# taz.de -- Neuer Pixarfilm „Elemental“: Zwei wie Feuer und Wasser | |
> Abenteuer in einer segregierten Stadt: Der Pixar-Animationsfilm | |
> „Elemental“ lässt die vier Elemente aktuelle Fragen wie Gender und | |
> Migration angehen. | |
Bild: Ungleiches Liebespaar: Wade und Ember | |
Die Feuerwesen Bernie und Cinder Lumen leben den amerikanischen Traum. Seit | |
ihrer Flucht aus der Heimat haben sie sich in Element City ein Leben | |
aufgebaut, betreiben die Feuerstelle, einen Deli für Feuerdelikatessen, und | |
haben eine Tochter großgezogen. Bald, so will es ihr Vater Bernie, soll | |
Tochter Ember den Laden übernehmen. | |
Doch noch bringen die Kundinnen und Kunden mit all ihren Spleens sie allzu | |
oft zum Aufflammen. Wesen der Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft leben | |
in den animierten Welten des neuen Disney-Pixar-Films „Elemental“ streng | |
segregiert in einer Stadt nebeneinander, die deutliche Anleihen bei New | |
York City nimmt. | |
„… wie wenn Wasserstrahlen aus einem schadhaften Bleirohr durch einen | |
feinen Riss zischend hervorschießen.“ Die Wasserrohre, die die Innenstadt | |
mit den engen Gassen von Feuerstadt verbinden, sind schon vor Jahren | |
trockengelegt worden. Doch als Ember wieder einmal kurz vor dem Explodieren | |
ist und sie von hinter der Theke in den Keller flieht, wo eine | |
Flammenexplosion aus ihr herausbricht, fließt das Wasser in Strömen aus den | |
maroden Rohren des Geschäfts. | |
Mit dem Wasser spült es ihr wie im Bild vom Riss im Bleirohr aus der | |
Erzählung von Pyramus und Thisbe, dem literarischen Vorbild für Romeo und | |
Julia in den Metamorphosen des Ovid, den städtischen Wasserinspektor Wade | |
in den Keller. Von seinem eigenen Bedauern der Situation tränenüberströmt | |
notiert Wade einen Verstoß gegen Baunormen nach dem anderen und flieht | |
anschließend vor Embers Wut aus dem Keller. Ember verfolgt den Inspektor | |
bis in die Innenstadt, ins Rathaus. Denn Ember und Wade bleiben nur wenige | |
Tage, um herauszufinden, warum Wasser in den Rohren von Feuerstadt fließt, | |
und so das Geschäft von Embers Eltern zu retten. | |
## Genderstrukturen in Bewegung | |
Regisseur Peter Sohn, als Sohn koreanischer Einwanderer in der Bronx | |
geboren, versucht in seinem zweiten Langfilm für Disney/Pixar der | |
Liebesgeschichte zwischen Feuer und Wasser eine gesellschaftliche Bedeutung | |
zu geben, die über das Beschwören gesellschaftlicher Zusammenarbeit zum | |
Lösen von Problemen hinausgeht: Als Ember Wades großbürgerliche Familie von | |
Wasserwesen kennenlernt, klingen kurz soziale Strukturen an und in Wades | |
unstoppbarer Emotionalität und Embers aufbrausenden Wutausbrüchen kommt | |
mehr Bewegung in Genderstrukturen als sonst in Disneyfilmen üblich. Doch so | |
recht wollen diese Elemente sich nicht ineinander fügen, und das Leben der | |
Elemente in der Stadt wirkt in seiner strengen Segregation auch nicht | |
erstrebenswert. | |
Das gilt noch stärker für die Gestaltung des Films, die dessen größte | |
Schwäche ist. Als Embers Eltern gemeinsam mit den anderen Bewohner_innen | |
von Element City die Landungsstege der Schiffe verlassen, springt einen als | |
Zuschauer eine Schwachstelle der Figurengestaltung unmittelbar an: die | |
Füße. Oder die Frage, warum Feuer überhaupt Füße hat. An den Füßen zeigt | |
sich das Disney-Dogma, alles, was geht, menschenähnlich zu gestalten, von | |
dem sich wiederum allerlei andere Gestaltungsentscheidungen ableiten. | |
Wie Liebesgeschichte und Sozialdrama stehen in „Elemental“ auch in der | |
Gestaltung zwei Prinzipien nebeneinander: einerseits ein Alltagsrealismus, | |
den sich der Film mit der menschenähnlichen Gestalt seiner Figuren | |
einkauft, und andererseits eine Gestaltungslogik, die von den Eigenschaften | |
der Elemente ausgeht, die in einigen wenigen Szenen durchscheint. Als Wade | |
in der Innenstadt vor Ember flieht, wird er plötzlich amorphes Wasser, das | |
sich durch einen Spalt quetscht – und Ember flammt hinterher. | |
Kaum trotten die Figuren in „Elemental“ einmal nicht auf ihren Füßchen | |
daher, eröffnen sich sogleich unerwartete Räume. Während sich die Animation | |
des Films über weite Strecken vom Anthropomorphismus der Figuren einengen | |
lässt, wird in Szenen wie dieser erkennbar, was für Freiheiten die Welt von | |
„Elemental“ geboten hätte. | |
## Getragen von den Hauptfiguren | |
Die meisten Animationsfilme reagieren auf die unendlichen Möglichkeiten der | |
Gestaltung, indem sie sich einen Kosmos mit eigenen Regeln schaffen. Im | |
besten Fall spiegeln die Regeln der Gestaltung Regeln der Narration. Als | |
John Lasseter in seinem legendären [1][Pixar]-Film „Luxo Jr.“ von 1986 eine | |
große und eine kleine Schreibtischlampe auf einem Fußboden mit zwei Bällen | |
interagieren lässt, ist das (neben der Technik der Computeranimation) einer | |
der Gründe für den Erfolg des Films, der bis heute im Logo des | |
Animationsstudios fortlebt. „Elemental“ fehlt sowohl auf der Ebene der | |
Erzählung wie der Gestaltung ein Konzept, das dem Film die Freiheit | |
eröffnet, die verschiedenen Elemente des Films zu verbinden. | |
Getragen wird „Elemental“ trotz dieser Schwächen von Ember und Wade, seinen | |
beiden liebenswürdigen Hauptfiguren. Die Liebesgeschichte zwischen den | |
beiden Elementen beharrt darauf, dass die Begegnung mit anderen Menschen | |
uns neue Perspektiven auf uns selbst eröffnen kann. Zu zweit steht es sich | |
leichter zu den eigenen Wünschen als alleine. Nicht zu vergessen die 30 | |
Jahre Routine von Pixar, die beiden mit einer animierten urbanen Welt zu | |
umgeben. | |
21 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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