# taz.de -- Fleischkonsum und Männlichkeit: Männer schlecht für Tier und Umw… | |
> Männer essen doppelt so viel Fleisch wie Frauen – und reproduzieren so | |
> Klischees über körperliche und kulturelle Dominanz. | |
Bild: In der Industrialisierung galt der männliche Körper als Maschine – un… | |
Rinderfilet, Rumpsteak, T-Bone – das Kochmagazin Beef titelt fast | |
ausschließlich mit Bildern von rohem, rotem Fleisch. Es ist das erste | |
Kochmagazin, das sich explizit an Männer richtet. Und was essen Männer? | |
Fleisch. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung [1][(DGE) berechnete]: 1,1 | |
Kilogramm pro Woche, doppelt so viel wie Frauen. | |
Was wir essen, sagt viel über uns aus. Wie wir aufgewachsen sind, wie viel | |
Geld wir haben, wo wir leben – und welchem Geschlecht wir uns zugehörig | |
fühlen. Laut DGE ernähren sich Männer und Frauen tatsächlich anders: Männer | |
[2][eher rotes Fleisch], Nudeln und Käse, Frauen dafür mehr Gemüse, | |
Geflügelfleisch und Quark. Klingt stereotyp, ist es auch. | |
Unsere Essgewohnheiten [3][sind sehr gegendert]“, sagt Nora Bouazzouni. Die | |
französische Journalistin und Autorin setzt sich in ihrem Buch „Steaksisme“ | |
mit dem Verhältnis von Männlichkeit und Fleischkonsum auseinander. „Aber | |
sie sind veränderlich. Es ist ein Mythos, dass Männer von Natur aus | |
Fleischesser sind und Frauen auf Gemüse stehen“. | |
Martin Winter ist Soziologe und forscht an der TU Darmstadt über Ernährung | |
und Geschlecht. Für ihn spielt Fleisch in der Konstruktion von Männlichkeit | |
eine große Rolle, insbesondere rotes Fleisch wie Rind und Schwein. „Durch | |
das Essen formen wir unsere Körper. Eine größere Menge Fleisch wirkt sich | |
auch auf die körperliche Statur aus“, sagt er, „dazu kommt Fleisch als | |
Symbol der Dominanz über die Natur.“ | |
Fleisch sei an sich nicht männlich konnotiert, so Winter, aber es werde | |
[4][kulturell mit Männlichkeit] verbunden. Für ihn liegt der Ursprung der | |
Fleischverteilung in der bürgerlichen Sphärentrennung: Männer in der | |
Produktion und Frauen in der Reproduktion. | |
## Misogyne Thesen von Aristoteles | |
„Zur Zeit der Industrialisierung war noch ein Bild vorherrschend, dass der | |
Mensch wie eine Maschine funktioniert. Das Protein war dann quasi der | |
‚Brennstoff‘, der für harte körperliche Arbeit notwendig war und deshalb | |
Männern zustand.“ Deshalb werde Fleisch heute noch mit körperlicher Stärke | |
verbunden. | |
Für Nora Bouazzouni hat diese Differenzierung schon in der griechischen | |
Antike begonnen. „Bei Frauen-Skeletten in Rom wurden Anzeichen für | |
Eisenmangel entdeckt, nicht aber bei Männer-Skeletten. Der Beweis für eine | |
differenzierte Ernährung zu Ungunsten der Frauen“, sagt sie. Diese beruhe | |
auf den misogynen Thesen von Aristoteles und seinen Zeitgenossen. | |
In ihrem Weltbild waren Frauen minderwertig und weniger leistungsfähig. | |
Daher stand ihnen laut Bouazzouni weniger Fleisch zu. „Es herrscht sehr | |
viel Desinformation über den Fleischkonsum“, bedauert sie. Immer wieder | |
werden biologische Argumente herangezogen, um den vermeintlich höheren | |
Bedarf an Fleisch von Männern zu rechtfertigen. Glaubt man Fitness-Foren, | |
müssten sie mehr davon essen, weil sie mehr Protein bräuchten. Dafür gibt | |
es aber keine wissenschaftlichen Belege. | |
Die [5][DGE empfiehlt] maximal 67 Gramm Protein pro Tag, je nach Gewicht – | |
nicht nach Geschlecht. Diese Menge könne mit proteinreichen Lebensmitteln | |
erreicht werden, allen voran Hülsenfrüchte und Soja. „Wir sprechen uns | |
eindeutig für eine fleischärmere, abwechslungsreichere und auf pflanzlichen | |
Lebensmitteln wie Gemüse und Obst sowie Vollkorn basierende Kost aus“, | |
heißt es von der DGE auf taz-Anfrage. | |
Für den Verzehr von Fleisch und Wurst empfiehlt die DGE zwischen 300 und | |
600 Gramm pro Woche – die Hälfte von dem, was Männer aktuell konsumieren. | |
Dabei warnen Wissenschaftler:innen vor den gesundheitlichen Schäden | |
eines Fleisch-Überkonsums. Aus [6][einer internationalen Studie] in der | |
medizinischen Fachzeitschrift The Lancet geht hervor, dass jährlich | |
weltweit 11 Millionen Menschen an den Folgen einer unausgewogenen Ernährung | |
sterben. | |
## Erhöhtes Risiko für Krankheiten | |
[7][US-Studien deuten] darauf hin, dass viel Protein langfristig unter | |
anderem Nierenschäden verursachen kann. „Wer viel rotes Fleisch und Wurst | |
isst, hat ein höheres Risiko für Darmkrebs“, erläutert zudem die DGE. | |
Außerdem könne es das Risiko für Übergewicht, Diabetes und | |
Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. | |
Auch die Umwelt leidet stark unter dem Überkonsum von Fleisch. Allein in | |
Deutschland ist die Landwirtschaft l[8][aut Umwelt-Bundesamt] für 7 Prozent | |
der gesamten jährlichen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. | |
Hauptverursacher sind die Methan-Emissionen aus der Tierhaltung, die fast | |
vollständig auf die Rinder- und Milchkuhhaltung zurückzuführen sind. | |
Mittlerweile wird laut dem UN-Umweltprogramm (Unep) fast 80 Prozent der | |
[9][landwirtschaftlichen Nutzfläche für Tierhaltung] genutzt. Außerdem | |
werden bei der Herstellung von einem Kilogramm Rindfleisch etwa [10][15.000 | |
Liter Wasser verbraucht], deutlich mehr als für andere proteinhaltige | |
Lebensmittel. | |
Frauen schützen durch ihre Ernährung die Umwelt mehr als Männer, | |
[11][schlussfolgert eine Forschungsgruppe] der Martin-Luther-Universität in | |
Halle. Sie hat berechnet: Wenn alle Männer sich so ernähren würden wie | |
Frauen – also weniger Fleisch, mehr Gemüse und Getreideprodukte –, würde | |
eine Fläche so groß wie Schleswig-Holstein im In- und Ausland frei und 15 | |
Millionen Tonnen Treibhausgase würden eingespart werden. | |
„Gerade, weil Fleisch mit vielen negativen Konsequenzen verbunden ist, | |
drückt dessen Konsum auch eine gewisse Macht aus“, sagt Soziologe Winter. | |
„Es gilt als Stärke, ungesunde Dinge mit seinem Körper zu tun – egal ob | |
gefährliche Sportarten, schnelles Autofahren, rauchen und Alkohol trinken.“ | |
Das sei rücksichtslos – gegenüber einem selbst sowie gegenüber anderen und | |
wird häufig als „toxische Männlichkeit“ beschrieben, so Winter. | |
Das findet auch Bouazzouni: „Die Auswirkungen ihres Verhaltens | |
interessieren sie nicht. Das Wichtigste ist ihre Freiheit“, kritisiert die | |
Journalistin. Neben der Betonung der Männlichkeit, wodurch bewusst viel | |
Fleisch konsumiert wird, beobachtet Winter aber auch eine gegenläufige | |
Tendenz. „Körperliche Attraktivität wird für Männer immer wichtiger. In | |
vielen Milieus ist es für Männer wichtiger geworden, auf den eigenen Körper | |
zu achten“, so Winter. Dadurch werde es legitimer, die Ernährung | |
umzustellen, um eine Gewichtzunahme zu verhindern. | |
## Hoher Fleischkonsum korreliert mit rechten Einstellungen | |
Zwar isst Mann gerne Fleisch, meistens kocht aber die Frau. Bei der | |
traditionellen Rollenverteilung gibt es aber eine Ausnahme: das Barbecue. | |
„Es wird hauptsächlich Fleisch zubereitet und mit Feuer hantiert. Damit | |
wird die Vorstellung einer Ur-Küche transportiert“, erklärt Bouazzouni, | |
warum Grillen männlich konnotiert ist. Fleisch auf dem Grill gibt es beim | |
Kochmagazin Beef en masse. „Die Zeitschrift zelebriert den Fleischkonsum“, | |
sagt Winter. Sie sei ein Sinnbild derjenigen, die Fleischkonsum | |
verteidigen. Für ein Gespräch mit der taz stand die Redaktion auf Anfrage | |
nicht zur Verfügung. | |
Weil Fleisch mit Stärke verbunden sei, gelten Männer als unmännlich, die | |
ihren Fleischkonsum reduzieren oder sich gar vegetarisch ernähren, stellt | |
Soziologe Winter fest. Das belegt auch [12][eine Studie] aus den USA. | |
Demnach sind Männer grundsätzlich weniger offen dafür, sich vegetarisch zu | |
ernähren, vor allem diejenigen, die eher traditionellen Rollenbildern | |
zustimmen. Das untermauert auch [13][eine neue Umfrage] des französischen | |
Meinungsforschungsinstituts Ifop: | |
Große Fleischkonsumenten würden sexistischen Aussagen eher zustimmen als | |
Männer, die weniger Fleisch essen. Davon ist Winter nicht überrascht. | |
„Fleisch symbolisiert nicht nur die Herrschaft des Menschen über die Natur, | |
sondern auch die patriarchale Herrschaft des Mannes über die Frau“, sagt | |
er. | |
Fleischessen wird als Kulturgut verstanden, das von seinen Konsumenten in | |
emotionalen Debatten vehement verteidigt wird. „Fleisch unter anderem wird | |
als Waffe genutzt im Widerstand gegen das ‚politisch Korrekte‘ und die | |
‚vegan-feministische Diktatur‘ “, beobachtet Bouazzouni. | |
Der Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts zufolge gibt es | |
auch eine Korrelation zwischen Fleischkonsum und politischer Orientierung: | |
Die Hälfte der Männer, die sich stark über Fleischkonsum identifizieren, | |
verorten sich eher im rechten oder im rechtsextremen Lager, heißt es. | |
30 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dge.de/uploads/media/DGE-Pressemeldung-aktuell-01-2014-Maenner-… | |
[2] /Ernaehrung-der-Zukunft/!5883736 | |
[3] /Neues-Maennermagazin-Esquire/!5723580 | |
[4] /Psychologe-ueber-Gender-und-Krieg/!5855095 | |
[5] https://www.dge.de/presse/pm/wie-viel-protein-brauchen-wir/ | |
[6] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(19)30041-8/… | |
[7] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4045293/ | |
[8] https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/beitrag-der-landw… | |
[9] https://www.chathamhouse.org/sites/default/files/2021-02/2021-02-03-food-sy… | |
[10] https://www.theguardian.com/news/datablog/2013/jan/10/how-much-water-food-… | |
[11] https://www.dbu.de/media/270612105901meeo.pdf | |
[12] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0195666321003822?vi… | |
[13] https://www.darwin-nutrition.fr/wp-content/uploads/2022/09/Rapport_Ifop_Da… | |
## AUTOREN | |
Julika Kott | |
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