| # taz.de -- Deutschland und die Bundeswehr: Steffi schützt das Vaterland? | |
| > Unser Autor war immer gegen die Bundeswehr, wie alle seine Freund:innen. | |
| > Aber er ist unsicher, ob er sich diese Haltung noch leisten kann. | |
| Bild: April 2022, Ostermarsch am Fliegerhorst Büchel. Hier arbeitet Steffi als… | |
| Mehr als die Hälfte der Mitglieder meiner weit verzweigten Großfamilie | |
| besteht aus Lehrer:innen. Wenn da mal wieder Jüngeren, die etwas Anderes | |
| mit ihrem Leben anfangen wollen, Skepsis entgegengebracht wird, geht mir | |
| das stets ein wenig auf die Nerven. Doch bei einem Familienmitglied konnte | |
| ich mich selbst nie von dieser Skepsis gegenüber dem Anderen befreien: bei | |
| meiner Großgroßcousine Steffi, Hauptfeldwebel bei der Bundeswehr. | |
| Steffi heißt eigentlich anders. Sie ist 37, ich bin 25. Mindestens einmal | |
| im Jahr sehen wir uns beim traditionellen Familientreffen und ich mag es, | |
| ihr zuzuhören, wenn sie mit Leidenschaft und Empathie über sich und die | |
| Verwandtschaft spricht. Wenn sie aber auf die gleiche Weise von ihrem Job | |
| erzählt, schalte ich innerlich ab. | |
| Es gibt nachvollziehbare Gründe, die Bundeswehr abzulehnen oder ihr | |
| gegenüber mindestens skeptisch zu sein: ihre Entstehungsgeschichte, | |
| Militarismus an sich und die sich häufenden Berichte über rechte | |
| Strukturen, zum Beispiel. Ich selbst war auch deswegen gegen die | |
| Bundeswehr, weil es in meinem Freundeskreis eben alle waren. Und ich finde | |
| es unvorstellbar, wie jemand tagein, tagaus in Uniform herumstiefeln und | |
| Befehle empfangen kann, und das freiwillig. Falls es ihr um Autoritätsliebe | |
| oder ein sicheres Gehalt ginge, hätte Steffi sich doch auch wie die anderen | |
| aus der Familie einfach verbeamten lassen können – dachte ich mir. | |
| Beim letzten Familientreffen im Mai war das anders. Da habe ich Steffi am | |
| Ende gefragt, ob sie mir ihre Arbeitsstelle zeigen würde. Vielleicht aus | |
| Unbehagen, sie immer etwas belächelt zu haben, [1][während jetzt gar nicht | |
| weit von Berlin entfernt Bomben in Europa fallen] und der Gedanke, eine | |
| Verteidigungsarmee zu haben, doch nicht der allerschlechteste ist. Vor | |
| allem aber, weil es mir immer noch schwerfällt zu verstehen, wieso sich | |
| Steffi damals mit 21 Jahren aus ihrem Job als freiberufliche | |
| Personal-Trainerin für den Wehrdienst später für eine Verpflichtung und – | |
| damit nicht genug – für Auslandseinsätze beworben hatte, „um Deutschland … | |
| verteidigen“. | |
| ## „Viele wissen nicht, was wir hier tun“ | |
| Als ich einige Wochen später ihr Haus in der Eifel erreiche, wartet sie | |
| bereits vor der Eingangstür. Wir umarmen uns. Sie fährt sich durch die | |
| krausen rotblonden Haare und bedeutet mir, ins Auto zu steigen. Wir wollen | |
| zu ihrer Dienststelle fahren. | |
| Steffi ist Ausbilderin kämpfender Soldaten im Fliegerhorst Büchel in | |
| Rheinland-Pfalz. Ein Nato-Stützpunkt und wichtiger Standort des | |
| Bündnisflugverkehrs, auf dem bald [2][die neuen, hochmodernen | |
| amerikanischen F-35-Kampfjets] stationiert werden. Außerdem lagern hier | |
| offenbar die letzten US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland, weswegen | |
| sich oft Aktivist:innen aus der ganzen Welt vor dem Stützpunkt | |
| versammeln. | |
| „Hallo Rüdiger“, ruft Steffi aus dem Autofenster. Ein Mann mit grauen | |
| langen Haaren und Basecap winkt fröhlich zurück und reckt danach wieder ein | |
| Schild in die Höhe, von dem ich nur die Rückseite erkenne. Neben Rüdiger | |
| sitzt noch eine ältere Frau, deren Plakat „Atomwaffen abschaffen!“ fordert. | |
| Es sind die einzigen Protestierenden an diesem Nachmittag. Für den | |
| nächsten Monat haben sich jedoch wieder Hunderte von Demonstrant:innen | |
| angekündigt, um gut eine Woche vor dem Zaun des Stützpunktes zu kampieren. | |
| „Viele wissen überhaupt nicht, was wir hier tun“, sagt Steffi, während sie | |
| auf eine Wiese zeigt, auf der Plakate und Friedenskreuze von hohem Gras | |
| umwachsen mahnend vor dem Fliegerhorst ausharren. „Als unweit von hier die | |
| Flutkatastrophe wütete und wir helfen mussten, da haben wir Respekt | |
| bekommen. Auch als die Impfkampagne gegen das Coronavirus durch Aushilfen | |
| der Bundeswehr vorangetrieben wurde. Aber dass mein Job eigentlich darin | |
| besteht, auch das Leben dieser Aktivisten zu verteidigen, die mich jeden | |
| Tag bei der Arbeit stören, machen sich die Leute nicht bewusst – und das | |
| ist das Problem: Die meisten haben keine Ahnung, wie wichtig die Bundeswehr | |
| ist.“ | |
| ## Mittelfinger für den Militärkonvoi | |
| Auf der Hinfahrt habe ich einen Podcast des Zentrums für Militärgeschichte | |
| und Sozialwissenschaften gehört, bei dem eine vom selben Zentrum | |
| durchgeführte Studie zum Ansehen der Bundeswehr in der Gesellschaft | |
| ausgewertet wurde. Für mich war überraschend, dass 76 Prozent der Deutschen | |
| eine positive Grundhaltung gegenüber der Bundeswehr haben. 71 Prozent sehen | |
| sie sogar als wichtigen Teil der Gesellschaft. Die Studie stammt aus dem | |
| Jahr 2019. | |
| Im selben Jahr fuhr ich im Sommer mit Freund:innen ohne Gedanken an | |
| Pandemie oder Krieg auf der Autobahn an einem Militärkonvoi vorbei, | |
| streckte diesem meinen Mittelfinger entgegen, brach danach in einen | |
| Wutmonolog über den „Scheißladen Bundeswehr“ aus und sehnte dessen | |
| Beseitigung herbei, unter breiter Zustimmung meiner Freund:innen. | |
| Steffi führt mich über die Wiesen vor der Kaserne zu weiteren | |
| Protestobjekten, die Aktivist:innen über die letzten Monate und Jahre | |
| aufgestellt haben, sowie zu einem kleinen heruntergekommenen Gebäude, das | |
| sie als Versammlungsort nutzten, bis die Bundeswehr es vor Kurzem kaufte, | |
| um dies künftig zu unterbinden. Von der Pressestelle der Bundeswehr wurde | |
| mir untersagt, die Kaserne zusammen mit Steffi zu besuchen und darüber zu | |
| schreiben. | |
| Die Aktivist:innen winken uns noch einmal zu. Steffi fällt in | |
| Zivilkleidung nicht auf. Im Dienst verschwindet ihre Lockenmähne unter | |
| einer Mütze, tarnfarben wie auch der Rest ihrer Arbeitskleidung, die ihre | |
| Träger:innen in meiner Wahrnehmung weniger wie Menschen wirken lässt. | |
| „Hast du manchmal Sorge, deine Uniform in der Öffentlichkeit zu tragen?“, | |
| frage ich, als wir wieder im Auto sitzen. | |
| „Wie meinst du das?“, entgegnet sie. „Ich habe sie nur ausgezogen, weil i… | |
| wegen dir früher Feierabend gemacht habe und jetzt nicht von Kollegen | |
| entdeckt werden will.“ | |
| „Also, ich will ja auch nicht sagen, dass man sich überhaupt verstecken | |
| müsste“, stottere ich. | |
| Schweigen. | |
| ## Eid und Volk und Vaterland | |
| „Eigentlich frage ich mich, wieso du dich als junger Mensch, während so | |
| viele vor allem Freiheit wollen, ausgerechnet für die Bundeswehr | |
| entschieden hast“, sage ich endlich. | |
| „Weil mir klar wurde, dass Freiheit nur mit Regeln funktioniert.“ | |
| „Und natürlich durch Befehle …“ | |
| „Aron, es ist für dich vielleicht schwer verständlich, aber unser | |
| Befehlston entsteht aus der Gefechtssituation – da bleibt für ‚Bitte‘ und | |
| ‚Danke‘ einfach kein Platz“, sagt Steffi und zwinkert mir zu. | |
| Am späten Nachmittag sitzen wir in Steffis Garten vor ihrem Holzhaus. In | |
| einer Hand hält sie ein Glas Bier, in der anderen eine Zigarette. „Durch | |
| die Bundeswehr weiß ich endlich, wer ich bin“, sagt sie irgendwann. „Ich | |
| bin angekommen, und ich kann sagen, dass ich jeden Tag mit Freude aufstehe | |
| und weiß, dass ich das Richtige tue.“ | |
| „Aber was soll das sein – das Richtige?“, frage ich. | |
| „Ich habe einen Eid abgelegt, dass ich jederzeit bereit bin, unser | |
| Vaterland und das Volk zu schützen. Und dass das richtig ist. Auch wenn das | |
| Volk es nicht immer sieht“, sagt sie, und irgendwie scheint es mir, als | |
| wollte sie damit genau mich ansprechen. | |
| Das Volk schützen – was soll das in der Praxis überhaupt heißen? Etwa: | |
| Steffi und ihre Soldat:innen würden im Notfall ihr Leben riskieren, | |
| damit ich weiterhin in Ruhe in meinem Berliner Lieblingscafé frühstücken | |
| kann. Trotzdem käme es mir nicht in den Sinn, wie es zum Beispiel in den | |
| USA üblich ist, einem Soldaten auf offener Straße „Danke für Ihren Dienst!… | |
| zuzurufen. Ich wüsste einfach nicht, wofür. | |
| In Steffis Küche hängt ein Foto ihres Ehemanns und ihres gemeinsamen | |
| Sohnes, der in diesem Jahr eingeschult wird. Ihr Mann ist ebenfalls in | |
| Büchel als Leutnant stationiert. | |
| „Würdest du trotz deiner Familie in den Auslandseinsatz gehen?“, frage ich. | |
| „Ich habe mich [3][noch einmal für Mali beworben]“, sagt Steffi. „Ich wi… | |
| wirklich in eine Krisenregion, darauf habe ich mich schließlich | |
| vorbereitet.“ | |
| „Aber hast du keine Angst, nie wieder zurückzukommen und deine Familie | |
| zurückzulassen?“ | |
| Sie legt den Kopf schief. „Das ist nun mal das Risiko, dafür habe ich mich | |
| entschieden. Außerdem schickt die Bundeswehr doch nicht irgendwen in den | |
| Einsatz. Ich bin schließlich bestens ausgebildet.“ | |
| ## Ist raushalten noch okay? | |
| In der Abenddämmerung fahre ich nach Hause und sehe den Fliegerhorst in der | |
| Ferne. Den Nato-Stützpunkt, Steffis Arbeitsplatz. „Ich bin bestens | |
| ausgebildet“ – wenn ich ehrlich bin, will ich gar nicht genau wissen, | |
| wofür. Aber kann ich mich da weiterhin rausziehen? Hat das alles nicht doch | |
| mehr mit mir zu tun, als ich denke? Ich stelle mir einen Auslandseinsatz | |
| vor, sehe mich, wie ich plötzlich in viel zu weiter Uniform mit zu schwerem | |
| Sturmgewehr in irgendeine staubige Kriegslandschaft geschickt werde. Aus | |
| meinem Alltag gerissen – wie die mobilisierten Männer aus der Ukraine. | |
| Absurd, natürlich. Oder? | |
| Etwas in mir sträubt sich weiterhin gegen Steffis Aussage, dass sie gerade | |
| für solche Ernstfälle Menschen ausbildet und bei der Bundeswehr arbeitet, | |
| damit mir so etwas notfalls erspart bleiben kann. Und dieses Etwas in mir | |
| will auch, dass es bitte schön weiterhin normal ist, dass kaum jemand | |
| wirklich weiß, wo die Bundeswehr gerade eingesetzt wird. Das war doch bis | |
| vor Kurzem noch völlig okay, zumindest in meinem Freundeskreis! | |
| Aber: Globale Ungewissheiten und Kriege machen auch mir immer mehr Angst. | |
| Es war angenehm, einfach zu glauben, ich könnte oder müsste mich aus diesen | |
| Fragen heraushalten. Aber vielleicht funktioniert das jetzt nicht mehr. | |
| 24 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Aron Boks | |
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