# taz.de -- Voodoo im westafrikanischen Benin: Unter Göttern | |
> Zangbeto, der Wächter der Nacht, erscheint. Für Pockengott Sakpata stehen | |
> schwarze Tupfen. Voodoo erlebt in Benin eine Renaissance. | |
Bild: Auf dem Voodoo-Festival | |
Am Strand von [1][Ouidah] im westafrikanischen Benin ist die Tribüne bis | |
auf den letzten Platz besetzt. Auf dem Festgelände ist Kunstrasen | |
ausgelegt, ein Rednerpult aufgebaut, Musik dröhnt aus den Boxen. Hunderte | |
Menschen – darunter viele Tourist*innen aus Europa – quetschen sich auf | |
die Stühle oder hocken im Sand, um mit ihren Smartphones wie Kameras mit | |
Teleobjektiv Fotos von der Parade der Gottheiten und royalen | |
Vertreter*innen zu machen. Abordnungen sind aus dem ganzen Land und den | |
Nachbarstaaten angereist. Reiseleiter*innen helfen bei der Platzsuche | |
und versuchen die Bedeutung der Tänze und Trommelklänge zu erklären. | |
Irgendwann surren fünf Drohnen über den Festplatz. | |
Christian Houetchenou, der Bürgermeister der Stadt, von der aus einst | |
Sklav*innen nach Amerika verschifft wurden, lobt, dass die Regierung von | |
Patrice Talon Ouidah zum Zentrum der indigenen Religion machen will. | |
Jean-Michel Ambimbola, der Minister für Tourismus, Kultur und Kunst, setzt | |
noch eins drauf: Benin müsse wie Mekka zum Pilgerziel werden, nur eben für | |
Anhänger*innen und Neugierige der Voodooreligion. Das Interesse daran | |
sei schon jetzt bei Filmemacher*innen, Kunstschaffenden wie | |
Wissenschaftler*innen immens. | |
Um noch mehr Interessierte anzulocken, lässt die Regierung ein Museum bauen | |
und plant ein großes [2][Voodoofestival]. Bisher beschränkt sich die | |
öffentliche Feier auf den 10. Januar, den nationalen Feiertag der indigenen | |
Religionen in Benin. | |
Voodoo galt in Benin lange als rückständig, der Besuch einer Kirche | |
hingegen als modern. [3][Nicéphore Dieudonné Soglo], von 1991 bis 1996 | |
Präsident des Landes, setzte sich dennoch für einen Voodoofeiertag ein. Die | |
Nationalversammlung verabschiedete 1997 ein entsprechendes Gesetz. Der | |
Regierung von Präsident Talon, der bei jeder Gelegenheit betont, [4][Benin] | |
zur Tourismusdestination zu machen, gelingt es, Voodoo als ein | |
Markenzeichen zu etablieren. Zumindest für wenige Tage sind schon jetzt | |
dank der großen Feier in Ouidah die Restaurants voll besetzt und die | |
Hotelzimmer ausgebucht. | |
## Die Religion der Ahnen | |
Diese Art Großveranstaltungen bieten allerdings auch Beniner*innen die | |
Möglichkeit, wieder mit der Religion ihrer Ahnen in Kontakt zu kommen. Um | |
den Hals der 20-jährigen Lucréce Tossou baumelt ein kleines Goldkettchen | |
mit einem Kreuz daran. Zu Voodoo hatte sie bisher keine Beziehung, sagt sie | |
und muss gegen den Lautsprecher anbrüllen. „Hier an den Strand von Ouidah | |
komme ich zwar. Das Fest habe ich aber bisher nicht besucht. Es hat mir | |
aber gut gefallen.“ Gemeinsam mit Freund*innen hat sie sich die Feier | |
angeschaut. Einige von ihnen würden Voodoo auch praktizieren. Lucréce | |
Tossou selbst sei aber Christin. „Es ist das, was mir zusagt“, sagt sie, | |
will dazu mehr nicht erklären. | |
Die Parade der Gottheiten macht es leicht, Interesse für die alte Religion | |
zu wecken. Zahlreiche Gruppen repräsentieren verschiedene Götter, etwa | |
Gambada, die um Hilfe gebeten wird, wenn es in der Ehe nicht so richtig | |
läuft, ein Nebenbuhler auftritt oder Frauen nicht schwanger werden. Für | |
Sakpata, den Pockengott, werden Zeremonien durchgeführt, wenn jemand krank | |
geworden ist. Charakteristisch für ihn sind schwarze Tupfen auf weißer | |
Fläche. Ist in einem Dorf um einen alten Baum ein weißes Laken mit Punkten | |
gebunden, ist klar: Hier wird Sakpata verehrt. | |
Begeisterung bei den Zuschauer*innen löst aber vor allem Zangbeto aus, | |
der Wächter der Nacht. Er erscheint in der Gestalt unzähliger kleiner | |
Bastfäden. Es heißt, die Menschen unter dem Gestell fallen in Trance, wenn | |
sie bei Auftritten umherwirbeln und sich über den Boden rollen. | |
Nachdem die offizielle Feier beendet ist, geht die Party am Strand weiter. | |
Dort unterhält sich Martin Lissanou mit Bekannten. Alle sind sich einig: | |
Die Feier ist gelungen und das Publikum war zufrieden. Der grauhaarige Mann | |
trägt eine geschneiderte Hose und ein passendes Hemd dazu. Darauf gedruckt | |
ist das Gesicht von [5][Bernardin Gantin]. Der spätere Kardinal war | |
Westafrikas erster nicht aus Europa stammender katholischer Erzbischof. | |
Seine Beliebtheit hält bis heute an. Ein Widerspruch ist das für Lissanou | |
nicht: „Hier in Benin haben wir keinen Krieg der Religionen. Wir sind doch | |
die gleichen Menschen.“ | |
In Ouidah wird das deutlich. Mitten in der Stadt steht der Pythontempel. | |
Die Außenmauern sind frisch gestrichen. Vor allem im Januar ist das Gebäude | |
eine Touristenattraktion. Wer möchte, kann sich eine Python um den Hals | |
legen und sich fotografieren lassen. Gleichzeitig handelt es sich auch um | |
einen aktiven Tempel, in dem religiöse Zeremonien durchgeführt werden. | |
Keine 50 Meter entfernt steht gegenüber die christliche, 1909 geweihte | |
Basilika der Unbefleckten Empfängnis. „Sie konnte nur gebaut werden, weil | |
die Voodoopraktizierenden den Missionaren beim Bau geholfen haben. Sie | |
haben ihnen Baumaterial und Werkzeuge gebracht“, sagt Lissanou. Voodoo habe | |
am Golf von Guinea existiert, lange bevor „die Weißen“ das Christentum | |
mitgebracht haben. „Und seien wir doch einmal ehrlich: Wir beten alle zu | |
einem Gott.“ | |
## Die Ursprünge des Voodoo | |
Über Voodoo sind mittlerweile zahlreiche Bücher erschienen. Wer jedoch | |
nicht mit der Religion aufgewachsen ist, kann die komplexe Götterwelt kaum | |
begreifen und trifft ständig auf neue Gottheiten und auch Widersprüche. | |
Der Begriff Voodoo stammt aus der Sprache Fon, die am stärksten im Süden | |
Benins verbreitet ist. Das Wort bedeutet Gottheit oder Geist. Mit Mawu-Lisa | |
existiert ein Schöpfergott, der aber zu weit entfernt ist, um mit ihm | |
selbst zu sprechen. Mittler*innen sind mehrere Hundert Gottheiten, die | |
manchmal als eigene Götter, manchmal als deren Kinder bezeichnet werden. | |
Viele haben spezielle Aufgaben. Donnergott Hevioso soll beispielsweise | |
Dieb*innen und Lügner*innen verjagen. Ogun gilt als Gott der | |
Metallbearbeitung. In Zeremonien hat jede Gottheit eigene Gesänge und | |
Trommelklänge und für Opfergaben ganz besondere Vorlieben. | |
Einige der Gottheiten sind zwischen dem Westen Nigerias bis nach Ghana | |
bekannt. Andere werden nur von einer bestimmten Ethnie verehrt. Dazu kommen | |
Geheimbünde, Ahnenkulte und das Fa-Orakel, das bei entscheidenden | |
Lebensfragen um Rat gebeten wird. Mithilfe von Meeresschnecken oder kleinen | |
Holzscheiben befragt ein Wahrsager das Orakel, deutet anschließend die | |
Antwort und erklärt, welcher Gottheit wie geopfert werden muss, um | |
anstehende Probleme aus der Welt zu schaffen. Voodoo ist eine pragmatische | |
Religion. | |
Höchster Voodoovertreter in Benin ist Daagbo Honoun Houna II., dessen | |
Palast in Ouidah steht. Wie viele Priester*innen es allerdings gibt, | |
kann niemand sagen. Die Strukturen sind dezentral. Häufig übernehmen Söhne | |
das Amt von ihren Vätern. Wer ihm nachfolgt, das bestimmt ebenfalls das | |
Fa-Orakel. Priesterinnen wiederum wählen meist weibliche Gottheiten wie | |
Mami Wata. | |
Im Globalen Norden ist Voodoo vielfach in Hollywoodfilmen popularisiert | |
worden, in denen Zombies und Nadelpuppen auftauchen. Angeblich sollen damit | |
Feinde bestraft werden. Von denen ist in Benin aber nichts zu sehen. Der | |
Glaube an die alten Götter und die Rituale, bei denen regelmäßig Hühner und | |
Ziegen geopfert werden, wirkt nicht mehr zeitgemäß. | |
## Übernatürliche Kräfte | |
Auch schwingt eine gewisse Angst mit. In der Wirtschaftsmetropole Cotonou | |
lebt Bonaventure Awa, ein junger Deutschlehrer. Auf die Frage, was er von | |
Voodoo hält, antwortet er sehr zurückhaltend: „Voodoo ist hier in Afrika | |
eine besondere Gottheit. Manche glauben daran, manche nicht.“ Er sorgt | |
sich, dass Voodoo für Böses genutzt werden könnte. Die Religion könne | |
Menschen verzaubern, ja sogar umbringen. | |
Bis heute werden in der Region viele Schicksalsschläge mit übernatürlichen | |
Kräften erklärt. Man kommt nicht bei einem Autounfall ums Leben, weil das | |
Fahrzeug technische Probleme hatte oder jemand den Unfall verursacht hat, | |
sondern weil Wünsche der Ahnen nicht respektiert worden seien oder von | |
ihnen geforderte Zeremonien nicht stattgefunden hätten. Die Opfer für die | |
Gottheiten werden häufig auf Straßenkreuzungen aufgestellt, die mithilfe | |
des Fa-Orakels ausgewählt worden sind. Niemand mag mit seinem Auto über die | |
kleinen Körbchen fahren, weil das Unglück bringen soll. | |
Bonaventure Awa betont: „Ich glaube an Gott. Ich bin Katholik.“ Den 10. | |
Januar verbringt er deshalb lieber zu Hause. Er sei er mit Voodoo nicht | |
mehr aufgewachsen. „Meine Eltern wollen davon nichts hören. Wir sind alle | |
getauft.“ Trotzdem erlebt er, dass sich junge Menschen zunehmend mit der | |
alten Religion befassen. | |
Das geht mit der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit einher. | |
Spätestens die Rückgabe von Thronen, Zeptern und Statuen, die die | |
französischen Truppen Ende des 19. Jahrhunderts aus den Königspalästen von | |
Abomey geraubt haben, hat Interesse an der eigenen Geschichte wieder | |
geweckt und Wertschätzung dafür geschaffen. | |
Ob das den Trend stoppt? Offiziell geben heute noch knapp 12 Prozent der 13 | |
Millionen Einwohner*innen Benins an, Voodoo-Anhänger*innen zu sein. | |
Doch die Zahlen sinken stetig. Noch ist die katholische Kirche stark, und | |
jede*r vierte Einwohner*in bekennt sich zu ihr. Doch die Zahl der | |
evangelikalen und der Pfingstkirchen steigt. Viele von ihnen haben ihren | |
Ursprung im Nachbarland Nigeria. Vor allem dort werden indigene Religionen | |
gerne verteufelt. | |
## Eine Religion ohne feste Strukturen | |
Es ist kurz vor halb sieben in Sado, einem Dorf im Südosten Benins kurz vor | |
der Grenze zu Nigeria gelegen. Nur eine einzige Piste aus rötlich-braunem | |
Sand führt in den Ort, über die man am besten mit einem Moped fährt. Es | |
dämmert, Tau tropft von den Palmen und Vögel singen. Die „Vereinigung | |
indigener Religionen im Departement Ouémé“ hat sich für diesen | |
Freitagmorgen einen besonders entlegenen Ort ausgesucht. | |
Zweimal in der Woche fahren Mitglieder des Voodootempels im Departement | |
Ouémé an und wollen vor allem mit jungen Menschen ins Gespräch kommen. | |
Häuser, in denen Voodoopriester leben, sowie kleine Schreine an | |
Straßenrändern sind in den Dörfern im Süden noch allgegenwärtig, selbst | |
wenn auch an den entlegensten Orten mehr und mehr Kirchen auftauchen. | |
Was der alten Religion allerdings fehlt, sind feste Strukturen, sagt | |
Setondji Ado Adanklounon, Präsident der Vereinigung. Mit dem Feiertag am | |
10. Januar sei Voodoo zwar einmal im Jahr allgegenwärtig. Auch seine | |
Organisation hat in der Hauptstadt Porto Novo ein großes Fest organisiert. | |
„Aber junge Menschen verlieren ihre Wurzeln“, seufzt der Präsident, der als | |
Wahrsager auch für Hörer*innen eines Radiosenders das Fa-Orakel befragt. | |
„Ihnen gelingt es nicht mehr, wieder einen Zugang zu finden.“ In seiner | |
Generation sei das noch anders gewesen. „Meine Eltern haben mir die | |
Religion vermittelt. Sie tut mir gut.“ | |
Wenn die Eltern die Überlieferung der Voodooreligion nicht mehr | |
weitergeben, dann muss das sein Verein übernehmen. Auf einer Liste stehen | |
mehr als 300 Tempel, vor denen über Voodoo informiert werden soll. Es ist | |
ein ehrgeiziges Ziel. Zeremonien finden nur bei konkreten Anliegen oder bei | |
einem Sterbefall statt. Regelmäßige Treffen gibt es nicht, was ein Nachteil | |
sei: „Gerade wenn junge Menschen nirgendwo die frohe Botschaft ihrer | |
Religion finden, müssen sie irgendwann in die Messe gehen“, sagt | |
Adanklounon. | |
Der Präsident des Voodootempels hat sich abgeschaut, wie es in Kirchen | |
funktioniert. Berührungsängste kennt er nicht. „Selbst mein eigenes Kind | |
ist doch katholisch und hat die Kommunion empfangen. Wenn es aber für mich | |
an einer großen Zeremonie teilnehmen soll, dann folgt es.“ Vor einer Gruppe | |
Interessierter – die Frauen sitzen auf der einen Seite, die Männer auf der | |
anderen – lobt er die Religion seiner Vorfahren. Eine Frau geht mit einem | |
geflochtenen Korb durch die Reihen. Fast alle Anwesenden legen ein paar | |
Münzen oder einen Schein hinein – wie eine Kollekte in einem christlichen | |
Gottesdienst auch. Anschließend wird gesungen. | |
In Sado sind fast alle Plätze besetzt. Wer gekommen ist, kennt sich bereits | |
mit Voodoo aus. Die Frauen haben Muster in ihre Haut ritzen lassen. Sie | |
sind Initiiere, also in die Religion Eingeführte. Die Männer haben aus | |
Ehrerbietung ein Tuch um die Hüften geschlungen und ein Handtuch über die | |
Schultern gelegt. Alle laufen barfuß. Abseits steht eine Gruppe junger | |
Männer, die vorsichtig das Geschehen beobachtet. | |
Eine Stunde dauert das Treffen. Dann müssen viele Besucher zur Arbeit und | |
die Versammlung löst sich auf. Auch wenn keiner der Neugierigen Setondji | |
Ado Adanklounon oder ein anderes Vorstandsmitglied angesprochen hat, ist er | |
zufrieden. Er wird Voodoo wieder bekannter und populärer machen. „Die | |
Jungen werden zurückkehren. So etwas Gutes darf man doch nicht ablehnen.“ | |
19 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ouidah | |
[2] https://www.exploring-africa.com/en/benin/ouidah-voodoo-festival-benin | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Nic%C3%A9phore_Dieudonn%C3%A9_Soglo | |
[4] /Islamistische-Gewalt-in-Benin/!5840271 | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Bernardin_Gantin | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Voodoo | |
Benin | |
GNS | |
Podcast „Vorgelesen“ | |
Benin | |
Bildungssystem | |
Benin | |
Bildende Kunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Religion in Benin: Tourismus statt Glaube | |
Bei den Voodoo-Tagen geht es vor allem um volle Hotels und Restaurants. | |
Über die Götterwelt der indigenen Religion erfahren Gäste hingegen wenig. | |
Bildung in Westafrika: System aus der Kolonialzeit | |
Die Folgen der Kolonialzeit sind in vielen Ländern Afrikas zu spüren. Das | |
betrifft neben der Unterrichtssprache auch das vermittelte Wissen. | |
Beerdigungen in Benin: Schöner sterben | |
Der wichtigste Tag im Leben ist der Todestag – spottet man in Benin. Die | |
Party ist pompös. Denn mit den Toten darf man es sich nicht verscherzen. | |
Graffiti-Festival in Benin: Wo Amazonen und Ufos landen | |
Der Kunst des Graffiti gelten in afrikanischen Ländern vermehrt Festivals. | |
In Benin laufen die Bilder über 660 Meter einer Hafenmauer. |