# taz.de -- Berlinale-Film „Girls on Wire“: Familie als Drahtseilakt | |
> Die chinesische Filmemacherin Vivian Qu erzählt in „Girls on Wire“ von | |
> Cousinen, die unter einer fordernden Familie leiden. Inklusive | |
> beeindruckender Choreografie. | |
Bild: Die zwei Kusinen bieten einander Halt inmitten der familiären Misere | |
Familiäre Wurzeln können Halt geben, Zugehörigkeit bedeuten – sie binden | |
aber auch an Menschen, die man lieber hinter sich gelassen hätte. Im | |
chinesischen Drama „Girls on Wire“ heißt [1][Verwandtschaft] vor allem | |
Verpflichtung und Verstrickung. Sie wirkt als unauflösbares Band, das zwei | |
gegensätzliche Kusinen immer wieder in ihre gemeinsame Vergangenheit | |
zurückzerrt. | |
Die jüngere der beiden Frauen, Tian Tian (Liu Haocun), ist gerade den | |
Fängen eines Drogenkartells entkommen. Umgehend macht sie sich auf die | |
Suche nach der älteren Fang Di (Wen Qi), die den Kontakt zur Familie | |
abgebrochen hat. Sie arbeitet nun als Stuntfrau in der [2][Filmstadt | |
Xiangshan], hauptsächlich in massenhaft für den chinesischen Markt | |
produzierten Wuxia-Filmen. | |
Ihren harten Alltag zeigt Regisseurin und Drehbuchautorin Vivian Qu in | |
eindrucksvoll choreografierten Sequenzen: Fang Di schwebt am Drahtseil über | |
Dächern oder wird als Schwertkämpferin für spektakuläre Kampfszenen in | |
eiskaltes Wasser getaucht. Sie nimmt noch die waghalsigsten Drehangebote an | |
– auch, um ihre Familie finanziell zu unterstützen. | |
Dass Tian Tian lediglich nach mehr Geld verlangt, vermutet Fang Di und | |
reagiert entsprechend abweisend auf ihr Wiedersehen. Weshalb die Familie | |
überhaupt derart darbt, leuchtet „Girls on Wire“ auf einer zweiten | |
Zeitebene aus: In Rückblenden entfaltet sich eine von Streit und | |
finanziellen Sorgen geprägte Kindheit, die untrennbar mit der Sucht von | |
Tian Tians Vater (Zhou You) verbunden ist. | |
Für harte Drogen erbettelt er sich ständig Geld von der Familie, zwingt | |
auch seine Tochter zu Betrügereien. Vor allem seine Schwester (Peng Jing), | |
die die familieneigene Textilfabrik ohnehin kaum finanziell über Wasser | |
halten kann, gibt ihrem Bruder aus Schuldgefühlen heraus immer wieder nach. | |
In ihrer ausweglosen Lage sind die Kusinen einander letzter Halt: Fang Di | |
wird für die jüngere Tian Tian zur Schutzfigur, ihre enge Bindung bildet | |
das emotionale Herzstück der Handlung. Vivian Qu aber kontrastiert es | |
überraschend mit actiongeladenen Verfolgungsszenen und Situationskomik: In | |
der Gegenwart sind Tian Tian bald tölpelhafte Schergen des Kartells, das | |
die Schulden des Vaters eintreiben will, auf den Fersen. Zwischenzeitlich | |
wird das Trio zu unfreiwilligen Statisten an einem Filmset – und „Girls on | |
Wire“ entwickelt sich zur Gaunerkomödie. Dieser schnelle Tonwechsel | |
irritiert bisweilen, auch fügen sich die unterschiedlichen Stile des Films | |
nicht immer zu einem stimmigen Ganzen zusammen. | |
Zwischen Melodram, Showbiz-Satire und Kritik am konfuzianischen Prinzip der | |
kindlichen Pietät wird „Girls on Wire“ allerdings zu einem einnehmend | |
eigensinnigen Spektakel, in dem auch viel [3][chinesische Zeitdiagnose] | |
steckt. Das familiäre Grundmotiv gerät dabei nicht aus dem Blick: Bis | |
zuletzt bleibt spannend, ob den Kusinen der Schritt in die Freiheit | |
gelingt. | |
18 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Living-the-Land-von-Huo-Meng/!6066606 | |
[2] /Thriller-City-of-Darkness-im-Kino/!6048580 | |
[3] /Chinesischer-Post-Western-Black-Dog/!6051861 | |
## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Berlinale | |
China | |
Actionfilm | |
Gesellschaftskritik | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Film | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Animationsfilm über queere Galaxie: Heartbreak im Gay Space | |
Der Berlinale Film „Lesbian Space Princess“ spielt mit queerer Popkultur – | |
und persifliert den heteronormativen Zeitgeist. | |
Der Film „Blue Moon“ bei der Berlinale: An nur einem Abend an der Bar | |
Richard Linklaters „Blue Moon“ erzählt flamboyant von der dramatischen | |
Lebensgeschichte eines Hollywood-Musicaltexters. Der Film läuft im | |
Wettbewerb. | |
„Dreams (Sex Love)“ auf der Berlinale: Die Grammatik der ersten Liebe | |
In „Dreams (Sex Love)“ verliebt sich eine 17-Jährige in ihre Lehrerin. Dag | |
Johan Haugerud erzählt feinfühlig von Wucht und Folgen ihrer Gefühle. | |
„Living the Land“ von Huo Meng: Vor der großen Landflucht | |
Der Spielfilm „Living the Land“ von Huo Meng spürt den gesellschaftlichen | |
Umbrüchen im Dorfalltag einer chinesischen Großfamilie nach. | |
Chinesischer Post-Western „Black Dog“: Schweigsame Gefährten | |
Guan Hus „Black Dog“ ist ein melancholischer Spielfilm. Er nutzt das Genre | |
des Western für ein Porträt von Marginalisierten in der chinesischen Wüste. | |
Film „Sleep With Your Eyes Open“: Dauerhafte Durchreise | |
Der Film „Sleep With Your Eyes Open“ erzählt von jungen Chinesinnen, die in | |
Brasilien arbeiten. Ihr Leben führen sie in einer luxuriösen Parallelwelt. |