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# taz.de -- Ergebnisse der UN-Klimakonferenz: Wenig Geld, wenig Schlaf
> Die UN-Klimakonferenz ist knapp am Scheitern vorbeigeschrammt. Die
> Delegierten konnten sich auf höhere Hilfen einigen, zufrieden ist kaum
> jemand.
Bild: Um 2.38 Uhr in der Nacht fiel das letzte Mal der Hammer auf der UN-Klimak…
Baku taz | Die Weltklimakonferenz in Aserbaidschan ist in letzter Minute
vor dem Scheitern bewahrt worden. In einer chaotischen nächtlichen
Abstimmung und mit mehr als 30 Stunden Verspätung einigte sich die
Staatengemeinschaft am frühen Sonntagmorgen darauf, die Klimazahlungen für
ärmere Staaten deutlich zu erhöhen. Bis 2035 sollen jährlich insgesamt 1,3
Billionen US-Dollar fließen, davon verbindlich 300 Milliarden US-Dollar pro
Jahr von den Industrieländern.
Das Geld soll den Entwicklungsstaaten dabei helfen, [1][die steigenden
Kosten für mehr Klimaschutz zu tragen] und sich besser an die Folgen der
Erderhitzung, an häufigere Überschwemmungen, Dürren oder intensivere Stürme
anzupassen. Die Industriestaaten haben durch ihre Treibhausgasemissionen
weitaus mehr zur Erderhitzung beigetragen als die meisten
Entwicklungsländer, sind aber häufig weniger stark von den Folgen des
Klimawandels betroffen – auch, weil sie mehr Geld haben, sich anzupassen.
Die 1,3 Billionen stellen nur eine Absichtserklärung dar, die niemanden zu
konkreten Zahlungen verpflichtet. Sie sollen aus verschiedenen Quellen
kommen und auch die multilateralen Entwicklungsbanken wie die Weltbank
einbeziehen.
Anders verhält es sich mit dem neuen Ziel von 300 Milliarden US-Dollar, die
die Industrieländer jährlich aus öffentlichen und privaten Quellen für die
Entwicklungsländer bereitstellen sollen. Dies entspricht einer
Verdreifachung des bisherigen Klimafinanzierungsziels von 100 Milliarden
US-Dollar, das noch bis Ende 2025 gilt.
Der große Teil dieser Mittel werde aber weiterhin in Form von Krediten
kommen, fürchtet Klimafinanzierungsexperte Jan Kowalzig von der
Hilfsorganisation Oxfam: „Diese Kredite müssen dann mit Zinsen
zurückgezahlt werden und können die oft erdrückende Schuldenlast der
einkommensschwachen Länder weiter verschärfen.“ Ohnehin lägen die Bedarfe
der einkommensschwachen Länder vielfach über dem heute beschlossenen Ziel,
machte Kowalzig deutlich.
Klimahilfen sind „keine Wohltätigkeit“
So verwundert es kaum, dass die finale Plenumssitzung vom Widerstand
einiger der meistbetroffenen Staaten überschattet wurde. „Klimafinanzierung
ist keine Wohltätigkeit“, erinnerte Diego Pacheco, der Chefverhandler
Boliviens, „sondern eine rechtliche Verpflichtung.“ Die Entwicklungsländer
würden mit ihrem Leid in der Klimakrise allein gelassen, beklagte Pacheco
in der hitzigen Debatte gegen zwei Uhr morgens. Dabei trügen die
Industriestaaten eine historische Verantwortung für die Erderwärmung. Es
breche eine Ära an, in der jeder nur seine eigene Haut retten wolle.
Ähnlich äußerten sich die Delegierte Indiens sowie Verhandler*innen aus
Kuba und Nigeria. Ihre Stimmen wurden zu Protokoll genommen, änderten aber
nichts mehr am Abschluss des Gipfels. Zwischenzeitlich hatte sogar der
Abbruch der Gespräche im Raum gestanden, als die Gruppen der kleinen
Inselstaaten und der ärmsten afrikanischen Staaten am frühen Samstagabend
die Finanzverhandlungen verließen.
Ein Zugeständnis ist nun, dass ein „Fahrplan“ erstellt werden soll, der den
Anstieg auf die 1,3 Billionen bis 2035 beschreibt. Im Jahr 2030 soll das
Ziel überprüft werden.
Zudem wird die Geberbasis für Klimafinanzierung über die Industrieländer
hinaus verbreitert: [2][Schwellenländer wie China oder die Golfstaaten]
können ihre Anteile an den Klimageldern der Entwicklungsbanken künftig
freiwillig als Klimahilfen definieren. Ebenso können sie Kredite und
Zuschüsse an die Entwicklungsländer, die sogenannten „Süd-Süd-Hilfen“, …
das gemeinsame Klimaziel von mindestens 1,3 Billionen anrechnen lassen.
Deutschland und EU begrüßen Abschluss
EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra verteidigte den Beschluss als Beginn einer
„neuen Ära in der Klimafinanzierung“. Die neuen Ziele seien ehrgeizig, aber
realistisch.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sieht im Anteil der
Industriestaaten von 300 Milliarden US-Dollar dagegen nur einen
Ausgangspunkt. „Wir wissen, dass unsere heutigen Entscheidungen allein
nicht ausreichen, um alle Bedürfnisse zu erfüllen“, sagte sie im Plenum.
„Aus diesem Grund haben wir uns für die Vision eingesetzt, die Finanzierung
für Entwicklungsländer auf 1,3 Billionen US-Dollar aufzustocken.“
Baerbock versprach, Deutschland werde „liefern“ und betonte, dass
Klimaschutzfinanzierung nur mit konkreten Maßnahmen zur Minderung von
Treibhausgasen erfolgreich sein könne. „Und weil wir aus unseren Fehlern in
der Vergangenheit gelernt haben – wir können keinen Scheck unterschreiben,
der platzt – geht es hier auch um Vertrauen.“ Sie erklärte zudem, dass
Blockierer-Staaten in Baku gescheitert seien, während die Verfechter einer
besseren Welt gewonnen hätten.
UN-Generalsekretär António Guterres begrüßte die Einigung, betonte aber, er
habe „auf ein ehrgeizigeres Ergebnis gehofft – sowohl bei der Finanzierung
als auch bei der Eindämmung –, um die große Herausforderung zu bewältigen,
vor der wir stehen.“
Tina Stege, die Klimagesandte der akut vom Meeresspiegelanstieg bedrohten
Marshallinseln, sagte, sie seien mit der Sicherheit ihrer Gemeinschaften
und dem Wohlergehen der Welt im Herzen angereist. „Doch wir haben den
schrecklichsten politischen Opportunismus miterleben müssen, der mit dem
Leben der gefährdetsten Menschen spielt. Interessen der fossilen Industrien
waren entschlossen, Fortschritt zu verhindern und die Ziele zu
unterwandern, die wir hart erarbeitet haben. Das darf nie passieren“,
forderte sie.
Die aserbaidschanische Konferenzpräsidentschaft steht unter Kritik, weil
sie anscheinend Delegierten Saudi-Arabiens erlaubte, direkt einen Entwurf
des Abschlusstextes zu bearbeiten. Üblich ist, dass Vertreter*innen
aller Staaten über Textpassagen verhandeln und ein Kompromiss dann in den
Text aufgenommen wird. In seinen Änderungen hat der Ölstaat Berichten
[3][des Guardian] und [4][des Spiegel] zufolge entscheidende Sätze
entfernt, die auf die Minderung der Treibhausgasemissionen und den Übergang
weg von fossilen Energieträgern verwiesen.
Klimaschützer*innen enttäuscht vom Ergebnis
Beobachtende NGOs zeigen sich ernüchtert vom Abschlussdokument. „Die in
Aussicht gestellten Gelder sind nicht mehr als ein Schluck Wasser vorm
Verdursten“, sagte Viviane Raddatz, Klimachefin vom WWF. „Jetzt nicht die
nötigen Mittel in die Hand zu nehmen, wird auch die Wirtschaftsleistung der
reichen Nationen maßgeblich einschränken. Jeder nicht investierte Euro
heute wird uns morgen das Vielfache kosten“, warnte Raddatz.
Das Hilfswerk Brot für die Welt sieht im Ergebnis einen Minimalkonsens.
„Gerade die ärmsten und verletzlichsten Staaten haben alle ihre Forderungen
fallen lassen, nur um ein Scheitern der Konferenz zu verhindern“,
kommentierte die Klimaexpertin der NGO Sabine Minninger. Sie hätten ein
Ergebnis mitgetragen, das ihren Bedürfnissen überhaupt nicht gerecht werde,
damit der mulitlaterale Verhandlungsprozess weitergehe.
„Diese Weltklimakonferenz liefert nicht das, was eigentlich notwendig
gewesen wäre“, findet auch Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der
Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. „Aber sie bewegt sich im
oberen Bereich dessen, was bei der derzeitigen politischen Großwetterlage
möglich ist.“ Beim Klimaschutz hätten die Fortschritte der vergangenen
Konferenz, wo erstmals ein globaler Ausstieg von fossilen Brennstoffen
festgehalten wurde, nur mühsam verteidigt werden können. Das jetzt
versprochene zusätzliche Geld könne aber eine neue nationale Dynamik für
Klimaschutz befördern, gab sich Bals zuversichtlich.
Konferenz-Präsident Mukhtar Babayev lobt das Finanzziel von Baku als „die
bestmögliche Vereinbarung“, die denkbar gewesen sei. In einem Jahr der
geopolitischen Zersplitterung hätten die Menschen daran gezweifelt, dass
Aserbaidschan etwas erreichen kann und alle zustimmen könnten. „Sie haben
sich in beiden Punkten geirrt“, resümierte Babavey.
Regeln für globale Kohlenstoffmärkte beschlossen
Einen Durchbruch gab es mit der Einigung [5][auf Standards für
internationale Kohlenstoffmärkte]. Neun Jahre nach Paris haben die
Delegierten Regeln beschlossen, wie sich Staaten Klimaschutzprojekte in
anderen Ländern auf ihre eigenen Klimaziele anrechnen lassen können. Der
nun erzielte Kompromiss war nur möglich, weil die EU ihren jahrelangen
Widerstand gegen intransparente Kohlenstoffmärkte aufgegeben hat.
Umweltverbände sehen die Tür für Greenwashing weit offen.
Kaum Fortschritte gibt es dagegen bei der Klimaanpassung und dem Umgang mit
Schäden durch den Klimawandel. „Die Klimakonferenz lässt die besonders
verwundbaren Menschen hier mit leeren Händen zurück“, kritisiert Laura
Schäfer, Co-Leiterin der Abteilung Internationale Klimapolitik bei
Germanwatch. Sie fordert, die Finanzierungslücken in beiden Bereichen bis
zur nächsten Weltklimakonferenz zu schließen. Der 30. UN-Gipfel ist für
November 2025 im brasilianischen Belém geplant.
24 Nov 2024
## LINKS
[1] /Vor-der-UN-Klimakonferenz-in-Baku/!6041198
[2] /Neues-Klimawandel-Ranking/!6047226
[3] https://www.theguardian.com/environment/2024/nov/23/revealed-saudi-arabia-a…
[4] https://www.spiegel.de/wissenschaft/klimagipfel-cop29-wie-saudi-arabien-den…
[5] /UN-Klimakonferenz-in-Baku/!6049492
## AUTOREN
Maximilian Arnhold
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