| # taz.de -- Psychologe über Gender und Krieg: „Männer sind verunsichert“ | |
| > Krieg ist Männersache – immer noch. Der Psychologe Björn Süfke befürcht… | |
| > trotzdem keine Rückkehr von traditionellen Geschlechterrollen. | |
| Bild: Im Krieg wird das Männerbild traditioneller | |
| taz: Herr Süfke, der Ukrainekrieg hat ein männliches Gesicht – trotz | |
| propagierter feministischer Außenpolitik und einigen ukrainischen | |
| Soldatinnen. Ist Krieg Männersache? | |
| Björn Süfke: Leider immer noch. Krieg wird meist von Männern in | |
| Machtpositionen beschlossen und von Männern mit kriegerischen Handlungen | |
| ausgeführt. Selbst die Opfer sind mehrheitlich Männer. | |
| Seit Kriegsausbruch sind Männer hierzulande irritiert. Sie haben den | |
| Wehrdienst verweigert, bezeichnen sich als Pazifisten, übernehmen mehr | |
| Sorgearbeit. Jetzt werden sie mit einem harten Männerbild konfrontiert, das | |
| wir überwinden wollten. | |
| Ich würde das als sekundäre Verwirrung bezeichnen, die auf eine | |
| grundsätzliche, also primäre Verwirrung trifft: In den vergangenen zehn, | |
| zwanzig Jahren haben sich die Geschlechterverhältnisse bekanntermaßen | |
| verändert. Traditionelle Männlichkeit und traditionelle Anforderungen an | |
| Männer sind nach wie vor vorhanden, aber sie werden heute infrage gestellt | |
| und durch eine moderne Männlichkeit ergänzt. Viele Männer stehen schon | |
| länger genau zwischen diesen Rollenanforderungen, das ist für sie | |
| verwirrend. Und jetzt sehen sie sich zusätzlich einem neuen Heroismus | |
| gegenüber, der sie zunehmend ratlos macht. | |
| Ist die Zeit für progressive Männer vorbei? | |
| [1][Hypermaskuline Backlash-Tendenzen] wird es immer wieder geben. Aber ich | |
| glaube nicht, dass sie die grundsätzliche Entwicklung verhindern werden. | |
| Reproduziert der Ukrainekrieg traditionelle Geschlechterrollen? Wir sehen | |
| täglich, dass Männer kämpfen und Frauen Kinder und Alte in Sicherheit | |
| bringen. | |
| Was sollen die Männer in der Ukraine auch anderes tun? Sie kämpfen um ihr | |
| Land, um ihr Leben, sie sind von Auslöschung bedroht. In dieser Situation | |
| spielen Genderaspekte verständlicherweise eine untergeordnete Rolle. | |
| [2][Geschlechterstereotype in dieser Kriegssituation] jetzt massiv zu | |
| kritisieren wäre zynisch. Dass ich das mal sagen würde, hätte ich nie | |
| gedacht. | |
| Erlebt toxische Männlichkeit durch Autokraten wie Putin und den | |
| amerikanischen Ex-Präsidenten Trump sowie durch den Ukrainekrieg eine | |
| Renaissance? | |
| Toxische Männlichkeit wird aktuell gestärkt. [3][Aber möglicherweise | |
| verspielt Putin], mittlerweile eine Symbolfigur toxischer Maskulinität, | |
| aktuell die allerletzten Sympathien für dieses traditionelle | |
| Männlichkeitsbild. Auch Trump hat diesbezüglich schon einen Beitrag | |
| geleistet. | |
| Warum sind dann so viele junge Männer in den USA empfänglich für Trumps | |
| aggressive Männlichkeit? | |
| Auch diese Männer sind verunsichert. An sich ist Verunsicherung etwas sehr | |
| Positives – solange man diese reflektieren und dann eine neue Balance | |
| erreichen kann, die einen selbst und andere am Ende zufriedener macht. Jene | |
| US-Männer aber, die weniger Möglichkeiten für Reflexionsräume haben, gehen | |
| mit der Verunsicherung weniger funktional und konstruktiv um, sondern | |
| folgen Trump, der mit einem sehr klaren Weltbild um die Ecke kommt. Das | |
| verschafft ihnen wieder Orientierung. | |
| Das hieße, toxische Männer werden nie aussterben, denn es wird immer | |
| Menschen ohne Möglichkeiten zur Selbstreflexion geben. | |
| Ja, aber gedacht auf eine große Zeitspanne werden diese Männer hoffentlich | |
| eine Minorität sein. | |
| Woher nehmen Sie diese Gewissheit? | |
| Nehmen wir [4][als Beispiel das N-Wort]. Noch vor wenigen Jahren haben | |
| Menschen das Wort völlig normal gebraucht, also unbedarft ausgesprochen, | |
| ohne sich dabei etwas zu denken. Dann setzte eine Debatte über Rassismus | |
| ein und die Gesellschaft schaffte es so zu überzeugen, dass nur noch eine | |
| verschwindend geringe Minderheit das Wort ausspricht. | |
| Was haben Männer eigentlich vom gesellschaftlichen Wandel, wenn er sie in | |
| eine Krise treibt? | |
| Sehr viel. Toxische Männlichkeit ist ja nicht nur für Frauen und Kinder | |
| zerstörerisch, sondern sie schadet auch den Männern. Sie führt unter | |
| anderem zu einem Gefühlsverbot: Männer dürfen nicht ängstlich, traurig, | |
| schamhaft sein, das ganze mittlerweile bekannte Programm. Diese Gefühle | |
| schon in der Kindheit abzuwehren, macht Männer krank. Das ist vielfach | |
| bewiesen. Männer sterben im Durchschnitt fünf Jahre früher als Frauen, sie | |
| nehmen sich dreimal so häufig wie Frauen das Leben, sie führen die | |
| Kriminalstatistik bei Mord, Raub, Körperverletzung an. Männer leben nicht | |
| selten in einer dysfunktionalen Beziehung zu sich selbst und wissen nicht, | |
| wie sie sein wollen. | |
| Wie wollen Männer denn sein? | |
| Das muss jeder Mann für sich individuell herausfinden. Ich als Therapeut | |
| helfe lediglich dabei zu erkennen, welche Bedürfnisse und Eigenheiten seine | |
| eigenen sind und welche ihm von außen aufgezwungen werden. | |
| Was, wenn ein Mann in der Therapie sagt, dass er gern traditionell ist? | |
| Präferiert ein Mann ein traditionelles Lebensmodell, überzeuge ich ihn | |
| nicht davon, dass das schlecht ist und er anders zu sein hat. Das wäre | |
| Ideologie und damit gefährlich. Meine Aufgabe ist es, ihm zu helfen, einen | |
| inneren Kompass zu finden. Wenn er den nicht hat, wird er immer anfällig | |
| sein für „äußere Kompasse“: Ideologien, Stereotype, Verschwörungsmythen. | |
| Welche Rollen spielen bei der männlichen Verunsicherung eigentlich Frauen? | |
| Wenn einem Mann die innere Anleitung fehlt, neigt er dazu, Anforderungen | |
| von außen zu übernehmen. Das können Handlungsanweisungen durch eine | |
| Ideologie sein, aber auch Anforderungen, die die eigene Frau, die Mutter, | |
| die Freundin an ihn stellen. | |
| Ist es nicht hilfreich, wenn ein traditionell orientierter Mann auf eine | |
| Frau trifft, die anders leben will und ihm erklärt, wie das geht? | |
| Wenn ein Mann sein Leben lang gewohnt war, der traditionellen Männlichkeit | |
| zu entsprechen und jetzt ist ein modernes Männlichkeitsbild angesagt, wird | |
| er versuchen, diesen Anforderungen zu entsprechen. Erst recht, wenn die | |
| Frau es von ihm erwartet. | |
| Was ist daran verkehrt? | |
| Das Problem der männlichen Verunsicherung ist dadurch nicht gelöst, auch | |
| wenn es nach mehr Gleichberechtigung aussieht. Letztlich macht der Mann | |
| wieder das, was andere von ihm erwarten, und nicht das, was er wirklich | |
| will. | |
| Wie wird sich das Männerbild in den nächsten Jahren Ihrer Meinung nach | |
| verändern? | |
| Männer werden sich stärker emanzipieren. Das heißt, sie werden davon | |
| wegkommen, sich von Bildern leiten zu lassen, die von außen an sie | |
| herangetragen werden. Ganz egal, ob das nun traditionelle oder moderne | |
| Männlichkeitsbilder sind. Emanzipation heißt an dieser Stelle | |
| Dekonstruktion. | |
| Wie sollen sich Männer orientieren, wenn Männlichkeitsbilder dekonstruiert | |
| werden, ohne dass es ein neues gibt? | |
| Möglicherweise geht es nicht komplett ohne neue Bilder. Aber ich plädiere | |
| für persönliche Vorbilder, ich orientiere mich stark an der Frauenbewegung. | |
| Die hat auch keine Vorgaben gemacht, keine Bilder gesetzt, wie eine Frau zu | |
| sein hat. Aber natürlich braucht es im Alltag beispielsweise | |
| Kfz-Mechatronikerinnen und Kinderwagen schiebende Väter. Ohne diese | |
| Vorbilder haben Mädchen und Jungen nicht die Chance, für sich persönlich | |
| herauszufinden, wer und was sie sind und sein wollen. | |
| Der Journalist Tobias Haberl, Autor des Buches „Der gekränkte Mann“, hat in | |
| einem Spiegel-Text geschrieben: „In den vergangenen Jahren wurde eine | |
| männliche Streitkultur von einer weiblichen Wohlfühlkultur abgelöst.“ Das | |
| klingt nach: Männer sind heute alle Weicheier. | |
| Steile These, aber undifferenziert. Beginnen wir mit der Zustimmung: Die | |
| US-amerikanische Autorin Susan Faludi hat mal den Begriff der ornamentalen | |
| Kultur geprägt. Damit meint sie, sehr grob zusammengefasst, dass Frauen in | |
| den vergangenen 40, 50 Jahren mehr Einfluss darauf hatten, wie die Welt | |
| läuft, politisch, gesellschaftlich, familiär. Und tatsächlich auch mit | |
| einer Tendenz hin zum Schönen. | |
| Und Ihre Gegenthese? | |
| Keine Gegenthese, eher ein „So what?“. Mal ein Beispiel: Wenn ein Mann | |
| Vater wird, schüttet er jede Menge Fürsorgehormone aus, er wird, wenn Sie | |
| so wollen, „weicher“. Verweichlicht er deswegen? Meinetwegen. | |
| Verweichlichen heißt in diesem Fall, dass er fähig ist, Mitgefühl für Kind | |
| und Partnerin aufzubringen, sich empathisch zu kümmern. Ganz ehrlich: Dann | |
| bin ich gerne verweichlicht. | |
| 1 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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