# taz.de -- Clint Eastwoods „Cry Macho“ im Kino: Wenn Marmorblöcke weinen | |
> Clint Eastwoods Film „Cry Macho“ ist ein ironisches Spätwerk – eine | |
> Meditation über die Sorte Mann, die er in seinen Rollen oft verkörpert | |
> hat. | |
Bild: Ein Gesicht, über dessen Falten auch Tränen laufen können: Clint Eastw… | |
Der endlose Himmel über Mexiko, ein tiefschwarzer Wüstenboden, das | |
Firmament eine Verwandlung von Rot- zu Blautönen, dann eine dunkle | |
Silhouette. Die spitze Nase, das ungeordnete Haar und der breitkrempige | |
Hut. Clint Eastwood bereitet sich ein Nachtlager im Freien, und als er sich | |
zum Schlafen in den Sand legt, verbindet sein Profil für einen Moment lang | |
oben und unten, Himmel und Erde, bis er zurücksinkt und in der Linie des | |
Horizonts verschwindet. | |
Es ist eine der simpelsten und deswegen auch schönsten Einstellungen aus | |
seinem großartigen Alterswerk „Cry Macho“. Sie fasst zusammen, was Eastwood | |
in seiner mittlerweile fünfzigjährigen Regiekarriere wie kein Zweiter | |
vermag. | |
Eine markante Gestalt zwischen leuchtendem Äther und tiefer Finsternis. Ein | |
Umriss, dessen Charakterzeichnungen vom grundlegendsten Widerspruch | |
filmischer Bilder angestoßen werden, wie schon Sergej Eisenstein wusste, | |
vom Unterschied zwischen Hell und Dunkel, von Licht und Schatten. Der durch | |
diese ambivalente Flächigkeit geradezu prädestiniert dafür ist, die | |
Leinwände zu bewandern. Der als namenloser Fremder, als wortkarger | |
Antiheld, allen Gegensätzen des modernen US-amerikanischen Kinos durch | |
minimalen Aufwand eine Form zu geben weiß, durch das Zucken eines | |
Mundwinkels, das Aufglimmen der Augen im Zwielicht, durch einen lakonischen | |
Einzeiler. | |
Eine Silhouette, die zerfurcht und kristallklar zugleich ist, wie die | |
Oberfläche des Kontinents, auf dem sie sich bewegt. Als sich Eastwood im | |
mexikanischen Wüstensand ausstreckt, wirkt das einen Moment lang wie eine | |
Sterbeszene und meint doch das Gegenteil: ein Beispiel, wie das Kino trotz | |
seiner mediengeschichtlichen Bedrängnis unermüdlich mit der Gegenwart | |
korrespondiert. | |
Denn „Cry Macho“ ist eine Meditation über jenen Typ Mann, den Eastwood so | |
oft in seiner Karriere verkörpert hat, der ihm nicht selten den Vorwurf des | |
Machismo eingebracht hat, das, was man heute toxische Männlichkeit nennt. | |
Eastwoods Michael Milo ist ein gealterter Rodeoreiter, der seine Schulden | |
bei einem Rancher damit begleichen soll, dessen mexikanischen Sohn | |
ausfindig zu machen und über die Grenze nach Texas zu schaffen. | |
## Unterschiedliche Männlichkeitsideale | |
Der Sohn ist ein Tunichtgut, der auf illegalen Hahnenkämpfen seinen Gockel | |
„Macho“ in die Manege treibt und den er nicht zurücklässt. Fortan sitzt m… | |
also zu dritt im Wagen, der junge Mexikaner und der 91-jährige Gringo mit | |
ihren unterschiedlichen Männlichkeitsidealen, Wünschen, Hoffnungen – und | |
der zeternde Hahn. Die Dialoge im Originalton wissen sehr genau um den | |
phallischen Subtext, der da als „cock“ namens „Macho“ zwischen den beid… | |
Figuren umherflattert. | |
Das inszeniert Eastwood mit der für ihn seit ein paar Jahren typischen, | |
feinen Selbstironie. Doch solche Doppelbödigkeit ist bei genauerer | |
Betrachtung gar kein so großes Novum in seinem Werk. Auch in der | |
schnörkellosesten, scheinbar einfachsten Form wird aus dem Gegensatz von | |
Hell und Dunkel notwendigerweise ein Kaleidoskop aller Schattierungen, die | |
dazwischen entstehen können. | |
Eastwoods Männerrollen, das waren im besten Falle niemals nur monolithische | |
Felsen in der Brandung, sondern projizierte Erscheinungen an den | |
Grenzbereichen von Gut und Böse, schemenhafte Heimsuchungen, die niemand so | |
recht platzieren oder eigenen Zwecken dienstbar machen konnte. Das | |
bestätigte auf eine Art auch seine entschiedenste Kritikerin. | |
Die große Pauline Kael, auf die zwar das Bonmot zurückgeht, gutes Kino | |
solle sein Publikum niemals mit einem Gefühl der Tugendhaftigkeit aus dem | |
Saal entlassen, hatte zeit ihres Lebens ein Hühnchen mit Eastwood zu rupfen | |
– ob seines Schauspiels oder dessen, was Eastwood vermeintlich ideologisch | |
zu vertreten schien. | |
## Rüstung mit geschlossenem Visier | |
Sergio Leone, dessen sogenannte Dollar-Trilogie Eastwood in den Sechzigern | |
den Weg zum Starruhm geebnet hatte, resümierte über seinen Hauptdarsteller, | |
Eastwood beginne sein Schauspiel von einem „Marmorblock“ aus, von dem er in | |
eine „Rüstung mit geschlossenem Visier“ übersteige. Kael griff diesen Pun… | |
dankend auf. Ihre Spitzen gegen Eastwood offenbarten aber bisweilen, ob | |
bewusst oder unbewusst, doch beinahe etwas wie ein Kompliment. | |
So schreibt sie 1985 im New Yorker, Eastwoods Idee von Männlichkeit sei | |
etwas, das stets „vorgetäuscht sei“, also jenem Marmorblock erst künstlich | |
abgearbeitet werden müsse. Die Männergesichter Eastwoods waren in diesem | |
Sinne keine naturalisierten marmornen Massive, sondern marmorschimmernde | |
Luftspiegelungen. | |
Sein erster Achtungserfolg als Regisseur war der phantasmagorische | |
Spätwestern „High Plains Drifter“ aus dem Jahre 1973. Bei Eastwoods | |
namenlosem Fremden handelt es sich offensichtlich um eine tyrannische | |
Geistererscheinung, die das korrupte Establishment einer Kleinstadt | |
terrorisiert, ihre Häuser über Nacht blutrot streicht und das Ortsschild | |
gleich zu „Hell“ umtauft: der wilde Westen als Höllenvision. | |
Diese Affinität zur charakterlichen Ambiguität muss Eastwoods Mentoren und | |
Förderern, Sergio Leone und Don Siegel, immer bewusst gewesen sein. Beide | |
Filmemacher verorteten sich politisch eher links, beide übten stilistisch | |
und in ihrer Arbeitsweise großen Einfluss auf Eastwoods eigene | |
Regiearbeiten aus. Als „Unforgiven“ Clint Eastwood 1992 schließlich | |
ernsthaftes Renommee als Filmkünstler einbrachte, dort verfällt er erst in | |
den letzten Minuten des Films in eine grimmige Rächerrolle, widmete er den | |
Film „Sergio und Don“. | |
## Zynischer, amoralischer Ton | |
Siegel, der aus einer jüdischen Chicagoer Familie stammte, hatte sich in | |
den Vierzigern über seine Schnitttätigkeit zum Regisseur gering | |
budgetierter B-Pictures hochgearbeitet. Sie erforderten schnelle, | |
effiziente Drehs und korrespondierten in ihrem zynischen, amoralischen Ton | |
kongenial mit ihren bescheidenen Produktionsbedingungen. | |
So setzte 1954 sein „Riot in Cell Block 11“ maßgebliche Impulse für den | |
Gefängnisfilm, während „Invasion of the Body Snatchers“ von 1956 die in d… | |
USA grassierende Paranoia vor kommunistischer Unterwanderung als bizarre | |
Farce kenntlich machte. [1][Don Siegel war es auch, der die bis heute | |
kontroversesten Filme aus Eastwoods Schauspielerkarriere inszenierte, | |
„Dirty Harry“ und „The Beguiled“, beide aus dem Jahr 1971]. | |
Mit „Dirty Harry“ gelang Eastwood der Sprung zum Superstar, seine | |
Darstellung des Detective Harry Callahan mit Hang zur Selbstjustiz zog aber | |
auch den Verdacht auf sich, eine reaktionäre Fantasie zu sein. Am | |
prominentesten äußerte sich hier wiederum Pauline Kael. Callahan, der im in | |
satten Farben fotografierten San Francisco einen als psychotischen Hippie | |
gezeichneten, an den Zodiac-Killer angelehnten Antagonisten jagt, schien | |
die perfekte Allegorie eines konservativen Backlash gegen die liberalen | |
Spätsechziger abzugeben. Eine naheliegende Interpretation, die doch zu kurz | |
greift. | |
## Dienstmarke im Wasserloch | |
Die Gegenkultur der Sechziger war mittlerweile von sich aus in ein Klima | |
der Gewalt abgerutscht, man denke an die Manson-Morde oder auch den Tod | |
eines Schwarzen Konzertgängers bei der Tragödie des Altamont Free Concert. | |
Die Figur des Harry Callahan hingegen schwört am Ende von Siegels Film dem | |
Polizeidienst ab, versenkt ihre Dienstmarke in einem Wasserloch. | |
Nicht minder gespalten wurde seinerzeit „The Beguiled“ aufgenommen. | |
Eastwoods verletzter Unionssoldat, dem Unterschlupf in einem abgelegenen | |
Mädchenpensionat der Konföderierten gewährt wird, katalysiert sehr schnell | |
eine Konkurrenz des Begehrens unter den Bewohnerinnen und zuletzt einen | |
Kampf der Geschlechter. | |
Der vermeintlich progressive Unionist entpuppt sich dabei nicht nur als | |
sexuell übergriffiger Rassist, Eastwood geht atypisch für einen | |
actionversierten leading man der Zeit den gesamten Film über auf Krücken – | |
und irgendwann nur noch auf einem Bein. [2][Sofia Coppolas entpolitisiertes | |
Remake von 2017] unterschlägt sowohl den Rassismus der Hauptfigur und tilgt | |
im Unterschied zu Siegels Version auch die einzige Schwarze aus der | |
Erzählung. | |
## Himmel, Landschaft, ein Auto | |
In „Cry Macho“ rupft Eastwood nun schließlich selbst ein Hühnchen mit dem | |
Vermächtnis seiner Macho-Rollen. Es ist aber auch ein Film, mit dem | |
Eastwood erneut beweist, dass sich die Überschaubarkeit der Mittel – | |
Himmel, Landschaft, ein Auto, ein ungleiches Paar – in einen viel größeren | |
Reichtum ästhetischer Erfahrung verwandeln lässt. Don Siegel wäre stolz auf | |
seinen Schüler gewesen. | |
Die Perspektive auf Mexiko in Eastwoods Film erinnert in Momenten auch an | |
Luis Buñuel und Sam Peckinpah, für die beide das Land an spezifischen | |
Punkten ihrer Karriere zum filmischen Sehnsuchtsort wurde. | |
Es bleibt zu hoffen, dass Eastwood noch weiter drehen wird, ganz gleich, ob | |
nördlich oder südlich der mexikanischen Grenze. Sollte er es nicht tun, so | |
ließe sich mit „Cry Macho“ gebührend an den Filmemacher und Schauspieler | |
Clint Eastwood erinnern. Als markante, dunkle Silhouette vor dem | |
leuchtenden Abendhimmel. | |
Oder, das ist eine der anderen großartigen Einstellungen des Films, als | |
verschüchtert Verliebter, aller Machismo scheint von ihm abgefallen, der in | |
einem mexikanischen Barraum mit seiner Partnerin vor der Jukebox tanzt. Ob | |
da womöglich eine Träne im Augenwinkel ist, lässt sich im Zwielicht nicht | |
ausmachen. | |
21 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Moersener | |
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