# taz.de -- Umweltbewusste Fleischproduktion: Weniger ist mehr | |
> Ein Forschungsprojekt will Fleischkonsum in Berlins Kantinen | |
> klimafreundlicher gestalten: Seltener und weniger Fleisch, dafür regional | |
> und bio. | |
Bild: In die Wurst passt, was sonst niemand auf dem Teller haben will: Hier in … | |
Nennen wir ihn Friedrich, aufgewachsen auf einer Mutterkuhweide in | |
Brandenburg. Ein Teil seines Nierenzapfens lag vor Kurzem auf Thekla Bethes | |
Teller in der taz-Kantine. „Sehr lecker,“ lautet das Urteil der | |
Betriebsrätin. Auch für Koch Konrad Lenck war es eine Premiere, ein Rezept | |
für das kräftig schmeckende Muskelstück zu entwickeln. Neben 100 veganen | |
und 50 Pasta-Portionen bereiten er und seine Kolleg*innen an drei | |
Wochentagen auch knapp 80 Mittagessen mit Bio-Fleisch zu. | |
In der Regel verwenden sie dafür Hack oder Gulasch, weil sie davon weniger | |
pro Portion weniger Gramm benötigen als für Fleisch am Stück. Doch seit das | |
Küchenteam am [1][Forschungsprojekt „GanzTierStark]“ beteiligt ist, | |
bekommen taz-Mitarbeitende und Besucher*innen öfters auch mal | |
unbekannte und sonst wenig nachgefragte Teile wie Nierenzapfen oder | |
Rinderwade vorgesetzt. „Manchmal sind die Leute erst mal skeptisch. Aber | |
sie wissen ja, dass wir gut kochen“, sagt der 33-Jährige mit der schwarzen | |
Schürze, der vorher in einem Sternerestaurant gearbeitet hat. | |
Weniger Fleisch in der Gemeinschaftsverpflegung zu verwenden, dafür von | |
Biotieren aus der Region – wie ist das möglich? Dieser Frage geht das bis | |
Frühjahr 2023 laufende Wissenschaftsprojekt unter Leitung von Martina | |
Schäfer nach, die das Zentrum für Technik und Gesellschaft an der Berliner | |
TU leitet. Ziel der zweijährigen Forschung ist es, Hürden zu identifizieren | |
und Erkenntnisse zu verbreiten, wie diese sich überwinden lassen können. | |
Auch wenn Veganer:innen schon die Forschungsfrage empört, ist die | |
Professorin von dem Projekt überzeugt: [2][Nicht alle 4,2 Millionen | |
Menschen in Deutschland, die jeden Tag in einer Kantine oder Mensa essen, | |
würden auf Fleisch verzichten,] so Schäfer. „Bei GanzTierStark wird | |
versucht, sowohl die Häufigkeit von Fleischangeboten als auch die | |
Fleischeinwaage pro Gericht zu reduzieren.“ Zugleich sollte die Aufzucht | |
unter guten und [3][möglichst wenig klimabelastenden Bedingungen] | |
stattgefunden haben. | |
## Weniger Fleisch mit neuen Rezepten | |
Insgesamt 18 Kantinen mit unterschiedlicher Gästestruktur konnten für das | |
Projekt gewonnen werden. Anfangs hatte Schäfer die Idee, dass Berliner | |
Kantinen die Teile der Tiere aus Brandenburg untereinander aufteilen | |
würden. „Manche Vorstellungen waren zu Projektstart recht akademisch“, | |
erinnert sich Moritz Bor von der Naturland Marktgesellschaft, einem | |
Zusammenschluss von Biobauern. Zum einen sind Lieferketten gewachsen und | |
enden nicht an Brandenburgs Grenze. | |
Zum anderen kann sich die Berliner Stadtreinigung (BSR), die einige tausend | |
Essen am Tag produziert, schwerlich mit Kleinabnehmern wie der taz | |
koordinieren. Und auch sonst ist es gar nicht so einfach, „Friedrich“ den | |
Weg auf die Mittagstische zu bahnen. Zwar haben die Preise für | |
konventionelle Ware durch die Folgen des Ukrainekriegs deutlich stärker | |
angezogen als für Bioprodukte. Trotzdem kosten sie nach wie vor mehr. | |
Stellt eine Kantine ihren Einkauf um, muss sie deshalb entweder den Preis | |
pro Mahlzeit erhöhen oder die Fleischmenge pro Teller schrumpfen, ohne dass | |
die Kundschaft mault. Die Mensen der Studentenwerke Frankfurt (Oder), die | |
nun einmal pro Woche Bio-Weiderind anbieten, setzen auf neue Rezepte. Für | |
„Bunte Bowl mit geschnetzelten Fleischstreifen“ braucht es nur 60 Gramm pro | |
Portion, berichtet Einkaufsleiter Torsten Kleinschmidt. Normalerweise | |
kalkulieren Köch*innen mit einer dreimal so großen Menge für ein | |
Fleischgericht. „Wir haben vieles durchgetestet und uns auch von Vorreitern | |
aus anderen Regionen Deutschlands beraten lassen.“ | |
Das Ziel der Ganztierverwertung konnte das Forschungsprojekt schließlich | |
weitgehend mithilfe der Biomanufaktur Havelland lösen, die neben | |
Fleischstücken auch vielfältige Würste produziert. Der Verarbeitungsbetrieb | |
befindet sich in einem Industriegebiet wenige Kilometer nordöstlich von | |
Berlin. „Schlacht- und Verarbeitungsbetriebe für Bio-Fleisch sind in der | |
Region ein absoluter Engpass,“ beschreibt Schäfer die gegenwärtige Lage. | |
## Azubis trotz Fachkräftemangel | |
Friedrich, Gerd und Hertha kommen in Velten schon zerlegt in roten | |
Plastikkisten an, die für die exakte Nachverfolgbarkeit mit EAN-Codes | |
versehen sind. Innerhalb weniger Stunden wandern ihre Teilstücke durch | |
verschiedene Verarbeitungsräume des 2.500 Quadratmeter großen Betriebs. | |
Ganz vorne schneidet ein Mann mit weißem Kittel, Plastikschürze und Mütze | |
Gulasch. Nebenan steht der Kutter – eine silberne Riesenschüssel, in der | |
rasch drehende Messer Vielfältiges zu einer homogenen Masse verarbeiten. | |
Die wird dann in einen hohen Trichter gefüllt und mithilfe eines Vakuums in | |
eine Pelle gesogen. Viele Dutzend Wurstrezepte haben der stellvertretende | |
Betriebsleiter Andreas Geißer und seine Kolleg*innen dafür entwickelt. | |
„Bei der Verarbeitung sind die Abläufe ähnlich wie in Nicht-Biobetrieben. | |
Aber hier gibt es spezielle Kontrollen, und das Fleisch weist eine deutlich | |
bessere Qualität auf“, sagt der 40-Jährige, während er durch die | |
Produktionsräume eilt. An Gestellen baumeln blasse und tiefrote Würste, | |
manche klein in Girlanden, andere kiloschwer und mit rauchig-würzigem | |
Geruch. Die Luft ist eisigkalt. In einem Raum wummert Musik, mit der eine | |
Arbeitsgruppe das laute Rauschen der Lüftungsanlagen übertönen will. | |
Alle 65 Beschäftigten leben in der Umgebung. Geschäftsführer Thomas | |
Schubert ist stolz, drei Azubis gewonnen zu haben. Es ist schwer, junge | |
Menschen für den Beruf des Fleischers zu begeistern. Auch der heute | |
55-Jährige hat ihn seinerzeit nicht aus Überzeugung gewählt, sondern weil | |
seine Schulnoten ihm keine freie Auswahl ließen. Doch inzwischen macht ihm | |
die Sache Spaß. Er ist Meister, hat eine Ausbildung als Fleisch-Sommelier, | |
und es ist ihm gelungen, den Umsatz der Biomanufaktur innerhalb eines | |
knappen Jahrzehnts von 2,7 Millionen Euro auf 19 Millionen zu steigern. Die | |
meisten Produkte gehen zu den Filialen des Mutterkonzerns Bio Company. Den | |
Rest verkauft der Betrieb an Restaurants, Kantinen und Kitas. | |
## Schlachtung im selben Betrieb | |
Vertriebsleiter Henry Borchardt berät Köch*innen, wie sie auch | |
ungewöhnliche Fleischzutaten verarbeiten können, Fiona Laskowski aus der | |
Marketingabteilung teilt über Social Media Rezeptideen. Wenn ein Kunde es | |
wünscht, kann er selbstverständlich einen Ochsenschwanz oder ein Herz | |
bekommen. | |
„Aber die Zeit ist vorbei, wo die Leute auch die Innereien gegessen haben“, | |
bilanziert Schubert. Leber geht noch ab und zu, aber Nieren und Herzen sind | |
völlig out. Was nicht in die Wurst geht, wird zu Hunde- und Katzenfutter | |
verarbeitet – in Bioqualität selbstverständlich. | |
150 Schweine und 30 bis 50 Rinder verarbeitet die Manufaktur jede Woche. | |
Schubert kennt die Lieferanten persönlich, regelmäßig besucht er die 15 | |
Höfe im Umkreis von 200 Kilometern. Fotos von glücklichen Rindern | |
dekorieren den Bürotrakt. | |
„Die Schlachtung ist natürlich ein unschöner Akt, den viele gerne | |
ausblenden“, sagt der Fleischermeister. Die Schlachtung organisieren die | |
Bioverbände selbst. Und weil es in Brandenburg keine speziellen Schachthöfe | |
für Biotiere gibt, sterben Friedrich und seine Kollegen in den selben | |
Anlagen wie ihre konventionellen Artgenossen – nur früher am Tag. | |
## Gut zu wissen, wo es herkommt | |
Ein Bolzenschuss in den Kopf, danach bluten die Körper innerhalb von | |
wenigen Minuten aus. Erst jetzt gilt Friedrich als tot. Sofort wird sein | |
Kopf abgetrennt, die Innereien werden entnommen. Aus Pansen, Kopfhaut, | |
Knochen, Fell und anderen nicht essbaren Teilen werden später Tierfutter, | |
Gelantine, Biodiesel, Kosmetik und Leder. | |
Die für den menschlichen Verzehr vorgesehenen Teile zerlegt bisher ein | |
Lohnbetrieb im mecklenburgischen Bützow. Ab kommendem Jahr übernimmt das | |
ein Unternehmen, das Biomanufaktur und Biopark-Verband gemeinsam aufbauen. | |
Für Peter Schmidt von der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau | |
Berlin-Brandenburg (FÖL) ist klar, dass es Kümmerer braucht, um neue | |
Lieferketten und Kooperationen aufzubauen. Anders als in anderen | |
Bundesländern gibt es in Berlin-Brandenburg bisher noch keine | |
Wertschöpfungsketten-Entwickler. Immerhin hat das | |
Landwirtschaftsministerium in Potsdam Ende vergangenen Jahres ein | |
entsprechendes Programm angekündigt. „Da könnten wir viel zum Beispiel von | |
Hessen lernen“, so Schmidt. | |
taz-Koch Konrad Lenck findet es gut zu wissen, [4][wo das Fleisch | |
herkommt], das er verarbeitet. Noch besser gefiele ihm der Einsatz von | |
mobilen Bio-Schlachtereien, die auf die Weide gefahren werden. Doch das | |
wäre noch deutlich teurer. Und schon jetzt ist klar, dass die | |
Mittagstischpreise nicht zu halten sein werden. Strom, Gas, Lebensmittel – | |
fast überall gibt es deutliche Preissprünge. Und beim Essen sind die | |
Menschen in Deutschland bekanntermaßen knauserig. | |
13 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://ganztierstark.de/ | |
[2] /Fleischkonsum-und-Maennlichkeit/!5895554 | |
[3] /Methanemissionen-in-der-Landwirtschaft/!5861407 | |
[4] /Essen-auf-Weihnachtsmaerkten/!5898459 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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