers Roman „Dracula“ von 1897 ist eine reiche | |
| Geschichte – er verknüpft elementare menschliche Zustände und Gefühle zu | |
| einem düsteren Gothic-Reigen und spiegelte bei seinem Erscheinen sowohl den | |
| Horror vergangener Zeiten (Pest) als auch den der kommenden (Weltkrieg, | |
| Spanische Grippe). | |
| Klar, dass eine solche Story immer wieder erzählt wird, nicht alle gingen | |
| dabei urheberrechtlich korrekt vor. [1][Die 1922 von F. W. Murnau | |
| inszenierte, stumme Filmadaption „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“] | |
| versuchte erfolglos, sich um die Erlaubnis der Originalverfasser zu | |
| drücken, nannte den Grafen „Orlok“, und fiel damit zunächst auf die Nase: | |
| Nach einem Rechtsstreit wurden fast alle Filmkopien vernichtet. Max Schreck | |
| spielte den Untoten als hageren, zuweilen surreal-expressionistisch | |
| gestikulierenden Glatzkopf, den die entflammte Leidenschaft für Ellen, die | |
| Frau des Maklermitarbeiters Thomas Hutter, über das Meer treibt – mit Tod | |
| und Verderben als Mitreisenden. | |
| Für die zweite Nosferatu-Filmversion gab Werner Herzog die Hauptrolle 1979 | |
| an Klaus Kinski, der sich zwar äußerlich an Schrecks ikonischem Orlok | |
| orientierte, aber eine weltlichere Präsenz zeigte: Schon die relativ hohe | |
| Stimme des kleineren Schauspielers klang menschlich, zudem machte Kinski | |
| den nach Jahrhunderten nachvollziehbar vereinsamten Grafen zu einem | |
| wollüstigen Monster, das das Blutsaugen an Isabelle Adjani in einen | |
| hocherotischen Kontext rückte. | |
| Vielleicht weil die bekannte Geschichte so viele Sujets abdeckt, könnte | |
| sich Regisseur Robert Eggers, der als langjähriger Szenenbilder ein Faible | |
| und ein Händchen für die Optik seiner Genrefilme hat, mehr auf die Welt | |
| konzentriert haben, in der Nosferatu angesiedelt ist. Sein Protagonist ist | |
| der monströseste, schauerlichste und entmenschlichte aller Film-Vampire. | |
| Darsteller Bill Skarsgård bringt die entsprechende Körpergröße und Hingabe | |
| mit – auch dafür, sich stundenlang in der Maske bis zur Unkenntlichkeit | |
| verändern und seine mit diffus-europäischem Akzent angereicherte Stimme | |
| tiefer als der Tod klingen zu lassen. Nicholas Hoult gibt den | |
| überforderten, aber gutmeinenden und beflissenen Thomas Hutter, Lily-Rose | |
| Depp dessen Frau Ellen. | |
| ## Eggers Bilder erinnern an Gemälde der Romantik | |
| Ausstattungsfülle und Detailreichtum lassen die imposanten, zuweilen an die | |
| Gemälde der Romantik erinnernden Bilder fast dreidimensional erscheinen, | |
| das transsylvanische Grafenschloss, in dem (an einer anderen Ecke, wie | |
| Eggers versichert) auch Herzog drehte, ist kaum wiederzuerkennen. Die | |
| Residenzen der vorherigen Orloks wirken dagegen wie ein Kindergarten. | |
| Vermutlich mit einer Mischung aus Gruselabsicht und berechtigtem Stolz | |
| lässt Eggers die Einstellungen lange, lange stehen – so kann man sich | |
| sattsehen an Skarsgårds mächtigem Grafenschnurrbart, an den Gesichtern von | |
| Thomas, Ellen oder Willem Dafoe als überkandidelter Professor, an den | |
| unheilvollen Zacken, Ecken und Schatten, den grotesken Figurinen, den | |
| kühlen Landschaften, wuselnden Ratten, blutigen Mündern, angefressenen | |
| Tauben, (wenigen) Jumpscares, und flackernden Feuern. | |
| Lange beschreibt Eggers die Psychologie zwischen den Eheleuten Hutter, die | |
| Thomas als klassisch-viktorianischen Mann davon abhält, seiner | |
| hellseherisch begabten, von Vorahnungen und Albträumen geplagten Frau zu | |
| glauben, ihre Ängste ernst zu nehmen. Hätte er das doch getan – er hätte | |
| sein Blut länger behalten. Derart stark ist Ellens Anziehungskraft auf | |
| Orlok, sie begann – im Unterschied zu früheren Versionen – sogar schon vor | |
| dem Vertrag zwischen dem Makler und dem Transsylvanier. Denn sie hatte | |
| Orlok einst versehentlich selbst zu sich gerufen – so, wie nur ein blasses | |
| Medium aus dem 19. Jahrhundert es kann. Eggers spielt mit dem | |
| Geist-Medium-Exorzismus-Thema und lässt Ellen besessen ihren Körper | |
| verdrehen, bis die Gelenke knacken. | |
| ## Die Frau steht für die Verführung, das ewig Weibliche | |
| All das sieht beeindruckend diabolisch aus. Doch weiter will Eggers nicht | |
| graben. So tief unter der Erde Vampire sich am Tag verbuddeln, so | |
| oberflächlich bleibt der Film in seiner Untersuchung der bewährten | |
| Symbolhaftigkeit, und so wenig geht er darüber hinaus: Ja, der Graf ist das | |
| Unheil, ja, sein Blutsaugen spiegelt das „Blutsaugen“ des Maklers, ja, | |
| durch eine menschliche Regung begibt sich der Untote in Gefahr, ja, die | |
| junge Frau steht für die Verführung, das ewig Weibliche, das uns | |
| hinanzieht, in diesem Fall: den Vampir in die Sonne, und ja, sie muss sich | |
| opfern. Murnaus politischer Ebene, [2][Herzogs | |
| freudianisch-psychologischer] kann er nichts hinzufügen, er kann sie nur | |
| zitieren. | |
| Vielleicht ist die Geschichte doch schon zu oft erzählt und die Konkurrenz | |
| an vielschichtigeren Horrorfilmen zu groß, vielleicht steht Eggers seine | |
| durchaus sympathische Nerdhaftigkeit im Weg, die ihn eher auf das Kostüm | |
| als auf das Herz des Monsters schauen lässt. Doch irgendwo da drin, tief | |
| verborgen im halbverwesten Fledermausskelett, wird es noch ganz schön | |
| glühen. | |
| 1 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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