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# taz.de -- These zu Männlichkeit: Keine Härte, sondern Verantwortung
> Nicht nur Putin, auch Männer hierzulande propagieren die Vorstellung des
> harten Mannes. Doch männlich sein bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.
Bild: Krieg ist blutig, schmutzig und kein Heldenmärchen
Es gibt derzeit so eine Lust unter deutschen Männern, andere deutsche
Männer abzuhärten. Der [1][„große Kulturwissenschaftler Helmut Lethen“],…
kündigte die Welt ein Interview mit ihm an, redete am Mittwoch mit der
Zeitung darüber, ob sich die „Deutschen ihren Pazifismus abgewöhnen“
ließen. Knapp zwei Wochen vorher schrieb ein Kollege im Spiegel unter der
Überschrift [2][„Zu weich für die neue Wirklichkeit“] über mit gepunktet…
Socken gekleidete Großstadtmänner. Die ahnten, so der Autor, „dass es
Momente gibt, in denen man gern weniger Kultur und mehr Natur wäre, weniger
domestiziert, dafür instinktiver, ursprünglicher“.
Anlass für den Wunsch nach maskuliner Stählung ist natürlich [3][der
Ukrainekrieg] und im Falle des Kollegen im Spiegel auch sein neues Buch,
das laut Titel die „Verteidigung eines Auslaufmodells“ ist, also des
härteren Mannes. Solche Texte gehören zum Buchgeschäft, auch ich rede auf
Lesungen derzeit viel über Männlichkeit in Ost und West und versuche, einem
vermuteten Publikumsinteresse nachzukommen.
Über das Geschäftliche hinaus sind beide Texte aber deshalb interessant,
weil sie sich als Versuche lesen lassen, Antworten auf eine tatsächlich
formulierte Herausforderung zu finden. Eine der Erzählungen, die Wladimir
Putin und seine Berater, Deuter und Speichellecker zu einer politischen
Waffe gemacht haben, ist nun einmal die vom harten Ostmann, der dem
reichen, gierigen, verweichlichten, quasi zur Frau gewordenen und/oder
schwulen Westmann jetzt mal zeigen müsse, wo der Hammer hängt.
Der in Russland gern und oft verwendete Begriff „Gayropa“ ist dafür ebenso
ein Ausdruck wie die Predigt des Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche
Kyrill, die er vor einem Monat in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale
gehalten hat. Kyrill, ein Verbündeter Putins, verkündete, „Schwulenparaden�…
abzuhalten und zu ertragen sei eine „einfache und entsetzliche
Loyalitätsprüfung“, die der Westen abhalte, um zu sehen, ob Länder des
Ostens dazugehören könnten oder nicht. Und im Donbass wolle man eben keine
solchen Paraden, weshalb nun Krieg geführt werden müsse.
Die Projektion von Putin als Statthalter echter Männlichkeit hat unter
deutschen [4][Rechtsextremen] und Impfgegner:innen viele
Anhänger:innen; in Ostdeutschland lassen sich alte Erzählungen von
westlicher Verweichlichung und Dekadenz und östlicher Härte in Äußerungen
von Institutionen der DDR ebenso finden wie im Cliquengespräch von der
angeblich nicht so trinkfesten „Wessi-Leber“. Aus solchen über die Jahre
wiederholten und erlernten Behauptungen lassen sich, ähnlich wie in
Russland, Waffen machen.
Der AfD-Politiker Björn Höcke, der von sich selbst gern so redet, als wäre
er Ostdeutscher, hat das Programm der Remaskulinisierung im November 2015
in Erfurt so formuliert: „Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit
wiederentdecken, werden wir mannhaft! Und nur, wenn wir mannhaft werden,
werden wir wehrhaft.“
## Die angebliche Verweichlichung
Billiges Manöver, oder? Den Wunsch nach deutscher Wehrhaftigkeit mit der
Nazi-Keule wegzubügeln? Nun ja, erstens lesen Sie die taz, was erwarten Sie
also. Und zweitens gibt es da schon gewisse Ähnlichkeiten in der
Argumentation, die sich niemand ausdenken muss. Drittens aber zeigt ein
Blick ins Praktische, dass ihre angebliche Verweichlichung weder
ukrainische Großstadthipster noch die LGBTIQ-Szene davon abgehalten hat,
Kyjiw und andere Städte zu verteidigen, als bewaffnete Kämpfer:innen und
als Versorger:innen an den Frontlinien.
Vielen von ihnen geht es weniger um ukrainischen Nationalismus, sondern
vielmehr um das Abwehren der „Russki Mir“, der russischen Welt, einer
ideologischen Konstruktion und zumindest teilweisen innerrussischen
Wirklichkeit, in der man, wenn man nicht sehr reich ist, um des Überlebens
willen stahlhart sein muss und Dekadenz, sprich Abweichung und Weichheit,
entsprechend lebensgefährlich sind.
Diesen Raum aus Projektion und tatsächlichen Verhältnissen wollen die
Anhänger:innen des Putinismus mit finanzieller, politischer, medialer
und militärischer Macht so weit nach Westen ausdehnen wie möglich. Man kann
sich entscheiden, inwieweit man sich und andere glauben macht, diese
Wirklichkeit im Sinne Putins mitkonstruieren zu müssen. Anders gesagt: Wenn
Putin das angeblich Weiche und die Abweichung bekämpfen will, warum sollten
„wir“ ihm dabei helfen?
Worüber „wir“ stattdessen reden könnten, wäre Verantwortung, auch eine m…
als männlich verstandene Tugend – wem so etwas wichtig ist, der könnte sich
also auch hier wiederfinden. Über Verantwortung sollten wir reden, weil sie
solchen Härte-Regimen wie dem im Moskau wesensfremd ist. Das Zugeben von
Fehlverhalten und entsprechende Konsequenzen würden die Machthaber in der
Logik solcher Regime schwach aussehen lassen. Verantwortung wird dort bei
Bedarf, also einem Versagen der tyrannischen und finanziell für jeden Fall
abgesicherten Eliten, von diesen Eliten anderen zugewiesen, und zwar
bevorzugt Fremden, „Verrätern“ und dem Volk, das sich als unfähig erwiesen
hat, den Willen der großen Führer zu erfüllen. Verantwortung wird nach
unten delegiert.
In den deutschen, mit der Ukraine verknüpften Härtediskursen gibt es eine
parallele Tendenz. Auch hier wird selten und zu wenig kontinuierlich nach
der Verantwortung der Mächtigen gefragt und politische Konsequenz verlangt.
In den Texten bei Spiegel und Welt wird die herbeigesehnte neue Härte von
„den Deutschen“ verlangt. Von „den Männern“, von wem genau, man weiß …
nicht. Man ahnt nur beim Lesen, dass diese Härte im Falle eines Krieges
nicht die akademisierte und ökonomisch besser gestellte Schicht beweisen
müsste, aus der die Verfasser von Härteappellen meist kommen.
## Fehler einzugestehen reicht nicht aus
Weil Journalist:innen und Öffentlichkeit bisher zu wenig die
Verantwortung konkreter Politiker:innen benennen und einfordern,
kommen etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig bisher mit der Behauptung davon, sie
hätten sich mit ihrer Politik, die vor allem darauf abzielte, mit Russland
Geld zu verdienen, und die Russlands Krieg gegen die Ukraine erst
finanziell ermöglicht hat, „geirrt“. Sie tun so, als müssten sie sich nach
Feierabend vor den Computer setzen und „Putin“ googeln, um dessen Politik
des Terrors und der Vernichtung Andersdenkender seit 2001 zu verfolgen. Als
hätten sie keine Berater:innen und Verwaltungen. Eine wirkliches
Übernehmen von Verantwortung würde in diesen Fällen Rücktritte und
Untersuchungsausschüsse bedeuten.
Verantwortung zu übernehmen hieße Sanktionen zu erlassen, die Deutschlands
Anteil an diesem Krieg widerspiegeln und die Russland wirklich schaden, was
bisher nicht der Fall ist. Verantwortung einzufordern hieße auch, darauf zu
bestehen, dass Regierung und Bundestag jene Menschen in Deutschland vor den
Folgen dieser Sanktionen schützen, die am wenigsten ökonomisch abgesichert
sind und die am wenigsten für die Politik der vergangenen Jahrzehnte
können.
100 Milliarden Einmalzahlung an die Bundeswehr bedeuten unter diesem
Gesichtspunkt eher ein Aufzeigen von Härte als Verantwortung. Die deutsche
Armee bekommt bisher jährlich 50 Milliarden Euro, eine stattliche Summe,
die mit Hilfe des Beschaffungsamtes der Bundeswehr allzu oft in Schrott
verwandelt wird. Verantwortung zu übernehmen bedeutet schlicht, jene
Menschen so gut wie möglich für das Überleben auszustatten, die für eine
Welt Krieg führen, in der nicht autoritäre Eliten regieren, die von ihren
Untertanen jedwede Härte verlangen können. Krieg ist blutig, schmutzig und
kein Heldenmärchen. Egal ob in Deutschland oder der Ukraine.
9 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/plus237706315/Helmut-Lethen-im-…
[2] https://www.spiegel.de/kultur/maennlichkeit-in-zeiten-des-krieges-zu-weich-…
[3] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[4] /Neue-Rechte/!t5020823
## AUTOREN
Daniel Schulz
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