| # taz.de -- Neues Album von Boybandstar Harry Styles: Der Möchtegern-Normalo | |
| > Der britische Popstar Harry Styles veröffentlicht mit „Harry's House“ ein | |
| > neues Album, mit dem er musikalisch den Anschluss an R&B und Balladen | |
| > sucht. | |
| Bild: Harry Styles bei einem Konzert in London | |
| Er tat das Richtige. Harry Styles von der britischen Boyband One Direction | |
| beschloss vor fünf Jahren, es allein zu versuchen. Seine erste Single und | |
| sein Debütsoloalbum machten ihn sogleich zum Star. Wo jener erste Hit „Sign | |
| of the Times“ auf die forcierte Innerlichkeit von Coldplay-Balladen setzte, | |
| eröffnet nun Synthesizer-geprägter 90er R&B Styles neues, drittes Album | |
| „Harry’s House“ und mündet bald ins beste Stück, das charmant rhythmisch | |
| akzentuierende „Late Night Talking“. | |
| Klug bezieht sich der 28-Jährige auch in „Cinema“ auf die luftigere, | |
| weniger effektüberladende britische R&B-Variante jener Tage, allein Styles | |
| etwas verschämte Stimme irritiert. Ähnlich seinem Kollegen [1][Ed Sheeran] | |
| erscheint der Popstar und Schauspieler dabei ein bisschen zögerlich. Was | |
| auf manche Hörer:innen postheroisch uneitel wirkt, lässt die emotionale | |
| Involviertheit eines Lynden David Hall oder der Sugababes jedoch vermissen. | |
| Dann erinnert Harry Styles’ Song „Grapejuice“ mit seinen Lennon-Harmonien | |
| zu schlaffen HipHop-Beats doch wieder an jene Britpopattitüde, mit der sich | |
| schon Robbie Williams einst von seiner Boybandvergangenheit lösen wollte. | |
| Abgesehen von dem recht rustikal mit A-Ha’s „Take on Me“ kokettierenden | |
| Nummer-eins-Hit [2][„As It Was“] – gerade an der Spitze der US-Charts –, | |
| erleben wir also Sentenzen der 1990er in zeitgenössisch arrangierten | |
| Sounds. | |
| ## Zurück ins Geburtsjahrzehnt | |
| Dieser Mechanismus der Popkultur funktioniert noch, die Leute wollen in das | |
| Jahrzehnt zurück, in dem sie geboren wurden. Doch anderes hat sich | |
| geändert, grundlegend sogar. Während Robbie Williams sich die Korken der | |
| liegengelassenen Champagner-Flaschen des Rockzeitalters ins eigene Auge | |
| knallen ließ, spricht aus Harry Styles die Stimme der Vernunft. Der | |
| Künstler berichtet in Interviews von Menschen, die erfolgreich und trotzdem | |
| nett geblieben sind, so mag er auch sein, wie ein ganz normaler Typ. | |
| Da die Selbstüberzeugtheit des Popstars mit dem Wunsch nach Normalität | |
| kollidiert, skizzieren die musikalischen Stimmungen mitunter ein Patt der | |
| Gefühle. Dann klingt es nach Sorgen, die das Paar auf dem Bett einander | |
| zuflüstert, statt einander zu lieben, derweil der Sommerregen über die | |
| Fensterscheibe rinnt. Letztendlich obsiegt die Hoffnung auf das Gute nach | |
| der wilden Ära der Popmusik, doch da liegt auch eine Last auf Styles’ | |
| Schultern: Die Zeit hat ihn zurückgeworfen. | |
| Schaut man in die 1980er, werden Künstler wie [3][The Human League,] Japan, | |
| The Asscociates, Alphaville, ja auch auf Thomas Anders wieder lebendig; | |
| überall hübsche, geschminkte, teils feminine Männer, die Schüler David | |
| Bowies. Sie waren da, sehr selbstverständlich und souverän, und es schien | |
| absehbar, dass sich bald Männer auch im Alltag schminken würden. | |
| Dann kamen die 1990er: Lad-Saufkopp-Culture, homophober HipHop-Machismo, | |
| Rockmusiker, deren tätowierte Muskelkörper nur vom Tod ihrer Musik zeugten. | |
| Jene, die etwas wagten, wirkten so stoffelig wie der Sänger von Placebo bei | |
| seinem Versuch, Lauren Bacalls Blick zu imitieren. | |
| Derweil ließ die Autoaggressivität der schwarzgekleideten, „Emo“ genannten | |
| Kids einen staunen, wie schnell und gründlich so viel verloren sein konnte. | |
| Oder waren die Prozesse einfach zäher als geglaubt? Immerhin, die Emos | |
| forderten das Recht der nicht mit Starappeal Beschenkten ein. | |
| Harry Styles aber wurde beschenkt, gleicht einem schnieken Sonnyboy mit | |
| nachdenklicher Seite. Doch er will andere ermutigen – zwischen Sein und | |
| Wollen schlittert das Statement seiner ihm so wichtigen modischen | |
| Selbstinszenierung eher ins Linkische denn Befreiende. Das Feminine ist ihm | |
| zum Glück nicht mehr die brüllende Katharsis des im Kleid auftretenden Kurt | |
| Cobain, aber es verwehrt sich auch der Eleganz, der beeindruckenden | |
| androgynen Stile um 1930 und 1980. | |
| Die andauernde Krise der Popmusik (nebst ihrer Industrie) und der neue | |
| Puritanismus prägen Styles’ Kunst maßgeblich. Sein Drama ist das des | |
| Kalkulierten, jener engen Leine, die sich um Pop gelegt hat und just als | |
| ihr Gegenteil, als Freiheit, erscheinen soll. | |
| 2 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!5509585/ | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=uXapuO0tgmc | |
| [3] /Debuetalbum-von-Lost-Girls/!5760764 | |
| ## AUTOREN | |
| Oliver Tepel | |
| ## TAGS | |
| Pop | |
| Großbritannien | |
| Neues Album | |
| Popstar | |
| Neues Album | |
| Schottland | |
| Toxische Männlichkeit | |
| Popmusik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| BR-Doku „Ab wann ist Fankult toxisch?“: Das bisschen Wahnsinn | |
| Wie weit geht die Liebe zu einem Star? Der BR begleitet drei extreme Fans | |
| des britischen Popsängers Harry Styles. | |
| Katalanische Sängerin Marina Herlop: Ineinander fallende Fantasiegebilde | |
| In ihrem dritten Album „Pripyat“ wagt sich die katalanische Musikerin | |
| Marina Herlop auch in die ihr bislang fremde Klangwelt der Musik-Software. | |
| Wiederentdeckung von „The Associates“: Hingabe ist den Dandys fremd | |
| „Sulk“, ein Album des flamboyanten schottischen Popduos The Associates, war | |
| eines der Werke des Jahres 1982. Was sagt uns diese Musik heute? | |
| Hybride Männlichkeit: Viele neue Vorbilder | |
| Männer wie Billy Porter oder Timothée Chalamet prägen heute das Bild von | |
| Männlichkeit mit. Mit ihren Outfits brechen sie mit der Norm. | |
| Alicia Keys während der Pandemie: Wellness am Piano | |
| Alicia Keys hat in den vergangenen Monaten eine Kosmetiklinie und | |
| Autobiografie veröffentlicht. Außerdem hat sie ihr achtes Album | |
| rausgebracht. |