| # taz.de -- Neues Männermagazin „Esquire“: Letzte Hoffnung Fleisch | |
| > In der ersten Ausgabe von „Esquire“ wird Männlichkeit kritisch | |
| > reflektiert. Das gelingt kaum, gibt aber trotzdem Hoffnung auf | |
| > Veränderung. | |
| Bild: Warum wird „pumpen“ dann doch irgendwie als genuin männliches Attrib… | |
| Als Kind habe ich gerne die Frauenmagazine meiner Oma durchgeblättert. | |
| Darin schien alles so einfach. Es gab nur schön oder hässlich, glücklich | |
| oder traurig, Liebe oder Hass. Doch die mystische Parallelwelt von Brigitte | |
| bis Bunte war nicht nur binär – sie schrieb Frauen auch bestimmte Merkmale | |
| zu: stets gut und möglichst abwechslungsreich gekleidet, heterosexuell, | |
| schlank, konsumfreudig, vorwiegend weiß, immerzu lächelnd. Sie schufen ein | |
| Genre, dessen Ideal immer unerreichbar war – und deshalb bis heute Sexismus | |
| und bodyshaming befördert. | |
| Über das andere Geschlecht, jenes, das mir per Geburt angedichtet wurde, | |
| erfuhr ich damals kaum etwas. In der Schule lernte ich nur, dass ich keine | |
| Emotionen und kein Modebewusstsein haben, nur aus Notwendigkeit konsumieren | |
| wollen soll. | |
| In den wenigen Zeitschriften für Hetero-Männer, die gemessen an ihren | |
| Pendants sehr kleine Auflagen hatten, [1][schien sich Männlichkeit meistens | |
| nur darüber zu definieren, was sie nicht ist – verletzlich, unentschlossen, | |
| sensibel] – oder biologisch, mit freundlicher Unterstützung Charles | |
| Darwins, der die Überlegenheit des Mannes und die Unterlegenheit der Frau | |
| evolutionistisch herbeifantasierte. | |
| Rund 20 Jahre später ahne ich, warum Männer bis heute so undefiniert sind. | |
| Viele, hierzulande weiße heterosexuelle Exemplare, haben es nie nötig | |
| gehabt, sich zu fragen, wer sie sind. Jene Cis-Männer, also alle, deren | |
| Geschlechtsidentität mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht | |
| zusammenfällt, konnten einfach sein, wer sie sind. Was übrigens auch ein | |
| Grund dafür sein könnte, warum jene Männer die für [2][marginalisierte | |
| Subgenres] wie Migrant*innen oder LGBTIQ so wichtige Identitätspolitik | |
| nicht verstehen und ablehnen. | |
| Ist das heute, in einer Zeit, in der Männermagazine trenden, anders? | |
| Kürzlich erschien, mitten in der pandemiebedingten Wirtschaftskrise, die | |
| auch den Anzeigenmarkt trifft, die erste deutsche Ausgabe der renommierten | |
| US-Männerzeitschrift Esquire. Das Magazin, das hierzulande bereits zwischen | |
| 1975 und 1992 auf dem Markt war, soll viermal jährlich in einer Auflage von | |
| 120.000 Exemplaren erscheinen. In den USA ist es legendär. | |
| ## Kein Platz für ausgefeilte Texte | |
| 1951 war darin das erste Foto von Marilyn Monroe zu sehen, in den 1960er | |
| Jahren wurde es für die Texte von Schriftstellern wie Tom Wolfe berühmt, | |
| [3][einem Mitbegründer des „New Journalism“, der radikal subjektiv und | |
| literarisch vorging], aber auf Fakten basierte. | |
| Ob der deutschen Ausgabe der Spagat zwischen literarischer Qualität und | |
| Lifestyle gelingt, ist ohnehin keine Frage. Denn deutsche | |
| Mainstream-Magazine hatten noch nie Platz für ausgefeiltere Texte, ganz im | |
| Gegensatz zu US-amerikanischen wie dem GQ, in dem neben plakativen | |
| Wellness-Tipps auch kritische Reportagen und Essays erscheinen. | |
| Wie erwartet springt der Leser*in im deutschen Esquire statt kritischem | |
| Journalismus ein überdrehter Mix aus Hochglanzfotos und Werbung entgegen, | |
| oder: Werbung, die aussieht wie ein Artikel, und Artikel, die aussehen wie | |
| Werbung. Das Design und die Schriften sind schön kantig und klar, doch das | |
| Layout wirkt wie ein schlecht aufgeräumter Instagramfeed. Aber nicht nur | |
| Social Media, auch die direkte Konkurrenz ist groß – muss Esquire doch mit | |
| auflagenstarken Playern wie Playboy (101.800), GQ (63.000) oder deutschen | |
| Formaten wie Business Punk (35.000) oder Beef (50.000) konkurrieren. | |
| Die Zielgruppe von Esquire, das im Titel den Hollywood-Schauspieler Matthew | |
| McConaughey zeigt, sind laut der Selbstbeschreibung auf der Webseite des | |
| Münchener Burda-Verlags „weltoffene Männer ab 30 Jahren, die einen | |
| nachhaltigen Lebensstil pflegen, kulturell interessiert und modebewusst | |
| sind und sich für die schönen Dinge des Lebens begeistern“. | |
| Auch wenn es in den drei Rubriken „News“, „Life“ und „Style“ etwa k… | |
| Musik- und Serien-Kritiken, ein Interview mit McConaughey sowie einen | |
| längeren Text zum Thema „50 Jahre Gummigeschosse“ gibt, scheint sich | |
| „weltoffen“ eher auf die Selbstreflexion von Männlichkeit zu beziehen. Die | |
| aber erweist sich als Alibi. | |
| So möchte etwa ein Text darauf hinweisen, wie die Popkultur „neue | |
| Gegenentwürfe zur toxischen Männlichkeit“ schafft: „Ein Typ, der sich | |
| Concealer unter die Augen streicht, kann genauso hetero sein wie einer, der | |
| im Gym bis zum Kollaps pumpt“. Mag sein, aber sind der Schauspieler | |
| Timothée Chalamet und der Sänger Harry Styles wirklich die besten Beispiele | |
| [4][für ein fluides Genderbild], abgesehen davon, dass sich Marilyn Manson | |
| oder Prince schon vor 20 Jahren schminkten? Und warum wird „pumpen“ dann | |
| doch irgendwie als genuin männliches Attribut gefeiert? | |
| ## Toxische Männlichkeit | |
| Ähnlich Merkwürdiges ist in der Rubrik „Secretly Asked Questions“ zu lese… | |
| Der Untertitel lautet „Antworten auf Fragen, die sich laut keiner zu | |
| stellen traut“ – aber besteht toxische Männlichkeit nicht auch wesentlich | |
| in der Unfähigkeit, Fragen zu stellen, Unsicherheit zu zeigen? | |
| Der erste Satz der Antwort auf die Frage „Wie sensibel darf ich mich in der | |
| Arbeit zeigen, ohne an Respekt zu verlieren?“ lautet jedenfalls: „Die | |
| meisten Männer denken bei dem Wort sensibel immer noch an ein heulendes | |
| Elend, das sich in der Klokabine versteckt“. Noch seltsamer ist die Rubrik | |
| „Frauen, die wir lieben“, in der das R&B-Duo Chloe x Halle porträtiert wird | |
| und fragen lässt: Warum können sie nicht für sich selbst stehen, sondern | |
| werden an ihrem Frausein gemessen? | |
| Die Überaffirmation der Frau wirkt ein bisschen wie jener vorauseilender | |
| Entschuldigungsmodus, mit dem manche Männer um die 30 ihr Dominanzgebaren | |
| unter einem pseudofemininen Dutt zu verstecken versuchen. Dabei ist es mit | |
| toxischer Männlichkeit ähnlich wie mit Rassismus. Dessen perfidere, weil | |
| subtilere Form sind die alltäglichen Mikroaggressionen, wie sie die | |
| Schwarze US-Dichterin Claudia Rankine in ihrem Buch „Citizen“ beschreibt. | |
| Zu behaupten, Frauen zu lieben, Hautunreinheiten zu verbergen oder weinen | |
| derart negativ zu konnotieren, ist jedenfalls kein Mittel gegen | |
| Machtmissbrauch und Misogynie. | |
| Im Vergleich zu anderen Publikationen aus dem Genre ist Esquire mit der | |
| subtilen Selbstkritik jedoch nahezu progressiv. So begegnet der Leser*in | |
| des Magazins Beef der Mann als willenloser Fleischfresser, in BP als | |
| „Fuck“-sagender Start-up-Schnösel und als muskulöser Schönling in GQ. | |
| Verwegene Whiskytrinker kommen überall vor. Im aktuellen Beef erfahren | |
| Leser*innen außerdem, wie Koalabären schmecken, warum sie Pick-ups | |
| fahren sollen und warum Grillen toll ist – als wäre übermäßiger Verzehr v… | |
| Fleisch die letzte Hoffnung für eine untergehende Männlichkeit. | |
| Die Angst davor versteckt sich nämlich, wenn auch subtil, in allen | |
| Zeitschriften, und es scheint, als müsste sie mit Konsum kompensiert | |
| werden, jedoch nur mit den „schönen Dingen des Lebens“ (Esquire), die | |
| Männern schon in meiner Kindheit zugeschrieben wurde: In der Esquire | |
| wimmelt es nur von Autos (24 Fotos) und Uhren (25 Fotos). „Es gibt immer | |
| etwas zu tun, immer etwas zu erschaffen“, sagt ein unverschämt gut | |
| aussehender Giorgio Armani – nicht in einer Werbung, sondern im Interview. | |
| ## Hyperliberale Businnes-Logik | |
| Der Satz steht exemplarisch für das propagierte Ethos des dauerschuftendes | |
| Arbeitstiers, das in BP, das übrigens von einer Frau mitgeleitet wird und | |
| kein reines Männermagazin ist, auf die Spitze getrieben wird. Dort heißt es | |
| im November-Editorial bezüglich der behaupteten Tendenz zur „Rückbesinnung | |
| auf wahre Werte“ voll frech: „Besinnung – nicht unser Ding. Weckt uns, we… | |
| die Menschen Machen wieder geil finden“. Nebem [5][dem | |
| sozialdarwinistischen Sound] tummeln sich auch hier protzige SUVs zwischen | |
| Interviews mit Unternehmern, die Nachhaltigkeit predigen und Claims wie: | |
| „warum es sinnvoll sein kann, im Lead auch mal Schwäche zu zeigen“. | |
| Mal abgesehen davon, welch militärisch-chauvinistisches Verständnis von | |
| „Führung“ diesem Satz zugrunde liegt, scheint der hier gezeichnete Mann | |
| immerhin nicht mehr einfach so sein zu können, wie er ist. Mir kommt es | |
| vor, als sei das Genre weniger biologisch begründet, dafür aber umso | |
| ideologischer. | |
| So folgt auch in Esquire auf das schüchterne Bekenntnis zur Selbstkritik | |
| eine hyperliberale Business-Logik, nach der Männer sich im Beruf bei Bedarf | |
| ein bisschen mit der Frauenquote beschäftigen, aber privat weiter | |
| herumgiften. Es scheint, als stecke in jedem zweiten Typen mit goldener Uhr | |
| ein kleiner, machtsüchtiger Trump oder Putin. Ein echtes kritisches | |
| Hinterfragen des Genres Mann scheint jedenfalls auch 2020 nur in woken oder | |
| queeren Kreisen stattzufinden. Angenommen, Printmedien prägen auch in | |
| Zeiten von Social Media noch Gender-Subjektivitäten, so steckt vielleicht | |
| dort Potential. | |
| Lieferten die Frauenmagazine meiner Oma dem Feminismus schließlich nicht | |
| ein Negativbeispiel eines binären, sexistischen Genderdiskurses, das zu | |
| einem kritischeren Blick auf das Genre Frau – und dann zu einer | |
| Gegenerzählung führte? Der Anblick dieser seltsamen, homogenen, putzig vor | |
| sich hin stammelnden Männer könnte auch eine Steilvorlage sein für eine | |
| Entgiftung des Genres Mann. | |
| Vielleicht ließen sich die wettbewerbslustigen Typen im zwangslockeren | |
| Business-Dress mit einer neuen Erzählung ködern. Denn mit den menschlichen | |
| verhält es sich wie mit musikalischen Genres: Die interessantesten | |
| Vertreter*innen sind jene, die dazwischen stehen. | |
| 6 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Philipp Rhensius | |
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