| # taz.de -- Promi-Restaurant Borchardt: Enttäuschend wie Männer oder Grüne | |
| > Das Berliner Promi-Restaurant Borchardt ist kulinarisch katastrophal. | |
| > Eigentlich schön, wenn die Reichen dort bleiben – ganz unter sich. | |
| Bild: Machen immerhin keine falschen Versprechungen – die guten TK-Köttbullar | |
| Ich bin für [1][die Umverteilung von Vermögen], allein schon weil Reiche in | |
| den allermeisten Fällen weder Stil noch Geschmack haben. Promi- und | |
| Reichen-Villen kenne ich von Vogue-Videos auf Youtube, aus der | |
| Architectural Digest oder von, sagen wir, Bekanntschaften. Meine | |
| langjährige Zeit im Schicki-Micki Einzelhandel, wo Leute an schlechten | |
| Tagen nur 2.000 Euro loswerden wollten für Kleidung, die ihnen nicht steht, | |
| bestätigt meine These. | |
| Als ich aber vor ein paar Tagen ins [2][Berliner In-Restaurant Borchardt] | |
| eingeladen werde, will ich meine festgefahrene Meinung über Bord werfen und | |
| Adieu sagen. Schließlich schmeckt mir gute Deutsche Küche nicht nur an | |
| Weihnachten. | |
| Ins Borchardt geht die internationale und deutsche Prominenz gleichermaßen: | |
| Robert De Niro, selbst Restaurantbesitzer, Obama und Schauspieler Ryan | |
| Gosling, aber auch deutsche Politiker*innen, Journalist*innen und | |
| andere D-Promis. | |
| „Köstlich!“ denke ich beim Blick auf die Speisekarte und entscheide mich | |
| für einen Borchardt-„Klassiker“, wie es auf der Karte heißt: die | |
| Königsberger Klopse. Außerdem bestellen wir noch Steak-Tartar, auch als | |
| Klassiker gelabelt, und diverse Beilagen. „Klassiker“, das bedeutet, dass | |
| die Küche das aus dem FF zubereiten kann und dass das Gericht um 3 Uhr | |
| morgens so gut schmeckt wie zur Mittagszeit. | |
| ## Saftige Klößchen mit Kartoffelbrei? | |
| Königsberger Klopse esse ich seit dem Kindergarten gern und freue mich auf | |
| saftige Klößchen mit Kartoffelbrei. Die Fleischbällchen stehen nicht oft | |
| auf Speisekarten, doch wenn es sie gibt, probiere ich sie. Voller Vorfreude | |
| schaufle ich mir ein Stückchen Fleischball, Kartoffelpüree und etwas Sauce | |
| auf die Gabel für die optimale Geschmacksexplosion. Das Wasser läuft mir so | |
| im Mund zusammen, dass ich gar nicht daran denke, dass teure Getränke auf | |
| dem Tisch stehen. Die Gabel gleitet in meinen Mund und ich höre mich schon | |
| wie Fernsehköche „Mmmmhhh“ in verschiedenen Tonlagen surren. Doch ich werde | |
| enttäuscht, wie sonst nur Männer oder die Grünen einen enttäuschen. | |
| Das Gericht hat keinen Geschmack. In völliger Ungläubigkeit probiere ich | |
| die Einzelteile: Der Kloß ist papptrocken, das Kartoffelpüree genauso | |
| ungewürzt und die Kapern-Sauce reißt es nicht raus. Ich bin völlig | |
| sprachlos. Ich schaue mein Gegenüber an und frage, ob ich vom Steak-Tartar | |
| probieren darf. Die Antwort: „Du kannst alles essen“ heißt: Es schmeckt mir | |
| nicht. Auch das Tartar schmeckt nach nichts. Das kann nicht wahr sein! | |
| Leugnend esse ich weiter, vielleicht habe ich ja etwas überschmeckt. | |
| Aber nein, die Fleischbällchen sind die trockensten und geschmacklosesten | |
| Bällchen meines Lebens und wie kann man Kartoffelgerichte in Kartoffellland | |
| verhauen?! Hier lassen reiche Leute ihr Geld? Ich bin froh um diese | |
| kulinarische Parallelgesellschaft, denn so bleiben Reiche in ihrem | |
| Vorzeigeobjekt und gentrifizieren nicht noch mehr Gegenden mit tatsächlich | |
| gutem Essen. Bitte bildet euch weiter was aufs Borchardt ein und bleibt da. | |
| 7 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Amina Aziz | |
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