# taz.de -- Tom Tykwers „Das Licht“: Den Zeitgeist ausbeuten | |
> O mamma mia, mamma mia! Die Berlinale eröffnet mit Tom Tykwers lautstark | |
> angekündigtem Film „Das Licht“ (Berlinale Special). | |
Bild: Farrah (Tala Al-Deen) in „Das Licht“ | |
„Is this the real life? Is this just fantasy?“ So fragte Freddy Mercury vor | |
50 Jahren im Queen-Song „Bohemian Rhapsody“, und so fragt jetzt der | |
kindliche Dio (Elyas Eldridge), der das Lied soeben für sich entdeckt hat | |
und bei jeder Gelegenheit im Familienkreis mit Inbrunst und leicht schiefer | |
Intonation vorträgt. Es ist ein Leitmotiv in Tom Tykwers „Das Licht“, dem | |
Eröffnungsfilm der Berlinale, zugleich sein erster Spielfilm seit der | |
[1][Literaturverfilmung „Ein Hologramm für den König“ von 2016]. | |
Dazwischen lagen fünf Staffeln der [2][Erfolgsserie „Babylon Berlin“], und | |
in der Zeit scheint bei Tykwer einiges aufgelaufen zu sein. Als große | |
Gegenwartserzählung tritt sein neuer Film an, fast keine drängende Frage | |
wird ausgelassen. | |
Bei der Berliner Familie Engels, um die es in dieser Geschichte geht, | |
landen sie als Verhandlungsmasse auf dem Küchentisch ihrer Altbauwohnung | |
und sorgen für ausführliche Wortbeiträge zur Lage der Welt. Wobei | |
bemerkenswert ist, dass insbesondere die Eltern Engels sehr viel reden, | |
aber wenig miteinander. | |
Tim Engels (Lars Eidinger) arbeitet in einer Agentur, deren „Claims“ den | |
Zeitgeist weniger auf den Punkt bringen als ausbeuten. Man macht sich in | |
lockerer Runde Gedanken über Konsumverhalten und Klima, alles zum Zweck des | |
Greenwashings großer Unternehmen. Tim fährt ständig mit dem Fahrrad durch | |
die Stadt, und da es in diesem Berlin fast permanent in Strömen regnet, | |
trägt er einen Fahrradponcho, dessen dunkel glänzendes Material weniger an | |
Funktionskleidung als an Latex-Fetisch denken lässt. | |
## Keine Zeit für Familie | |
Milena Engels (Nicolette Krebitz) fliegt unterdessen viel im Flugzeug nach | |
Nairobi, wo sie als Freiberuflerin ein Kulturprojekt betreut, das mit | |
Bundesgeldern finanziert wird, weshalb sie für die Fortsetzung der | |
Förderung fast genauso häufig im Ministerium vorsprechen muss. Sie hängt | |
ununterbrochen am Telefon, nimmt die Familie kaum wahr. Was beim Sohn Jon | |
(Julius Gause) nicht schwierig ist, er zieht sich die meiste Zeit in sein | |
Zimmer zurück, wo er in den Tiefen eines VR-Spiels versinkt. Und seine | |
Zwillingsschwester Frieda (Elke Biesendorfer) geht mit ihren Freunden | |
bevorzugt auf Raves, wo man synthetische Drogen nimmt. | |
Ausgerechnet die bedröhnte Frieda ist es, die eines Tage entdeckt, dass die | |
Haushälterin tot auf dem Küchenboden liegt. Herzinfarkt. Rasch soll eine | |
neue Hilfe her. In Farrah (Tala Al-Deen), die vor fünf Jahren aus Syrien | |
geflüchtet ist, findet die Familie eine Nachfolgerin. | |
Mit „Das Licht“ wollte Tykwer, wie im Vorfeld verlautete, an seinen Hit | |
[3][„Lola rennt“ von 1999] anknüpfen. Es ist allemal ein neuer Berlin-Film | |
geworden, und wenn man so möchte, rennen auch jetzt die Protagonisten. Auf | |
ihre je eigene Art laufen Tim, Milena, Frieda und Jon vor sich weg und | |
stecken doch dabei fest. | |
Allein Dio, der aus einer außerehelichen Liaison Milenas stammt, bringt | |
eine andere Dynamik hinein und bietet Tykwer viel Gelegenheit, das | |
choreografische Potenzial von Dios neuem Lieblingssong „Bohemian Rhapsody“ | |
in Szene zu setzen. | |
## Lichttherapie | |
Die größte Veränderung in dieser verfahrenen heimischen Lage bewirkt | |
allerdings Farrah. Sie hat nicht bloß psychologische Kenntnisse, die sie | |
bei den Engels einbringt, sie hat auch das Licht, dem der Film seinen Titel | |
verdankt. Eine „Hochfrequenz-LED-Lampe“ lässt Lichtimpulse durch die | |
geschlossenen Augenlider dringen und löst Prozesse aus, bei denen vom | |
Körper das Halluzinogen Dimethyltryptamin, kurz DMT, ausgeschüttet wird. So | |
geschieht es zumindest im Film. Der Apparat wird für die Handlung noch sehr | |
wichtig, auch für Farrahs eigene ungelöste Nöte, die mit ihrer Flucht aus | |
Syrien zu tun haben. | |
Tykwer hat sich viel vorgenommen und will nach eigenem Bekunden ganz | |
bewusst, dass die Handlung in ihrer Fülle eher zu viel als zu wenig ist. | |
Die Frage ist, ob er dafür eine Form gefunden hat, die daraus ein Erlebnis | |
macht, das man sich mit Gewinn ansieht. Doch die Dialoge sind in ihrer | |
ungefilterten Probleme-abkübel-Manier auf Dauer zu monoton, ganz selten | |
schummelt sich ein Witz darunter, der zündet. Tykwer hat keine Angst vor | |
Pathos oder Kitsch, und in dieser Hinsicht schreitet er auch diesmal mutig | |
voran. | |
13 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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