# taz.de -- „Juror #2“ von Clint Eastwood: Allein unter Geschworenen | |
> Sein letzter Film? Der 94-jährige Clint Eastwood fügt mit „Juror #2“ | |
> seinem Alterswerk eine bedenkenswerte Analyse US-amerikanischer Diskurse | |
> hinzu. | |
Bild: Der zweite vorn links: Justin Kemp (Nicholas Hoult) ist „Juror #2“ | |
Nach seinen Rollen in Sergio Leones Dollar-Trilogie wurde er mit einem | |
[1][überaus umstrittenen Film endgültig zum Hollywoodstar. Als „Dirty | |
Harry“ spielte Clint Eastwood 1971 einen zynischen Inspektor des San | |
Francisco Police Departments], der mit unkonventionellen, ja, | |
ungesetzlichen Methoden einen Serienmörder jagt. Sein Spruch „Make my day“ | |
(„Verschönere mir den Tag“) wurde berühmt und stand für seine zwiespält… | |
45-er-Magnum-Coolness. „Dirty Harry“ war beim Publikum enorm erfolgreich | |
und prägte den Action-Film der 1970er Jahre. | |
Es scheint, als wolle Eastwood genau diesem Film, der ihn zum Superstar | |
machte, in seinem neuesten Werk eine andere Perspektive zur Seite stellen. | |
Hierzu wechselt er von der Exekutive zur Judikative, von der Polizei zur | |
Gerichtsbarkeit. „Juror #2“ handelt von einem jungen Mann, der bei einem | |
Mordprozess als Geschworener berufen wird. Kaum sitzt Justin Kemp (Nicholas | |
Hoult) auf der Geschworenenbank und hört, worum es bei dem Fall geht, wird | |
ihm bewusst, dass er selber der Täter ist und nicht James Sythe (Gabriel | |
Basso), der angeklagt ist, seine Freundin getötet zu haben. | |
Freilich tötete Justin, wie in Rückblenden zu sehen ist, die Frau nicht | |
vorsätzlich. Bei strömendem Regen fuhr er sie mit seinem Auto an, weil er | |
einen kurzen Moment unkonzentriert war. Durch den Zusammenstoß stürzte das | |
Opfer von einer Brücke und starb am Unfallort. Der panische Justin | |
vermutete, ein Tier angefahren zu haben, und fuhr weiter. Damit beging er | |
Fahrerflucht. Das hätte, würde er sich stellen, keine wirklich schlimmen | |
Konsequenzen. Wäre da nicht ein dunkler Fleck in seiner Vergangenheit: Er | |
hatte schon einmal, unter Alkoholeinfluss, einen Unfall verursacht. | |
Das alles könnte ihm angelastet werden und das Strafmaß in die Höhe | |
treiben. Geschickt macht der Film die Schuld, die Justin schon auf sich | |
geladen hat und die er bei einer Verurteilung von James Sythe weiter auf | |
sich laden würde, während der Diskussionen der Geschworenen sicht- und | |
hörbar. [2][Nicholas Hoult (aktuell auch in „Nosferatu“ als Hauptfigur | |
Thomas Hutter zu sehen)] ist perfekt in dieser Rolle, weil er wirkt, als | |
könne er kein Wässerchen trüben, aber auf durchaus gerissene Art und Weise | |
von seiner eigenen Schuld ablenkt. | |
## Die eiskalte Staatsanwältin | |
Die von Toni Collette als überaus ehrgeizige und eiskalte Staatsanwältin | |
verkörperte Faith Killebrew ist zunächst ohne Einschränkung von der Schuld | |
des Angeklagten überzeugt. Und in der Tat: Alles scheint gegen ihn zu | |
sprechen. Wiederholt ist die Szene in Rückblenden zu sehen, die der | |
vermeintlichen Tat vorausging, als James Sythe mit seiner Freundin in der | |
Bar und dann draußen einen heftigen Streit hatte. Doch gibt es nicht noch | |
eine andere Erklärung dafür, dass die Frau kurz danach ums Leben kam? Auch | |
die Geschworenen werden durch Justins Hinterfragung offenbarer Gewissheiten | |
offen für neue Thesen. Vor allem in diesen Szenen erinnert der Film an | |
Sidney Lumets Klassiker „Die zwölf Geschworenen“. | |
Faith hat natürlich einen sprechenden Namen und es wird sich zeigen, woran | |
sie wirklich glaubt. Glaubt sie an die Aufgabe des Gerichts, die Wahrheit | |
und nichts als die Wahrheit herauszufinden und entsprechend zu urteilen? | |
Oder glaubt sie unumstößlich an die Schuld des Angeklagten, weil den | |
Prozess zu gewinnen ihrer Karriere als Oberstaatsanwältin dienlich wäre? | |
Clint Eastwood ist ein packender Gerichtsthriller gelungen, der die | |
interessante Frage stellt, was passieren würde, wenn ein Geschworener | |
selber Schuld in dem Fall trägt, der vor seinen Augen verhandelt wird. | |
Wiederholt ist Justitia mit der Waage in unterschiedlichen Kompositionen im | |
Bild zu sehen. Wird damit an das gemahnt, was vor Gericht im Zentrum steht, | |
nämlich, dass das Recht für alle gleichermaßen gilt? Ob jemand | |
unsympathisch wirkt oder eine dunkle Vergangenheit hat, ist nicht | |
ausschlaggebend dabei, über seine Schuld oder Unschuld zu urteilen. | |
Entscheidend sind Fakten und Beweise, auf deren Grundlage das Urteil der | |
Geschworenen und schließlich des hohen Gerichts ausfallen muss. | |
Der einzige Polizist, der im Film vorkommt, bricht das Gesetz verglichen | |
mit Harry Callahan in „Dirty Harry“ auf harmlose Weise, und ganz | |
selbstverständlich wird er dafür belangt und akzeptiert diese Entscheidung | |
auch umstandslos. [3][Da ist eine völlig andere Männlichkeit am Werk als | |
jene, die Eastwood zum Star machte.] Und die Gerichtsbarkeit des Films ist | |
weiblich. Die Richterin macht einen dermaßen unbestechlichen Eindruck, dass | |
selbst Donald Trump vor ihr kapitulieren würde. | |
16 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Klein | |
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