# taz.de -- 75. Jahrestag der Staatsgründung: Ideologische Festigkeit à la Xi… | |
> China feiert den 75. Jahrestag der Staatsgründung. Missgunst und | |
> Feindseligkeit haben die Weltoffenheit und Neugier der Nullerjahre | |
> abgelöst. | |
Bild: Riesiger Blumenkorb zur Feier der Staatsgründung auf dem Platz des Himml… | |
Seoul taz | Als Mao Tsetung am 1. Oktober 1949 um genau drei Uhr | |
nachmittags die Volksrepublik China ausrief, hätte sich wohl niemand | |
vorstellen können, dass auch 75 Jahre später sein überlebensgroßes Porträt | |
über den Platz des Himmlischen Friedens wachen würde. Nun wird das Land mit | |
[1][Xi Jinping] erneut von einem Alleinherrscher mit absoluter Machtfülle | |
angeführt. „Er ist ein Mann voll von Überzeugung“, sagt Desmond Shum, der | |
in den Nullerjahren als führender Bauentwickler mit der Parteiführung in | |
Peking verkehrt hat und mittlerweile in Großbritannien lebt. | |
„Seine Vision für China ist, die wichtigste geopolitische Macht zu werden, | |
die mit den USA konkurriert. Er glaubt, dass die Kommunistische Partei | |
Chinas der ewige Herrscher der chinesischen Nation sein sollte.“ Doch wenn | |
die Volksrepublik am 1. Oktober ihren 75. Geburtstag begeht, dann gibt es | |
für die meisten der 1,4 Milliarden Chinesen wenig zu feiern: Die | |
Jugendarbeitslosigkeit befindet sich auf einem Rekordhoch, der schwache | |
Konsum hat sich seit der Pandemie nicht mehr wirklich erholt, und die | |
Immobilienkrise hat innerhalb der Mittelschicht zu einem empfindlichen | |
Wohlstandsverlust geführt. | |
Fakt ist: Die Jahre des wirtschaftlichen Booms und des uneingeschränkten | |
Grundoptimismus sind vorüber. Geht dem ostasiatischen Drachen die Puste | |
aus? Für Xi Jinping, den mächtigsten Staatschef seit Staatsgründer Mao, hat | |
die Transformation seines Heimatlandes wohl gerade erst angefangen. Denn in | |
seiner dritten Amtszeit arbeitet der 71-Jährige mit Hochdruck daran, den | |
jahrzehntelang gültigen Gesellschaftsvertrag der kommunistischen Partei | |
grundlegend zu ändern. | |
Ein Rückblick: Seit Deng Xiaoping, Parteichef von 1979–97, das Land | |
mithilfe marktwirtschaftlicher Reformen aus bitterer Armut heraushievte, | |
legitimierte sich die KP vor allem durch ihre pragmatische Politik. Das | |
chinesische Versprechen lautete: Solange die Partei für stetig wachsenden | |
Wohlstand sorgt, würde die Masse auf ihr Recht auf politische Mitbestimmung | |
verzichten. Und die KP lieferte ab: Der Reichtum kam, wenn auch höchst | |
ungleich verteilt, in rasanter Geschwindigkeit beim Volk an. Von 1980 bis | |
2010 wuchs das Bruttoinlandsprodukt der Volksrepublik im Schnitt um knapp | |
10 Prozent – jedes Jahr. | |
## Es geht um ideologische Treue und nationale Sicherheit | |
Doch die Zeiten des Booms sind längst vorbei, Ökonomen warnen gar vor einer | |
langwierigen Talfahrt, wie sie auch Japan in den 1990ern ereilte. Für Xi | |
ist das verlangsamte Wachstum jedoch ein Preis, den er ganz bewusst zu | |
zahlen bereit ist. | |
Denn dem Parteisekretär und überzeugten Kommunisten geht es vor allem um | |
ideologische Treue und nationale Sicherheit. Statt Reichtum verspricht er | |
seinem Volk wieder vermehrt patriotisches Selbstbewusstsein. In seiner | |
Vision des „chinesischen Traums“ soll die „verweichlichte“ Jugend den | |
Gürtel enger schnallen, um für einen erstarkten, sozialistischen Staat zu | |
arbeiten, der zwar technologische Errungenschaften hervorbringt und | |
selbstbewusst auf der diplomatischen Bühne auftritt, jedoch für das | |
Individuum nicht mehr das Versprechen auf Reichtum verheißt. | |
Ganz im Gegenteil: Xi hat in seinen Reden immer wieder deutlich gemacht, | |
dass er einen „dekadenten“ Sozialstaat nach europäischem Vorbild ablehnt. | |
Denn dieser würde die „Arbeitsmoral“ des Volkes schwächen. | |
Wie die Chinesinnen und Chinesen über den Kurs ihrer Parteiführung denken, | |
lässt sich nur schwer erfassen; allein schon, weil öffentliche Kritik an | |
der Zentralregierung mit harten Repressionen geahndet wird. Doch viele | |
Unternehmer haben in den letzten Jahren mit den Füßen abgestimmt: Zu | |
Hunderttausenden sind sie nach Singapur, Japan und in die USA emigriert. | |
Auch die Jugend in den Ostküstenmetropolen zeigt sich frustriert ob der | |
wirtschaftlich durchwachsenen Aussichten und einer Partei, die sich mit | |
ihren Wertvorstellungen immer offensiver in den Alltag der Menschen | |
einmischt. | |
Auf den sozialen Medien beschreibt die urbane Jugend die Gegenwart gar als | |
„historische Müll-Zeit“ – eine Anspielung auf den Ausspruch „garbage t… | |
mit dem US-amerikanische Sportkommentatoren die letzten Minuten eines | |
Basketballspiels beschreiben, wenn eine Mannschaft so weit zurückliegt, | |
dass sie nicht mehr gewinnen kann. | |
## Blick auf den Rest der Welt hat sich gewandelt | |
Doch in den Provinzen zeigt sich ein anderes Bild. Dort hängen nach wie vor | |
Mao-Porträts in den Wohnzimmern der Leute, und Xi Jinping wird nicht selten | |
wegen seiner rigiden Antikorruptionskampagnen ebenfalls gepriesen. Zudem | |
wiederholen die Leute mit stolz die Propagandapunkte der Staatszeitungen: | |
China sei dank der schützenden Hand der Partei das sicherste Land der Welt, | |
während im Ausland Krieg und Chaos herrsche. | |
Der Blick auf den Rest der Welt hat sich unter der Ägide Xis gewandelt. | |
Herrschten noch in den Nullerjahren Weltoffenheit und Neugierde vor, | |
dominiert nun Misstrauen bis Feindseligkeit die Wahrnehmung. Auch in Peking | |
lässt sich die Isolation mit bloßen Augen beobachten: Die Touristen kehren | |
zwar nach den Jahren der „Null Covid“-Politik allmählich zurück, doch die | |
Anzahl an Expats in der chinesischen Hauptstadt ist deutlich gesunken. | |
Vom Westen hat sich das Land in den letzten Jahren immer stärker abgewandt. | |
Die USA werden zwar aufgrund ihrer militärischen und wirtschaftlichen | |
Stärke notgedrungen respektiert, doch innerhalb Pekings Regierungsviertel | |
Zhongnanhai gibt es keinerlei Illusion mehr darüber, dass sich der wohl | |
entscheidende bilaterale Konflikt der Gegenwart auf absehbare Zeit | |
grundlegend entspannen könnte. Europa hingegen spielt in Chinas Weltbild | |
eine ambivalente Rolle: Solange es als attraktiver Markt für chinesische | |
Exporte dient, wird der „alte Kontinent“ umgarnt. Doch sobald die EU den | |
transatlantischen Schulterschluss wagt, wartet Peking mit ökonomischen | |
Vergeltungsmaßnahmen auf. | |
Vor allem fokussieren sich [2][Chinas diplomatische Bemühungen] auf den | |
Globalen Süden. Von Afrika über Nahost bis hin nach Zentralasien | |
präsentiert sich das Reich der Mitte als alternative Weltmacht, die die | |
Hegemonie der USA ablösen möchte. Dafür formt China systematisch die | |
Institutionen der liberalen Weltordnung nach den eigenen Wertevorstellungen | |
um. In den letzten Jahren hat kein Land derart viele Führungspositionen | |
innerhalb der Vereinten Nationen besetzen können wie China. | |
## China-Geschäfte unter der Lupe | |
All dies bedeutet auch [3][ein Umdenken für heimische Firmen,] die weiter | |
in China ihr Geschäft machen wollen. Der Markt ist politischer geworden, | |
stärker staatlich gelenkt. Privatkonzerne können nur dann florieren, wenn | |
sie sich aktiv den von Peking ausgegebenen Zielen der Fünfjahrespläne | |
fügen. Und bei den Kernindustrien, die Xi Jinping mit flächendeckenden | |
Subventionen zur Staatssache erklärt hat, haben ausländische Betriebe fast | |
immer das Nachsehen. Die deutschen Autobauer bekommen dies derzeit zu | |
spüren, die europäische Solarindustrie wurde bereits vor Jahren durch | |
chinesische Dumpingpreise dezimiert. | |
„Für eine wachsende Zahl von Unternehmen ist ein Wendepunkt erreicht“, sagt | |
Jens Eskelund, Präsident der europäischen Handelskammer in Peking: | |
„Investoren nehmen ihre China-Geschäfte nun genauer unter die Lupe, da die | |
Herausforderungen die Erträge zu überwiegen beginnen.“ | |
1 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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