| # taz.de -- Berlinale Forum Special: Tragödie Transamazônica | |
| > Bei der heute beginnenden Berlinale läuft Jorge Bodanzkys Roadmovie | |
| > „Iracema“ über die Bewohner des brasilianischen Regenwaldes und dessen | |
| > Zerstörung. | |
| Bild: Iracema (Edna de Cássia) auf dem Boot | |
| Die nächste [1][Weltklimakonferenz COP 30 wird Ende 2025 in Belém] im | |
| brasilianischen Amazonasgebiet stattfinden. An dem heutigen Schauplatz | |
| dramatischer Umweltzerstörung filmte Jorge Bodanzky 1974 mit einem kleinen | |
| Team und einer 16-mm-Handkamera den dokufiktionalen Film „Iracema, uma | |
| transa amazônica“. | |
| In der Tradition des brasilianischen Cinema Novo verknüpft die | |
| Low-Budget-Produktion die systematische Plünderung des Regenwaldes mit der | |
| Ausbeutung seiner Bewohner zu einer bildstarken, schonungslosen | |
| Filmerzählung. Eine digital restaurierte Fassung dieses historischen | |
| gleichsam aktuellen Beitrags zeigt das Forum als Weltpremiere in seinem | |
| Spezialprogramm „Offene Wunden, offene Worte“. | |
| Bodanzkys Filmdebüt begleitet Iracema, eine indigene Jugendliche, auf ihrer | |
| Fahrt über die Seitenarme des Amazonas nach Belém. Während ein lokales | |
| Radio für die Region persönliche Nachrichten über Krankheitsfälle oder | |
| Treffpunkte an Freunde und Angehörige übermittelt, werden unterwegs große | |
| Körbe Açai-Beeren vom schmalen Boot gehoben und gegen kleines Geld dem | |
| Ladenbetreiber überlassen. | |
| In der pulsierenden Hafenstadt angekommen, folgt die Kamera in kurzen | |
| Einstellungen der Teenagerin durch die Menschenmenge, vorbei an | |
| verlockenden Waren und den Vergnügungen eines Jahrmarkts. | |
| Das wertvolle Holz aus dem Regenwald | |
| Wenige Szenen später bewegt sich Iracema inzwischen geschminkt und auf | |
| hohen Absätzen durch die Straßen Beléms. Als Prostituierte trifft sie | |
| während des großen Volksfests „Cirio de Nazaré“ auf Tião, einen schlaks… | |
| Lkw-Fahrer, der das wertvolle Holz aus dem Regenwald illegal in den Süden | |
| des Landes transportiert. Großsprecherisch preist er den unaufhaltsamen | |
| Fortschritt Brasiliens im Amazonas. „Es ist die Goldmine, die gehoben | |
| werden muss.“ Auch er will sich seinen Anteil an diesem Reichtum sichern. | |
| Für die Rolle der jungen Iracema stand die fünfzehnjährige Edna de Cássia | |
| aus Belém zum ersten Mal vor der Kamera. Niemals zuvor hatte sie ein Kino | |
| besucht. Doch für Jorge Bodanzky und den Co-Regisseur Orlando Senna erwies | |
| sich die zufällige Entdeckung des Mädchens mit der natürlichen Ausstrahlung | |
| als großer Glücksgriff. | |
| Paulo César Pereio, ein professioneller Schauspieler, übernahm den Part des | |
| Tião. In nur fünfzehn Tagen mit einem improvisierten Script und ohne eine | |
| Drehgenehmigung entstand „Iracema“ an wechselnden Schauplätzen mit den | |
| Menschen vor Ort, stets darauf bedacht möglichst wenig Aufsehen zu erregen. | |
| Die nie vollendete Verbindungsstraße | |
| In Brasilien herrschte von 1963 bis 1985 das Militär. Der Bau einer großen | |
| Verbindungsstraße, der „Transamazônica“ quer durch den Amazonas-Regenwald | |
| galt als ehrgeiziges Prestigeprojekt der Diktatur. Es wurde nie | |
| fertiggestellt. Jene Bauarbeiten bilden 1974 den realen Hintergrund zu | |
| Iracemas bedrückender Geschichte inmitten der beginnenden Zerstörung des | |
| Ökosystems des Amazonas-Regenwaldes. | |
| Auf seiner Weiterfahrt von Belém nimmt der blonde Tião die Fünfzehnjährige | |
| erst einmal mit. „Seu destino ninguém foge – seinem Schicksal kann keiner | |
| entkommen.“ Der geschwungene Schriftzug ziert die Stoßstange seines Lkws. | |
| Doch auch ohne diesen Hinweis scheint der Weg für die junge Prostituierte | |
| vorgezeichnet. | |
| Aufnahmen von brennenden Wäldern, gerodeten Weiden und den ausgezehrten | |
| Gesichtern der Tagelöhner wechseln mit inszenierten Szenen am staubigen | |
| Straßenrand, vor Tankstellen und ärmlichen Bars. Auf dem Roadtrip | |
| verschmelzen die Grenzen zwischen fiktionaler und dokumentarischer | |
| Erzählung. An einer dieser Stationen ihrer überdrüssig, jagt Tião Iracema | |
| unvermittelt in die Dunkelheit fort. | |
| Vielleicht auch den knappen Ressourcen der Produktion geschuldet, zeigt der | |
| Film das Schicksal seiner jugendlichen Protagonistin am Rande der | |
| „Transamazônica“ sprunghaft wie im Schnelldurchlauf. Das unterstreicht | |
| wirkungsvoll die Wucht des sozialen Abstiegs und den Preis, den ihr | |
| weiblicher Körper zahlt. Gleichzeitig schafft die stilistische Reduktion | |
| des Films ausreichend Distanz und Raum für eine Reflexion der | |
| Zusammenhänge, die „Iracema, uma transa amazônica“ überzeugend skizziert | |
| und deren Folgen bis heute schwerwiegend fortdauern. | |
| 13 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eva-Christina Meier | |
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