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# taz.de -- „Living the Land“ von Huo Meng: Vor der großen Landflucht
> Der Spielfilm „Living the Land“ von Huo Meng spürt den gesellschaftlichen
> Umbrüchen im Dorfalltag einer chinesischen Großfamilie nach.
Bild: Xu Chuang (Wang Shang) und Li Xiuying (Zhang Chuwen) in „Living the Lan…
Chuang wächst bei seinen Großeltern in einem traditionellen Bauerndorf auf.
Die Eltern arbeiten seit seiner Geburt in der weiter südlich gelegenen
Stadt Shenzhen, im Jahr 1991 bereits eine boomende
[1][Sonderwirtschaftszone] in der Volksrepublik China.
Aus der distanziert beobachtenden Perspektive des Jungen erzählt „Living
the Land“ anhand kleiner Begebenheiten und Dramen im ländlichen Alltag von
der großen Transformation der chinesischen Gesellschaft in jener Zeit. Mit
sorgfältig durchkomponierten Kameraeinstellungen und im Zyklus der
Jahreszeiten verfolgt der 1984 geborene Regisseur und Drehbuchautor Huo
Meng in einer episch angelegten Erzählung das Dorf- und Familienleben.
Diese ruralen Szenenbilder erinnern zuweilen an die [2][großformatigen
Fotografien Jeff Walls.] Sie wirken wie Gemälde.
Im traditionellen Verbund der bäuerlichen Großfamilie bestellen die
Großeltern Li das Pachtland von überschaubarer Größe. Noch wird der Weizen
mühsam mit Sichel und Dreschflegel unter Einsatz vieler Hände geerntet.
„Warum passieren uns so viele schlechte Dinge?“, klagt Chuangs Großmutter
mehr und mehr verzweifelt. Die Herausforderungen der bescheidenen
Lebensverhältnisse sind allgegenwärtig. Die Ankunft eines blauen
Transporters beim Besuch des Parteisekretärs im Dorf wird da zu einer
willkommenen Abwechslung und zum Spielplatz für die Kinder.
In der Volksrepublik China hatte der Parteivorsitzende Deng Xiaoping 1978
die kollektivierte Landwirtschaft Maos auf dem Pachtweg reprivatisiert.
Auch die Verwaltung der Gemeinden wurde dezentralisiert. Ab 1980 wurde die
Ein-Kind-Politk nicht mehr ganz so strikt verfolgt und besonders auf dem
Land durch zahlreiche Ausnahmeregelungen umgangen.
## Andenken an die Ahnen
Diese großen politischen Entscheidungen nehmen auch Einfluss auf das Leben
der Protagonisten in „Living the Land“. Doch weiterhin präsent und
bedeutsam bleiben für Urgroßmutter, Großeltern, Onkel und Tanten
überlieferte [3][Rituale und Traditionen, das Andenken an die Ahnen] sowie
die teils traumatischen Erfahrungen aus der Zeit des Bürgerkriegs in China.
Im Zusammenleben mit den Alten erscheinen dem Enkel diese Überlieferungen
selbstverständlich gegenwärtig.
Die Vorbereitungen zu einer aufwendig choreografierten, traditionellen
Bestattung bilden den Auftakt in Huo Mengs Filmerzählung. Auch Chuangs
Eltern reisen für das wichtige Ereignis aus der fernen Stadt an, und ein
festlicher Trauerumzug führt mit den Dorfbewohnern zu den Gräbern neben den
Äckern.
Besonders mit seiner Tante Xiuying verbindet Chuang ein enges Verhältnis,
er teilt mit ihr ein Geheimnis. Doch während die Zukunft für den Jungen
noch offen scheint, haben Familientradition, Armut und der Parteisekretär
bereits über das Schicksal der jungen Frau entschieden.
Über die zahlreichen Biografien der Großfamilie Li entwickelt Regisseur Huo
Meng eine diskret inszenierte Auseinandersetzung über die politischen und
ökonomischen Umwälzungen des Landes. Damit gelingt ihm das eindrucksvolle
Porträt eines historischen Kippmoments in überraschenden Bildern aus dem
Abseits.
14 Feb 2025
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## AUTOREN
Eva-Christina Meier
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