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# taz.de -- Chinesische Tragikomödie „Successor“: An der Zensur vorbei
> „Successor“ zeichnet ein düsteres Bild vom neuen Wohlstand des
> kommunistischen Landes. Warum die Tragik-Komödie überraschend gelungen
> ist.
Bild: Filmplakat in Shanghai: Die Komödie „Successor“ ist in China ein Rie…
Da dreht es sich wieder, das Logo des staatlichen Filmstudios China Film
Group Corporation. Ein Soldat, ein Bauer und ein Arbeiter, der mit großer
Geste den Weg in eine glorreiche Zukunft zu weisen scheint, vor einem
Himmel, der von einer aufgehenden Sonne in verschiedenen Rottönen
erleuchtet wird. Die Figuren sehen aus wie ein propagandistisches Denkmal
aus dem Stalinismus: heroisch, vergoldet und inzwischen sogar 3D-animiert.
Dieses Logo kennt jeder Fan des asiatischen Kinos. Chinesische
Filmproduktionen, die den Weg ins Ausland finden, beginnen regelmäßig mit
dem Vorspann der Filmfirma, die seit 1948 von der Propagandaabteilung der
Kommunistischen Partei Chinas betrieben wird. Und dafür sorgt, dass im Kino
nichts zu sehen ist, was der offiziellen Parteilinie widerspricht.
Doch nun erscheint der Filmclip zu Beginn eines Films, der ein China zeigt,
das alles andere ist als der Arbeiter-und-Bauern-Staat, den das Logo
beschwört. Die Tragikomödie „Successor“ (Nachfolger) zeichnet ein
[1][düsteres Bild von einem China, i]n dem Konsum und Statussymbole,
Egoismus und Materialismus im Vordergrund stehen – nicht die klassenlose
Gesellschaft, die eigentlich das Ziel des Kommunismus war. Und dieser Film
ist der Überraschungserfolg des Jahres, der gerade in China alle Rekorde
bricht.
„Successor“ ist eine Komödie über zwei „Tiger-Eltern“, die alles tun,…
den schulischen und beruflichen Erfolg ihres Sohnes zu sichern – was in
diesem Fall bedeutet, dass sie ihm eine bitterarme Kindheit inszenieren,
wie sie einst sein Vater erlebt hat, bevor er reich wurde. Der Film des
Regieduos Yan Fei und Peng Damo hat in den ersten Monaten bereits 3,13
Milliarden Yuan (437 Millionen US-Dollar) an den chinesischen Kinokassen
eingespielt und damit alles andere, was derzeit dort in den Kinos läuft,
weit übertroffen.
„Successor“ spielt in der fiktiven chinesischen Stadt Slinkytown und zeigt
Shen Teng in der Hauptrolle als Ma Chenggang, einen hart arbeitenden, aber
verarmten Familienvater, an dem der Wohlstand des Landes scheinbar
vorübergegangen ist. Er lebt mit seiner Frau (Ma Li), seinem kleinen Sohn
Jiye (Xiao Bochen) und seiner angeblichen Schwiegermutter in einem
baufälligen Mietshaus.
## Versteckter Reichtum
Chenggang fährt mit einem Eselskarren zur Arbeit, während die Frauen zu
Hause schuften. Der brave Jiye absolviert die fünf Kilometer Schulweg im
Dauerlauf, nachdem er zuvor bereits für die Familie auf dem Markt
Lebensmittel eingekauft hat, weil dort am frühen Morgen die Preise am
günstigsten sind.
Doch schon bald stellt sich heraus, dass dies alles eine aufwendige
Inszenierung ist. Chenggang ist in Wirklichkeit ein erfolgreicher
Businessman, der ein riesiges Geschäftsimperium leitet und für seinen Sohn
eine Art chinesische Version der [2][„Truman Show“] inszeniert hat. Die
ärmliche Wohnung in dem heruntergekommenen Haus ist mit versteckten Türen
und Aufzügen ausgestattet, die zu einer unterirdischen Kommandozentrale
führen.
Von der aus sorgt ein Heer an Mitarbeitern dafür, dass Jiye ein von
Reichtum und Privilegien unberührtes Aufwachsen erlebt. Erst wenn er
volljährig ist und die Aufnahme in eine renommierte Wirtschaftsuniversität
geschafft hat, soll er vom Reichtum seiner Familie erfahren.
Dafür muss jedes Detail von Jiyes Leben sorgfältig fingiert werden. Die
angeblich bettlägerige Großmutter, die Jiye hingebungsvoll füttert und
massiert, ist in Wirklichkeit die Autorin eines Erziehungsbestsellers, die
Basketball spielt, wenn ihr Enkel in der Schule ist. Auf dem Markt wartet
ein Mathematiklehrer als Metzger darauf, dem Knaben komplizierte
Kopfrechen-Aufgaben zu stellen. Der Buchhändler mit dem kleinen Geschäft in
der Hofdurchfahrt versorgt Jiye mit Literatur, die seinen langfristigen
Erfolg sichern soll.
## Geprägt von sozialer Ungleichheit
An der Ecke warten Schauspieler, um Jiye auf Englisch nach dem Weg zum
Postamt zu fragen, damit er seine Fremdsprachenkenntnisse erproben kann.
Die ärmlichen Mahlzeiten werden in der unterirdischen Küche von einem
Sternekoch angerichtet. Deutsche Zuschauer mögen sich an die [3][Komödie
„Good Bye Lenin“] erinnert fühlen, in der ein Sohn nach dem Fall der Mauer
seiner Mutter den Fortbestand der DDR vorgaukelt.
Durch die Inszenierung von schrillen Kontrasten beleuchtet der Film die
Wohlstandsexzesse und die soziale Ungleichheit, die das immer wohlhabender
werdende China prägen. Liebevoll und detailfreudig wird zunächst die
überkommene Armut der Familie inszeniert, die abends in Pyjamas, wattierten
Kunststoffjacken und Kunstlederwesten im Schein einer funzeligen Glühbirne
dicke Bücher liest, um sich weiterzubilden.
Aber in Wirklichkeit haben die Eltern in ihren Schwarten die neusten
Smartphones versteckt, mit denen sie sich durch ihre Social-Media-Feeds
scrollen. Die Eltern verlassen zwar in abgewetzten Wintermänteln das Haus,
aber an der nächsten Ecke wartet schon ihr Luxus-SUV, in dem sie sich in
ihre Designergarderobe zwängen. Und als Jiye auf die Idee kommt, Flaschen
zu sammeln, um die Familienkasse aufzubessern, mietet sein Vater ein ganzes
Fußballstadion, damit sein Sohnemann dort nach einem Spiel die
Wasserflaschen auflesen kann.
Das alles ist nicht nur wirklich witzig, sondern malt nebenbei auch ein
düsteres Bild von einer komplett verkommenen materialistischen
Gesellschaft, in der die kommunistischen Ideale von Gleichheit und
Brüderlichkeit in Vergessenheit geraten sind.
## Besonders boshafte Szene
Das Regieteam Yan Fei und Peng Damo hatte sich schon in den beiden
ebenfalls sehr erfolgreichen Filmen „Goodbye Mr. Loser“ (2015) und „Hello
Mr. Billionaire“ (2018) satirisch an den Neureichen und den wirtschaftlich
Abgehängten in China abgearbeitet. Aber diese beiden Filme krankten noch –
wie viele chinesische Komödien – an einem oft albernen Humor mit viel
Slapstick und absurden Übertreibungen. In „Successor“ zeigen sich die
Regisseure gereift und treiben gleichzeitig die Systemkritik weiter.
Besonders boshaft ist eine Szene, in der Jiye – inzwischen ein Teenager –
im (an chinesischen Schulen immer noch verpflichtenden) Unterricht im
Dialektischen Materialismus eine Lebenskrise hat. Er will partout nicht
einsehen, dass alle Dinge einen materiellen Ursprung haben – er selbst kann
sich einfach nicht des Eindrucks erwehren, dass es da ein höheres Wesen
gibt, das sein Schicksal bestimmt.
Die South China Morning Post aus Hongkong wunderte sich schon, wie dieser
Film mit seiner kaum verhohlenen Gesellschaftskritik überhaupt durch die
Zensur kommen konnte: „Es fällt schwer, ‚Successor‘ als etwas anderes zu
sehen als eine kaum verhüllte Kritik an Staaten, in denen Information,
Bildung und Gesundheitswesen stark von einer einzigen zentralen Behörde
bestimmt werden.“ Auf der chinesischen Social-Media-Plattform kommentierte
ein Nutzer: „Gute Komödien haben oft einen tragischen Kern. Aber diese hier
hat einen Horrorkern.“
In China hat der Film Hollywood-Produktionen wie „Deadpool & Wolverine“ bei
den Besucherzahlen weit hinter sich gelassen. Das zeigt auch, dass der
chinesische Film inzwischen beim lokalen Publikum populärer ist als
amerikanische Filme, von denen der Staat jedes Jahr nur 34 ins Land lässt.
Die Straits Times aus Singapur titelte darum schon: „China doesn’t need
Hollywood anymore“.
25 Nov 2024
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## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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