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# taz.de -- Magazin über kritische Männlichkeit: Netter sein reicht nicht
> Das „Boykott Magazin“ will ein gutes Leben für alle Geschlechter. Die
> Macher*innen fragen deshalb nach Alternativen zur altbekannten
> Männlichkeit.
Bild: Ausschnitt aus einem Instagram-Post des „Boykott Magazin“
Am Anfang steht eine banale Feststellung, aus der sich die elementare Frage
ableitet: Es gibt Männer. Was also tun? Viele hat das schon in die
Verzweiflung getrieben.
Ulla Wittenzellner und Lukas Tau haben sich der Problematik angenommen –
was nicht bedeutet, dass sie gegen Männer oder ihre Existenz vorgehen,
sondern das Gegenteil davon. Sie wollen, so ausgelutscht das klingt, für
das gute Leben aller Menschen, aller Geschlechter, kämpfen. Dem steht
männliches Verhalten bekanntlich oft entgegen. Deshalb haben sie ein
feministisches Männermagazin herausgebracht: Das [1][Boykott Magazin]
widmet sich einer kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit aus
profeministischer Perspektive.
„Natürlich lassen sich lange gewachsene und komplexe Herrschaftstrukturen
nicht einfach abschaffen, indem Typen netter zu ihren Freundinnen sind“,
sagt die Herausgeberin Wittenzellner. Aber es mache einen realen
Unterschied, wie sich Cis-Männer verhielten und [2][ob sie ihre
Männlichkeit reflektierten]. „Dazu wollen wir einen Anreiz und eine
Hilfestellung geben.“
Sie und Tau, die gleichzeitig Herausgeber*innen und die einzigen
beiden Redakteur*innen sind, kennen sich seit über zehn Jahren und
waren mal ein Paar. Geschlechterdynamiken hätten für sie einzeln, aber auch
zwischen ihnen immer eine Rolle gespielt. An einem angetrunkenen Nachmittag
auf den Straßen Berlins sei im vergangenen Sommer die Idee zum Magazin
entstanden. Per Crowdfunding sammelten sie 7.760 Euro und druckten 1.500
Exemplare, die innerhalb weniger Tage ausverkauft waren. Weil die Nachfrage
noch nicht gedeckt ist, produzieren sie jetzt nach.
## Über Gefühle sprechen
„Fragile Erektion“, „Nices Flirten“, „Sexistisches Kackverhalten“ u…
„Geschlechtskrankheiten“ sind etwa Themen, denen sich ein Dutzend freie und
unbezahlte Autor*innen in der ersten Ausgabe widmen. Die Textgattungen
reichen von wissenschaftlichen Annäherungen über Essays zu persönlichen
Erfahrungsberichten. Die Fragen, denen sie nachgehen, beschäftigen nicht
nur Penisträger. Woran liegt es zum Beispiel, dass Männer mit ihren
männlichen Freunden so selten [3][über Gefühle sprechen]?, fragt der Autor
Tabs Gehrman.
Selbst in feministischen Kreisen sei das kaum besser, da bestehe die
Aufgabe lediglich darin, Gefühle zu offenbaren, ohne das Gegenüber mit der
eigenen Schwäche oder Unsicherheit zu belasten. Stärke, Erfolg,
Unabhängigkeit blieben auch hier die nötigen Attribute. Erschwerend komme
hinzu, dass die freundschaftliche Beziehung selbst als Thema tabu sei. Die
männliche Freundschaft diene als Refugium, wo geschwiegen wird, wenn es zu
tief geht.
Den Grund dafür sieht Gehrmann in gesellschaftlichen Anforderungen an
Männlichkeit, zu denen selbstredend auch Frauen beitragen – sei es im Bett,
in der Freundschaft oder auf der Arbeit. Ein Ausweg könne etwa sein,
Nachfragen zu stellen, statt bloß zu kommentieren, sich klassisch
„weibliches Terrain“ wie Fürsorge und Trost zu erobern und aktiv von
Männlichkeitsnormen abweichendes Verhalten zu bestärken.
Ähnlich schwierig wie über Emotionen kann es in jeglicher Beziehung sein,
über Sex zu reden – nicht nur für Männer. Auch hier versuchen
Wittenzellner und Tau, konkrete Tipps zu geben. „Für mich gehört dazu,
eine gemeinsame Sprache zu finden“, schreibt Tau etwa. „Das Wort
‚Penetrationssex‘ ist mir oft zu technisch, ich frage lieber ‚Hast du Lust
zu vögeln?‘“
## Mittelweg zwischen Theorie und Praxis
Auf 135 Seiten gelingt es der Redaktion, einen Mittelweg zwischen
feministischer Theorie, praktischen Erfahrungen, Einstiegslektüre und
vertiefter Debatte zu treffen. Linke Erklärungszwänge und Disclaimer à la
„Warum wir diesen Text aus dieser Perspektive schreiben und nicht aus
jener“ halten sich angenehm in Grenzen. Das puristische Layout spielt mit
opulenten Typografien, feinen Linien und versetztne Formen, statt auf viele
Bilder zu setzen, und gibt dem DIY-Projekt eine künstlerisch-edle Optik.
In den sozialen Netzwerken wie Instagram überschütteten Leser*innen der
ersten Ausgabe die Redaktion Anfang April mit Likes und Herzen. Da das
Magazin bislang keine herkömmliche [4][Buchhandlung erreichte], dürfte sich
die Wahrnehmung auf eine ohnehin gendersensible Szene beschränken. Was
nicht so bleiben sollte. Unter den Konsequenzen männlicher Sprach- und
Verantwortungslosigkeit in Sachen emotionale Carearbeit, Sex und Beziehung
leiden schließlich alle, die mit Männern zu tun haben.
5 May 2021
## LINKS
[1] https://www.boykott-magazin.de/
[2] /Falk-Richter-ueber-toxische-Maennlichkeit/!5652457
[3] /Gefuehle-und-Krisen/!5637050
[4] https://www.boykott-magazin.de/news/in-diesen-l%C3%A4den-gibt-es-das-magazi…
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
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Schwerpunkt Rassismus
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