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# taz.de -- Politologe über Ausweisung aus China: „Die Anweisungen ignoriert…
> Neun Jahre lang forschte der Politikwisschenschaftler Alexander Düben an
> einer chinesischen Universität. Dann wurde er über Nacht ausgewiesen.
> Warum?
Bild: Wladimir Putin und Xi Jinping mit Blickkontakt, Peking, 16. Mai 2024
taz: Herr Düben, vor wenigen Monaten sind Sie aus China ausgewiesen worden.
Wie geht es Ihnen?
Alexander Düben: So weit ganz gut. Ich hatte ja durchaus damit gerechnet,
dass dies eines Tages passieren könnte. Denn ich habe öfters kritische
Artikel veröffentlicht oder Kommentare gegenüber der Presse gegeben. Aber
schlussendlich war der Anlass dann doch überraschend – und auch, wie abrupt
alles passiert ist.
taz: Rollen wir Ihren Fall einmal von vorne auf: Sie haben an der
renommierten [1][London School of Economics] promoviert und später am
King’s College unterrichtet. Was hat Sie an eine Uni in der
nordostchinesischen Provinz verschlagen?
Düben: Nun, ich habe bereits seit meinem Master-Abschluss zu den
chinesisch-russischen Beziehungen geforscht. Das war auch das Thema meiner
Promotion. Und in Russland kannte ich mich auch aus, hatte da bereits
gelebt und geforscht. Doch ich hatte das Gefühl, dass mir ein bisschen das
Wissen von chinesischer Seite fehlt. Als mir dann vor neun Jahren eine
Stelle an der Jilin-Universität in der Provinzhauptstadt Changchun
angeboten wurde, habe ich dies angenommen. Dies ist eine relativ gute Uni,
und sie ist nahe der russischen Grenze.
taz: Ihr Forschungsthema ist politisch durchaus sensibel. Klassische
Feldforschung oder Experteninterviews konnten Sie wohl kaum führen, oder?
Düben: Ich habe zumindest hin und wieder informelle Interviews geführt,
aber in den letzten Jahren ging auch das nicht mehr. Was aber sehr
hilfreich war, waren Gespräche, die man zwischendurch mit akademischen
Kollegen geführt hat – etwa während der Kaffeepause bei Konferenzen. Aber
natürlich ist es so, dass in China sich die Leute immer gut überlegen, was
sie sagen, wenn sie mit einem Ausländer sprechen.
taz: War das vergleichbar mit Ihren Erfahrungen im autoritären Russland?
Düben: Die beiden Systeme haben sich immer mehr angeglichen, und
mittlerweile ist die Pressefreiheit in Russland fast genauso eingeschränkt
wie in China. Doch lange Zeit gab es dort immer noch Journalisten, die es
gewohnt waren, kritisch zu berichten – in China war das in diesem Ausmaß
seit Gründung der Volksrepublik niemals der Fall.
taz: Inwiefern haben Sie die akademischen Einschränkungen in China gemerkt?
Düben: Ich bin logischerweise nicht nach China mit der Annahme gegangen,
dass es dort Wissenschaftsfreiheit gibt. Zunächst war ich daher durchaus
überrascht, dass ich in meiner Rolle doch recht viel sagen konnte. Auch im
Unterricht gab es kaum spürbare Restriktionen – bis vor Kurzem.
taz: Wie haben sich die Repressionen dann bemerkbar gemacht?
Düben: Es gab Anweisungen an Kollegen, aber auch Doktoranden, dass sie ihre
Sachen, die sie zu veröffentlichen gedenken, einer Vorzensur unterwerfen
und vorlegen müssen. Auch ich habe solche Anweisungen erhalten, aber habe
sie einfach ignoriert. Zudem habe ich mitbekommen, dass ausländische
Wissenschaftler in meinem Feld zu informellen Gesprächen mit den
Sicherheitsbehörden zitiert wurden. Und bei den chinesischen Studierenden
sind viele im Verlauf ihres Studiums Mitglieder der Kommunistischen Partei
geworden. Ich nehme an, dass sie vielleicht auch gebeten wurden, ein Auge
auf mich zu haben.
taz: Ohnehin gibt es verpflichtende ideologische Kurse an den Universitäten
– vor allem über Marxismus.
Düben: Ja, da müssen alle Studierende in China durch. Interessant war: Wenn
die Rede auf Marxismusstudien fiel, erhielt ich meist eine etwas genervte
Reaktion – Augenrollen und Seufzer. Ohnehin hatte ich das Gefühl, dass die
Parteimitgliedschaft bei den Studierenden und den Kollegen etwas ist, das
man hauptsächlich macht, weil es der Karriere dient. Das Problem aber ist:
Sich offen kritisch zu äußern, hat in China Konsequenzen. In meinem Fall
bin ich als Ausländer in der luxuriösen Position, dass ich lediglich das
Land verlassen muss.
taz: Sie spielen auf Ihren Rausschmiss im Mai an. Der Anlass war
interessanterweise keine wissenschaftliche Publikation von Ihnen, sondern
ein Medieninterview. Was ist genau vorgefallen?
Düben: Ich habe in den vergangenen Jahren regelmäßig Anfragen von
internationalen Medien erhalten, die ich dann nach bestem Wissen und
Gewissen beantwortet habe – natürlich auch öfter kritisch. Anfang Mai bekam
ich dann eine [2][E-Mail-Anfrage von Voice of America], das ist der
Auslandssender der USA, vergleichbar mit der Deutschen Welle.
taz: Worum ging es thematisch?
Düben: Es ging um den damaligen Besuch von Xi Jinping in Europa. Ich habe
mich kritisch mit der Europapolitik Chinas und seiner Position gegenüber
der Ukraine auseinandergesetzt. Also konkret, dass Xi Jinping sich als
Vermittler darstellt, aber eigentlich sehr wenig getan hat, um gerade mit
der ukrainischen Seite in Kontakt zu treten.
taz: Wirklich kontrovers ist das nicht, eher eine sachliche Analyse.
Düben: Und ich habe ähnliche Dinge auch zuvor geäußert. Der Unterschied war
allerdings diesmal, dass die Anfrage sowohl von einem Medium der
US-Regierung kam als auch in chinesischer Sprache erschien.
taz: Wie ging es weiter?
Düben: Als der Artikel publiziert wurde, war ich gerade in Peking. Und
schon am nächsten Tag habe ich einige Nachrichten von meiner Fakultät
erhalten, die mich darauf aufmerksam machten, dass ich vorher Bescheid
geben müsste, wenn ich Interviews gebe. Zudem wollten sie wissen, wann ich
wieder zurück an der Universität bin. Ich dachte, vielleicht hat sich die
Angelegenheit mit einem klärendem Gespräch erledigt.
taz: Eine krasse Fehleinschätzung.
Düben: Als ich am Morgen des 15. Mai zurück am Campus meine Vorlesung
vorbereitete, wurde mir mitgeteilt, dass diese nicht stattfinden wird –
offiziell aus Gründen der Raumbuchung. Später wurde mir von einem Kollegen
gesagt, dass meine Vorlesungen mit sofortigem Effekt gestrichen wurden und
ich meine Kündigung einreichen müsse. Wenn ich dies nicht täte, dann würde
es eine Art Disziplinarverfahren gegen mich geben – und das wäre wesentlich
schlechter für alle Beteiligten. Und dann sagte er, dass ich China
verlassen müsste. Und wenn ich noch mal versuchen würde, nach China
einzureisen, würde dies nicht funktionieren.
taz: Wer hat Ihre Ausweisung angeordnet?
Düben: Das wollte man mir nicht sagen. Auch die konkreten Gründe durfte mir
der Überbringer der Nachricht nicht nennen. Nur, dass es angeordnet wurde
von höherer Stelle – also nicht von der Fakultät oder der Universität,
sondern auf höherer behördlicher Ebene.
taz: Wie haben Sie emotional reagiert?
Düben: Am ehesten mit Traurigkeit, muss ich sagen. Weil ich eben wusste,
dass jetzt plötzlich dieses Kapitel meines Lebens zu Ende sein wird. Ich
habe viel Zeit in China verbracht, habe dort viele gute Freunde. Wenn einem
dann gesagt wird, dass man noch zwei Wochen hat, bevor man das Land
verlassen muss und vermutlich niemals zurückkehren kann, dann ist plötzlich
alles, was man im Alltag tut, etwas besonders – weil es potenziell das
letzte Mal ist. Zum Beispiel in sein Lieblingsrestaurant gehen.
taz: Wie haben Ihre Studenten reagiert?
Düben: Denen wurde zunächst erzählt, dass ich freiwillig das Land verlassen
würde. Aber natürlich haben viele die Situation durchblickt. In der Tat gab
es eine ganze Reihe von Solidaritätsbekundungen. Gerne würde ich mehr ins
Detail gehen, aber ich möchte nicht, dass meine Aussagen irgendwelche
Konsequenzen für sie haben würden.
taz: Ihnen wurde angeraten, nicht mehr nach China zu reisen. Offiziell gibt
es jedoch eine zweiwöchige, visumfreie Einreise für deutsche Staatsbürger.
Werden Sie es probieren?
Düben: Tatsächlich habe ich sogar noch ein valides Visum für mehrere Jahre.
Das wurde mir am Ende nach meiner Kündigung gar nicht gestrichen. Ich denke
aber, es ist den Versuch nicht wert: Zwar habe ich es nicht schwarz auf
weiß, aber mir wurde schon relativ klar kommuniziert, dass eine Einreise
nicht mehr klappen würde. Und diese Unklarheit ist eben etwas, was meinen
ganzen Prozess gekennzeichnet hat – ja im Grunde, was vieles in China
sowohl politisch als auch gesellschaftlich kennzeichnet.
taz: Wie meinen Sie das?
Düben: Es gibt zwar Recht und Gesetz, und auf einer Arbeitsebene
funktioniert das auch. Aber sobald es in den politischen Bereich
überschwappt, dann spielen selbst vertragliche Konditionen keine Rolle
mehr. Das ist eben der Modus Operandi des Systems in China.
taz: Welche Rückschlüsse ziehen Sie daraus?
Düben: Man kann ja zum chinesischen System stehen, wie man will. Aber eine
derartige Intransparenz und Geheimniskrämerei ist objektiv schlecht und
problematisch – selbst die Regierenden haben oft nicht unbedingt den
Durchblick, was vor Ort passiert. Und der Rest der Welt steht einem Land
gegenüber, das zwar global betrachtet enorm wichtig geworden ist, aber
[3][dessen kommunistische Regierung] möglichst nichts über sich preisgeben
möchte und immer genau versucht, das Narrativ über sich mit aller Macht zu
formen. Diese Tendenz hat in den letzten Jahren nur weiter zugenommen.
18 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.lowyinstitute.org/people/contributor/bio/bjorn-alexander-duben
[2] https://www.voanews.com/a/foreign-professor-fired-from-chinese-university-a…
[3] /Putin-und-Xi/!6020571
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
China
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Ausweisung
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