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# taz.de -- Chinesischer Animationsfilm „Deep Sea“: Im gleißenden Licht de…
> Die erfolgreichsten Filme kommen inzwischen aus China, so auch der
> Animationsfilm „Deep Sea“. Leider ist er bei uns nicht in 3-D zu sehen.
Bild: Farbenfrohe Tiefsee: Das Unterwasserrestaurant taucht ab
Die Machtverhältnisse auf der Welt verschieben sich, der Blick geht immer
häufiger nach Osten, nach Asien, nach China. Das gilt auch für den
internationalen Kinomarkt, der zwar noch von Hollywood und globalen
Blockbustern wie „Der Super Mario Bros. Film“, [1][„Barbie“] oder den
unverwüstlich scheinenden Marvel-Filmen beherrscht wird, eine Dominanz, die
bei genauerem Blick allerdings ins Wanken geraten ist.
Schaut man sich nämlich eine Liste der weltweit erfolgreichsten Filme
dieses Jahres an, finden sich unter den aktuellen Top Ten drei chinesische
Filme, die wohlgemerkt fast nur in China liefen, während Hollywoodfilme in
fast jedem Land der Welt zu sehen sind. Noch finden diese chinesische
Mainstreamfilme nur selten den Weg in die deutschen Kinos, was den Start
des Animationsfilms „Deep Sea“ allein schon bemerkenswert macht, allerdings
mit einem großen Wermutstropfen: Das an sich visuell spektakuläre Epos wird
vom deutschen Verleih nur in einer quasi verstümmelten Fassung in die Kinos
gebracht, die seine Qualitäten nur bedingt erlebbar werden lassen.
Dass es ausgerechnet ein Animationsfilm mit einer inhaltlich eher
schlichten, kindgerechten Story ist, der es in die deutschen Kinos schafft,
ergibt Sinn. Denn viele der chinesischen Erfolgsfilme der letzten Jahre
sind entweder Komödien oder Propagandafilme. Dass Humor zu den speziellen
Eigenarten jeder Nation zählt, ist bekannt: Im Ausland lacht kaum jemand
über Otto oder Bully, chinesischer Humor würde dementsprechend in
Deutschland kaum verstanden werden.
## Der erfolgreichste chinesische Film handelt vom Krieg
Komplizierter wird die Sache bei Propagandafilmen wie dem erfolgreichsten
chinesischen Film aller Zeiten, dem Kriegsfilm „The Battle at Lake
Changjin“, der eine Episode aus dem Koreakrieg aus dezidiert chinesischer
Sicht zeigt und den Heroismus der chinesischen Truppen verklärt. Mit genau
dem einseitigen, wenig kritischen Blick, wie ihn das Hollywoodkino seit
Jahrzehnten auf US-Waffengänge und militärische Spezialoperationen wirft.
Filme von „Pearl Harbor“ über „Black Hawk Down“ bis [2][„Zero Dark T…
kommen in den Sinn, die im westlichen Ausland in der Regel problemlos als
reine Unterhaltungsprodukte konsumiert werden, schließlich ist es in diesen
Fällen der westliche Bündnispartner, der idealisiert dargestellt wird.
Solche ideologischen Probleme hat ein Animationsfilm wie „Deep Sea“
natürlich nicht, zumal sich Autor und Regisseur Tian Xiaopeng zwar deutlich
von den Erzählmustern des japanischen Animationsgroßmeisters Hayao Miyazaki
inspirieren ließ, aber eine deutlich schlichtere Geschichte erzählt.
Hauptfigur ist das kleine Mädchen Shenxiu. Seit ihre Mutter die Familie
verlassen hat, lebt sie bei ihrem Vater, der sich jedoch weniger um seine
Tochter kümmert als um seine neue Frau und den gemeinsamen kleinen Sohn.
Auf einer Kreuzfahrt verbringt die Familie die Ferien, einsam und allein
stromert Shenxiu über das Schiff, selbst ihren Geburtstag hat der Vater
vergessen.
Erst ein wilder Sturm verändert alles: Plötzlich wacht Shenxiu in den
Tiefen des Meeres auf, umgeben von seltsamen Gestalten und Orten. In einem
Tiefseerestaurant trifft sie auf den Koch Nanhe, der bizarre Gerichte
zubereitet und von lustigen kleinen Wesen umgeben ist. Gemeinsam suchen sie
nach dem Fabelwesen Hyjinx, von dem sich Shenxiu verspricht, dass sie doch
noch einmal Kontakt zu ihrer Mutter aufnehmen kann. Doch zuvor muss sie
noch am Roten Phantom vorbei – und das kann nur besänftigt werden, indem
Shenxiu ihre Trauer überwindet und wieder fröhlich ist.
## Atemberaubende Bildwelten
Eine typische, um nicht zu sagen konventionelle Geschichte, wie man sie im
kindgerechten Animationskino schon oft gesehen hat. Was „Deep Sea“ nun aber
speziell, wenn nicht außergewöhnlich macht, ist die filmische Umsetzung.
Tian Xiaopeng und sein Team haben atemberaubende Bildwelten von schier
unfassbarer Rasanz geschaffen, atemlose Kamerafahrten durch das
Unterwasserrestaurant, aber vor allem Bilder von Wasser und Himmel, die mit
ihren fließenden Farbverläufen und dem gleißenden Licht oft an
impressionistische Gemälde denken lassen oder an Versuche, psychedelische
Visionen auf die Leinwand zu bannen.
In den deutschen Kinos kommt dieser atemberaubende Stil nun jedoch leider
nur in abgespeckter Version zur Geltung, denn der deutsche Verleih hat die
vollkommen unverständliche Entscheidung getroffen, „Deep Sea“ nicht in der
intendierten 3-D-Fassung zu zeigen, sondern nur in 2-D. Nun wäre man zwar
vielleicht geneigt zu sagen: Na und? Schließlich hat sich das 3-D-Kino
trotz aller Bemühungen von vor allem [3][James Cameron und seinen
„Avatar“-Filmen] in den letzten Jahren deutlich totgelaufen.
Wirkliche Begeisterung lösen 3-D-Versionen von Filmen wie „Spider-Man“ oder
[4][„Black Panther“] nicht mehr aus, was allerdings nicht zuletzt daran
liegt, dass diese und fast alle anderen Hollywoodfilme das Potenzial der
3-D-Technik kaum nutzen. Zum einen werden sie erst im Nachhinein am
Computer von 2-D zu 3-D konvertiert, vor allem aber sind sie in ihrer
Bildgestaltung so zurückhaltend, dass die expressiven Möglichkeiten des 3-D
fast gar nicht zur Geltung kommen.
Was in der ersten Phase des 3-D-Kinos in den 1950er Jahren noch gang und
gäbe war, nämlich Objekte in Richtung Kamera, also quasi auf den Zuschauer
zu werfen, wurde in der aktuellen 3-D-Ära tunlichst vermieden, um das
3-D-Kino nicht erneut zur bloßen Attraktion werden zu lassen. Aber warum
eigentlich nicht? Kino lebt schließlich von den Bildern, auch vom Exzess,
von Bildern, die man eben nicht zu Hause auf dem PC oder einem halbwegs
großen Flachbildschirm erleben kann.
Experimente mit der 3-D-Form haben sich auch stilistisch herausragende
US-Regisseure wie etwa Martin Scorsese in „Hugo“ versagt. Selbst Wim
Wenders’ 3-D-Dokumentarfilme „Pina“ oder der im Herbst ins Kino kommende
„Anselm“ zeigen da eher, was in dieser Form möglich ist. Von einem bis zum
Tode experimentierfreudigen Ikonoklasten wie [5][Jean-Luc Godard] ganz zu
schweigen: Der machte in seinem 3-D-Film „Adieu au Langage“ aus dem Jahr
2014 etwas, das eigentlich auf der Hand liegt, aber (aus zugegebenermaßen
nachvollziehbaren Gründen) außer ihm niemand gewagt hat: Die beiden Linsen
der 3-D-Kamera, die normalerweise nur leicht verschobene Bilder aufnahmen,
ließ Godard in einigen Momenten so weit auseinanderdriften, dass der
Zuschauer im Kino jeweils ein Auge schließen musste. Mit dem rechten und
mit dem linken Auge sah man völlig unterschiedliche Bilder, ein Effekt, der
die Möglichkeiten des Sehens und des Kinos auf nie gesehene Weise
erweiterte.
So weit geht Tian Xiaopeng in seiner 3-D-Version von „Deep Sea“ zwar nicht,
dennoch finden sich hier Bilder, die so extreme 3-D-Effekte verwenden, das
sie sich kaum noch auf 2-D herunterrechnen lassen.
Warum der Verleih freiwillig darauf verzichtet, einen der stilistisch
revolutionärsten Filme der jüngeren Kinogeschichte in dreidimensionaler
Form in die Kinos zu bringen, bleibt ein Rätsel. Das begeisterte Publikum
bei den Berlinale-Vorführungen, wo „Deep Sea“ in der Reihe Generation
gezeigt wurde, hätte eigentlich ein Zeichen sein müssen, dass man es hier
mit einem ganz besonderen und wirklich auch nur im Kino funktionierenden
Werk zu tun hat.
So bleibt nur zu hoffen, dass dieser inhaltlich zwar konventionelle, in
der intendierten Fassung aber stilistisch sensationelle Film irgendwann
doch noch einmal so zu sehen sein wird, vielleicht dann, wenn auch im
Westen die ganze Bandbreite des chinesischen Mainstreamkinos entdeckt
wird.
9 Aug 2023
## LINKS
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[5] /Nachruf-auf-Filmemacher-Jean-Luc-Godard/!5881355
## AUTOREN
Michael Meyns
## TAGS
Film
Animationsfilm
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