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# taz.de -- Hybride Männlichkeit: Viele neue Vorbilder
> Männer wie Billy Porter oder Timothée Chalamet prägen heute das Bild von
> Männlichkeit mit. Mit ihren Outfits brechen sie mit der Norm.
Bild: Die Serie „Pose“ über New Yorks queere Ballroom-Szene machte Porter …
Der aktuelle [1][James Bond] scheint irgendwie aus der Zeit gefallen. Er
ist ein wenig melancholischer und emotionaler geworden, aber noch immer
besiegen sein muskulöser Körper und seine Liebe für Ihre Majestät letztlich
das Böse auf der Welt. Als ich früher die Filme schaute, wollte ich genau
so sein: in einer Welt, die nur Unsicherheit kannte, der Fels in der
Brandung. Ein echter Mann eben. Das ist heute zum Glück anders. Heute haben
wir neue Vorbilder. „Hybride Männlichkeit“ heißt der neueste Trend laut
Berliner Morgenpost, bestens verkörpert von prominenten cis Männern wie
Sänger Harry Styles oder Schauspieler Timothée Chalamet.
Sie sind nicht die Einzigen. Das Zukunftsinstitut, das seit 1998 Trend- und
Zukunftsforschung in Deutschland betreibt, spricht von einer „Evolution von
Männlichkeit“, weil Jungs und junge Männer mittlerweile vor allem „nett
zueinander“ seien. Durch „Typen in Röcken“, wie besagtem Harry Styles,
breche sogar eine neue Ära der Geschlechterverhältnisse an.
Zugegeben, es hat sich einiges verändert. Dass vermehrt [2][über
Männlichkeit und ihre negativen Auswirkungen] auf Gesellschaft und Männer
selbst gesprochen wird, ist wichtig. #MeToo und auch schon #Aufschrei haben
das Problem sexualisierter Gewalt offengelegt. Die Fälle um [3][Luke
Mockridge], [4][Julian Reichelt] oder auch [5][Klaus Dörr] sind nur einige.
Der Schutz vor Gewalt gegenüber Frauen ist gesetzlich gestärkt, das
Sexualstraftrecht wurde verschärft, reproduktive Selbstbestimmung steht
endlich auf der Tagesordnung. Der neue Koalitionsvertrag geht
Gleichstellung ambitionierter an als alle Regierungen vor ihr. Und wie wir
Männlichkeit leben, hat einen Einfluss darauf.
Paul Scheibelhofer, Professor für Kritische Geschlechterforschung an der
Universität Innsbruck, sieht einen Wandel in der Männlichkeit, gerade in
der jüngeren Generation. „Heutzutage gibt es Jugendkulturen, die eben nicht
klassisches Einarbeiten in hegemoniale, normative Männlichkeit durchleben
wollen. In dem sie sich anders in Bezug auf Sexualität positionieren,
anders in Bezug auf Dominanzpraktiken. Ich sehe da eine Hoffnung, dass
Männlichkeit sich positiv verändert.“
## Widerstand konservativer Männer
Schauspieler und Sänger ändern ihre Männlichkeit und leisten so einen
positiven Beitrag zur Ungleichheit: Ich wünschte, so einfach wäre es.
Wo Veränderung passiert, ist der Widerstand nicht weit. Ein Beispiel:
Friedrich Merz, neuer CDU-Chef. 2020 sprach er noch davon, dass es
mittlerweile sogar Diskriminierung gegen Männer gebe, nur weil Frauen
paritätische Wahllisten fordern. Oder Hubert Aiwanger, Freie-Wähler-Chef in
Bayern, der den Grünen vorwirft, sie würden keine Gleichstellung
praktizieren, sondern „Mobbing gegen Männer“.
Beide wünschen sich, so scheint es, eine Zeit wieder zurück, in der der
Platz eines (weißen) Mannes in der Gesellschaft noch eindeutig war.
Männlichkeit nicht infrage gestellt wurde. Björn Höcke, und mit ihm viele
Antifeministen, sprechen sogar davon, dass Männlichkeit „wiederentdeckt“
werden müsse. Aber was wollen wir hier überhaupt entdecken, geschweige denn
aus seiner „Krise“ befreien?
## Patriarchat überwinden
Männlichkeit ist allgegenwärtig. Sie prägt Beziehungen, unser politisches
System, ist mitverantwortlich für Gewalt, sie ist tief in unserer
Gesellschaft verankert. Susanne Kaiser stellt in ihrem Buch „Politische
Männlichkeit“ fest, dass das „Männliche“ nicht mehr die Norm ist. Stark
sein, Kontrolle haben, für Familie und Gesellschaft sorgen – all das bricht
als Ergebnis von feministischen Kämpfen auf und löst Unsicherheiten aus.
Vor allem bei denen, die es gewohnt sind, Macht zu haben – also vor allem
(cis hetero weiße) Männer. Der feministische Kampf hat für viele wichtige
Freiheiten gesorgt, auch für Männer. Aber wir dürfen jetzt nicht einen
Fehler machen: zu denken, dass mit einer „neuen“ Männlichkeit
Geschlechterverhältnisse grundsätzlich aufgehoben werden.
Wenn Promis wie Chalamet oder Styles sich in der Öffentlichkeit weicher
zeigen oder keine Angst davor haben, Röcke zu tragen, ist das ein richtiges
Zeichen. Denn viele cis hetero Männer haben noch immer Angst, als
„unmännlich“ zu gelten. Promis, die neue Männlichkeit performen, greifen
nach alternativen Demonstrationsformen ihres Geschlechts, tragen zum
Beispiel Handtaschen, betreiben selbstverständlich selfcare, gehen zur
Pediküre. Wer profitiert von dieser neuen Männlichkeit? Kann das alles
wirklich Ungleichheit beseitigen? Und ist das alles überhaupt so neu?
Für Genderforscher Scheibelhofer bedeutet der Begriff der „hybriden
Männlichkeit“ zwei Dinge: „Es ist möglich, eine aufgeweichte, vielleicht
auch unproblematische Art Männlichkeit zu leben, in die Aspekte integriert
werden, die in der Vergangenheit aus dieser ausgeblendet wurden.“ Also in
der Öffentlichkeit und privat nicht immer nach James Bond leben zu müssen,
sondern sich weicher zu zeigen, Emotionen nicht mehr zu verstecken, nicht
immer dominant sein zu wollen. Aber, so Scheibelhofer: „Man merkt eben,
dass da offensichtlich der Wunsch sehr stark ist, dass es weiterhin
Männlichkeit ist und Männlichkeit bleibt.“ Es könnte in der Theorie so
einfach sein: Wir cis Männer werden alle hybrider und mit uns die
Gesellschaft jeden Tag ein bisschen besser, das Patriarchat wird ganz bald
einfach überwunden.
## Sichtbarkeit queerer Persormances
„Männliche Dominanz kann erst dadurch eine Erfolgsgeschichte werden, dass
sie sich immer wieder anpasst an neue Gegebenheiten“, sagt Scheibelhofer.
„Es wäre ein Trugschluss zu glauben, nur wenn sich etwas ändert an
Männlichkeit, dass wir dann zusehen können, wie männliche Dominanz
verschwindet.“
Durch Styles oder Chalamet verändert sich zwar die Performance von
Männlichkeit auf der Bühne. Aber das Theater gehört immer noch dem
Patriarchat. Weiße cis hetero Männer können es sich leisten, sich in der
Öffentlichkeit weiblicher zu zeigen, müssen keine Angst mehr haben, als
homosexuell wahrgenommen zu werden.
Das passiert häufig auf Kosten von nichtweißen und [6][queeren
Männlichkeiten]. Als Harry Styles im Dezember 2020 als erster cis Mann auf
dem Cover der Vogue erschien, wurde er für seinen Mut gefeiert. Ein neuer
Trend war geboren. Billy Porter, homosexueller Schwarzer Schauspieler, hat
zu Recht kritisiert, dass alles, was Harry Styles dafür tun musste, war,
ein weißer cis hetero Mann zu sein. Was ist aber mit queeren Performances
wie denen von Prince in den 80er Jahren, was ist mit Lil Nas X, Jaden
Smith, Lil Uzi Vert, Bad Bunny oder Terry Crews?
## Ungleichheit bleibt bestehen
Ohne den Kampf von queeren Schwarzen und PoC Aktivist*innen wie den
trans Frauen Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson gäbe es diese Freiheiten
nicht, in der Öffentlichkeit sich als Mann über feste Bilder von
stereotypischer, cis hetero Männlichkeit hinaus zu zeigen.
Das Abfeiern von weißen cis heterosexuellen Männern heißt auch, dass diese
Männer als Symbol für feministischen Wandel gesehen werden. Men of Color
hingegen gelten eher als Manifestation einer toxischen, patriarchalen
Männlichkeit.
Röcke tragen, Fingernägel lackieren, genderfluide Klamotten als cis hetero
Mann tragen, den Mut dazu finden, öffentlich damit zu sein: Das sind
wichtige Schritte. Ich tue das auch. Aber durch eine neue „hybride“
Männlichkeit verlieren wir Männer nicht automatisch Privilegien. Und
solange diese bestehen, wird es Ungleichheit geben.
Der Trend muss sein, Ungleichheit als Ganzes zu sehen. Erst eine
Männlichkeit, die sich abschafft, die Machtungleichheit angeht, die sich
solidarisch dem feministischen Kampf anschließt, kann dazu beitragen.
Vorher bleibt es egal, welche Klamotten man trägt und wie weich man sich
gibt.
9 Feb 2022
## LINKS
[1] /Neue-James-Bond-Romane/!5813198
[2] /Soziologe-ueber-Maennlichkeitsforschung/!5814715
[3] /Vergewaltigungsvorwurf-gegen-Mockridge/!5791214
[4] /Neues-von-Julian-Reichelt/!5817057
[5] /MeToo-an-der-Berliner-Volksbuehne/!5758018
[6] /Queere-Ballroom-Kultur/!5633798
## AUTOREN
Fikri Anıl Altıntaş
## TAGS
Toxische Männlichkeit
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