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# taz.de -- Chinesischer Post-Western „Black Dog“: Schweigsame Gefährten
> Guan Hus „Black Dog“ ist ein melancholischer Spielfilm. Er nutzt das
> Genre des Western für ein Porträt von Marginalisierten in der
> chinesischen Wüste.
Bild: Im Schweigen vereint: Lang und der wilde Hund werden allmählich Freunde
Die Landschaft selbst hat bereits so viel Charakter, dass man mit der
ersten Szene schon mitten in einer Geschichte ist. Ein Kameraschwenk
offenbart grauschwarze Hügel, auf denen wenig wächst, dazu bilden weite,
einsame Täler mit hellem Geröll einen reizvollen Kontrast. Wie in
ironischer Anspielung auf den Western bewegen sich ein paar rollende
Disteln durchs Bild, und dann erscheint in ausgeblichenem Blau ein
Farbpunkt auf der staubigen Straße, die diese wundersame Wüstenlandschaft
durchquert.
Aber kaum hat der Bus die Mitte des Bildes erreicht, wird er angegriffen –
nicht etwa von berittenen Indigenen, sondern von einer Horde Hunde, die den
Hügel heruntergaloppieren und den Fahrer so erschrecken, dass er mit einer
Vollbremsung den Bus umkippt. Unter viel Gezeter und Geschimpfe – „Früher
war hier eine Stadt, heute gibt es nur noch streunende Hunde!“ – entsteigen
die unverletzten Fahrgäste dem Wrack, darunter Lang (Eddie Peng), der
seinen Hauptrollencharakter gleich schon damit unterstreicht, dass er
ostentativ schweigt.
[1][Der chinesische Regisseur Guan Hu, der mit „Black Dog“ in diesem Jahr
in Cannes den Hauptpreis der Sektion „Un certain regard“ gewinnen konnte],
spielt deutlich mit der Ikonografie des Westerns, aber die Hommage an das
Vertraute setzt zugleich das Besondere dieser Umgebung ins Bild. Gedreht
wurde der Film im Nordwesten Chinas nahe der Wüste Gobi. Hier war einer der
Orte, von wo man die Sonnenfinsternis vom 1. August 2008 besonders gut
sehen konnte.
Guan Hu nimmt das zum Anlass, seine Erzählung in den Wochen zuvor
anzusiedeln. Als man gleichsam an der Seite des stoisch-schweigsamen Lang
in die Stadt kommt, beginnt man zu erahnen, warum. Propagandistische
Wandgemälde kündigen den baldigen Beginn der Olympischen Spiele im fernen
Peking an.
Aus diversen Radios aber hört man Sprecher die Lage vor Ort in weniger
optimistischen Tönen erläutern. Im Zuge einer ominösen „Stadterneuerung“
sollen hier ganze Viertel abgerissen und die Bewohner umgesiedelt werden.
Viele Straßen wirken wie geräumt, nur vereinzelt sieht man ein paar alte
Menschen oder Sonderlinge herumsitzen. Wovon es viele gibt, zu viele, sind
Hunde, die sich in den menschenleeren Blöcken zu einer regelrechten Plage
entwickelt haben
Mit seiner Schweigsamkeit und einer gewissen demonstrativen physischen
Härte ähnelt Lang den Clint-Eastwood-Figuren aus den
60er-Jahre-Italo-Western. Was es mit ihm auf sich hat, erklärt sich allein
durch das, was andere über ihn sagen. Er kommt aus dem Gefängnis, erfährt
man durch nebenbei fallen gelassene Bemerkungen der Nachbarn, wo er
mindestens zehn Jahre lang als Verantwortlicher für einen Totschlag saß.
Die „Geisterstadt“ ist seine alte Heimat, hier war er gleich in zweifacher
Hinsicht berühmt: zum einen als Fahrer von Motorradstunts und zum anderen
als Rockmusiker. Viele verehren ihn dafür noch heute – der Mann im Café
möchte von ihm kein Geld nehmen und warnt ihn vor dem Metzger Hu, der es
immer noch auf ihn abgesehen hätte. Es stellt sich heraus, dass es Metzger
Hus Neffe war, für dessen Tod Lang in irgendeiner Weise verantwortlich ist.
Das alles könnte auf eine herkömmliche Resozialisierungsgeschichte
hinauslaufen, aber Guan Hu führt an Stelle der im Western üblichen
menschlichen Nemesis einen verwilderten Hund als Gegenspieler für Lang ein.
Die Feindschaft ist augenblicklich etabliert, als Lang sich an einer
Häuserecke erleichtert und mit wütendem Gebell ebenjener Hund
herausgeschossen kommt und Lang mit Bisswut vertreibt. Von der Sicherheit
des gegenüberliegenden Fensters beobachtet er, wie der Hund daraufhin die
von ihm bepisste Ecke seinerseits neu markiert. Es ist eine Annäherung der
besonderen Art.
## Ein prächtiger Tiger harrt noch im Zoo aus
So stehen gleich zwei Figuren im Zentrum dieser Geschichte, die sich nicht
sprachlich äußern, sondern allein über das, was sie tun und wie sie sich
verhalten. Das verleiht „Black Dog“ nicht nur einen lakonischen Charme, der
an frühe [2][Jim-Jarmusch-Filme] erinnert, sondern bündelt die
Aufmerksamkeit für all das, was es hier zu sehen gibt in seiner maroden,
melancholischen Schönheit. So streift die Kamera durch die verlassenen
Wohnblocks der 50er und 60er Jahre, denen der sozialistische Traum eines
effizienten Lebens wie eine leere Fratze eingeschrieben ist, oder entlang
der Käfige eines alten Zoos, aus dem die Mehrheit der Tiere schon entflohen
ist. Ein prächtiger Tiger harrt noch dort aus.
Die Wendungen, die die Freundschaft zwischen Lang und dem
persönlichkeitsstarken Hund nimmt, berühren mehr als dessen diverse
Erlebnisse mit der örtlichen Mafia ([3][Autorenfilmer Jia Zhangke], der
„Black Dog“ mitproduzierte, tritt hier als Schauspieler in Erscheinung)
oder die Racheversuche von Metzger Hu. Wie Jia Zhangke in seinen Filmen
zeichnet Gua Hu mit seiner Westernallegorie auch ein Porträt der
Marginalisierten, die im gewaltigen Transformationsprozess, den China
durchläuft, zurückgelassen werden. Das letzte Wort gibt er an Pink Floyd:
„Hey, you! Out there on the road!“
12 Dec 2024
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## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Film
China
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Schwerpunkt Berlinale
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