# taz.de -- Film zu Mölln-Anschlag auf der Berlinale: Verantwortung der Gegenw… | |
> Haben wir aus Mölln, Hanau und Halle gelernt? „Die Möllner Briefe“ von | |
> Martina Priessner behandelt Erinnerung, Trauma und gesellschaftliches | |
> Versagen. | |
Bild: 1992 starben Yeliz Arslan (10J.), Ayşe Yılmaz (14 J.) und ihre Großmut… | |
Drei Jahrzehnte nach den rassistischen Brandanschlägen von Mölln bringt der | |
Dokumentarfilm „Die Möllner Briefe“ von Martina Priessner eine lange | |
verdrängte Wahrheit ans Licht: die Stimmen der Überlebenden und die | |
jahrzehntelang unbeachtete Solidarität mit ihnen. Weit mehr als eine bloße | |
Aufarbeitung eines Verbrechens, ist er eine schmerzhafte Erinnerung daran, | |
wie Deutschland mit rechter Gewalt umgeht – und wie vielschichtig das | |
Schweigen darüber sein kann. | |
Am 23. November 1992 legen Neonazis Feuer in zwei Wohnhäusern in Mölln. | |
Drei Menschen sterben: die zehnjährige Yeliz Arslan, ihre 14-jährige | |
Cousine Ayşe Yılmaz und ihre Großmutter Bahide Arslan, die kurz zuvor ihren | |
siebenjährigen Enkel İbrahim rettet. Während die Täter verurteilt werden, | |
bleiben die Betroffenen in der öffentlichen Erinnerung oft unsichtbar. | |
Priessners Berlinalebeitrag setzt genau hier an: Erst 27 Jahre nach dem | |
Anschlag entdeckt İbrahim Arslan zufällig Hunderte Solidaritätsbekundungen, | |
die an die Stadt Mölln geschickt, aber nie an die Familie weitergegeben | |
wurden. Worte der Unterstützung wie „Wir denken an euch“ oder „Ihr seid | |
nicht allein“ bleiben jahrzehntelang ungelesen. | |
Für Priessner war es essenziell, weg vom Täternarrativ zu gehen und | |
stattdessen die Frage zu stellen: Wie schützen wir als Gesellschaft die | |
Betroffenen? Ihr Film rückt nicht die Täter oder ihre Ideologie in den | |
Fokus, sondern gibt den Überlebenden Raum und lässt ihre Perspektive im | |
Zentrum der Erinnerungskultur stehen. Für Ibrahim Arslan ist klar, dass | |
noch viele weitere archivierte Briefe in ganz Deutschland existieren | |
müssen, die die Betroffenen nie erreicht haben. Deshalb ruft er dazu auf, | |
sich aktiv auf die Suche nach diesen Botschaften zu machen – denn neben den | |
schrecklichen Ereignissen gibt es nichts Wertvolleres als Solidarität und | |
die Hilfe der Menschen. | |
Priessner begleitet Arslan bei der Konfrontation mit dieser späten, doch | |
tiefgehenden Form der Anerkennung und geht diesem Unrecht mit | |
beeindruckender filmischer Sensibilität nach. Die visuelle Gestaltung ist | |
geprägt von ruhiger, intensiver Kameraarbeit, verantwortet von Ayşe | |
Alacakaptan, Julia Geiß, Ute Freund und Anne Misselwitz. | |
Sie setzen stark auf Nahaufnahmen der Protagonist:innen, wodurch deren | |
Emotionen spürbar werden. Archivaufnahmen und Aufnahmen aus Mölln verweben | |
Vergangenheit und Gegenwart. Ergänzt wird die Bildsprache durch | |
eindringliche Musik von Derya Yıldırım, die mit melancholischen | |
anatolischen Klängen und modernen Arrangements eine zusätzliche emotionale | |
Tiefe schafft. | |
Ihre Kompositionen verstärken die Nachdenklichkeit des Films, | |
unterstreichen die Verbindung zwischen individueller Erinnerung und | |
kollektiver Geschichte. Der Film übt scharfe Kritik an der deutschen | |
Erinnerungskultur, die bis heute mit rassistischer Gewalt hadert. Während | |
rechte Netzwerke stärker werden, fehlt meist die Perspektive der | |
Betroffnen. | |
İbrahim Arslan betont immer wieder, dass Opfer keine Statisten der eigenen | |
Geschichte sind, sondern aktive Zeug:innen. Der Film macht deutlich, dass | |
sich ein Muster aus Verdrängung und Verharmlosung wiederholt – und stellt | |
die drängende Frage: Haben wir aus Mölln, Hanau und Halle gelernt? | |
Priessner hält der Gesellschaft einen Spiegel vor und zeigt: Erinnern ist | |
keine Pflicht der Vergangenheit, sondern eine Verantwortung der Gegenwart. | |
„Die Möllner Briefe“ ist ein Film, der wehtut. Ein Film, der wütend macht. | |
Und ein Film, der gleichzeitig Hoffnung gibt – weil er zeigt, dass es | |
Menschen gibt, die sich gegen das Vergessen wehren. | |
14 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Derya Türkmen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Rechtsextremismus | |
Brandanschlag | |
Gedenken | |
Nazis | |
Social-Auswahl | |
Rechtsruck | |
Mölln | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Filmfestival | |
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
Solingen | |
Psychedelic-Rock | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Linzer Filmfestival „Crossing Europe“: Schwerpunkt Ukraine | |
Das Linzer Filmfestival Crossing Europe gab sich mit 142 Filmbeiträgen aus | |
42 Ländern thematisch vielfältig und – trotz aller Krisen – proeuropäisc… | |
Dokumentarfilm „Das deutsche Volk“: Eiskalte Bürokratie | |
Marcin Wierzchowski lässt die Angehörigen der Opfer des Anschlags von Hanau | |
zu Wort kommen. Zu sehen ist der Film auf der Hamburger Dokfilmwoche. | |
Brandanschlag von Solingen: Freundin des Angeklagten weist Vorwürfe zurück | |
Bei dem Anschlag waren vier Menschen gestorben. Die Freundin des | |
Angeklagten will nichts von rechtsextremen Inhalten einer Festplatte | |
gewusst haben. | |
Album von Derya Yıldırım & Grup Şimşek: Zwischen Nähe und Distanz | |
„Yarın Yoksa“, das neue Album der Künstlerin Derya Yıldırım und ihrer … | |
Grup Şimşek, schneidert Anadolurock ein zeitgenössisches Gewand. | |
5. Jahrestag des Anschlags: „Die Stadt Hanau ist schuldig“ | |
Am fünften Jahrestag des rassistischen Anschlags gedenken die Angehörige | |
der Opfer. Sie üben scharfe Kritik an den ebenfalls anwesenden Politikern. | |
Tom Tykwers „Das Licht“: Den Zeitgeist ausbeuten | |
O mamma mia, mamma mia! Die Berlinale eröffnet mit Tom Tykwers lautstark | |
angekündigtem Film „Das Licht“ (Berlinale Special). | |
Berlinale Retrospektive: Flirt mit dem Genrekino | |
„Wild, schräg, blutig“: Die Retrospektive widmet sich deutsch-deutschen | |
Filmen der 1970er. Lust am Trash überwiegt, Werke von Regisseurinnen | |
fehlen. | |
Berlinale Forum Special: Tragödie Transamazônica | |
Bei der heute beginnenden Berlinale läuft Jorge Bodanzkys Roadmovie | |
„Iracema“ über die Bewohner des brasilianischen Regenwaldes und dessen | |
Zerstörung. |