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# taz.de -- Falk Richter über toxische Männlichkeit: „Er wurde für den Kri…
> Falk Richter ist Dramatiker. In Berlin bringt er sein Stück „In my room“
> heraus, eine Auseinandersetzung mit Vätern und Männern in der Krise.
Bild: Der Dramatiker und Regisseur Falk Richter
taz: Herr Richter, Ihr neues Stück geht der Frage nach, welche Spuren
unsere Väter in unserem Leben hinterlassen haben und was das für
Konstruktionen der Männlichkeit bedeutet. Diese Frage ist nicht gerade neu
und wird zurzeit viel diskutiert von Autoren wie Didier Eribon, Édouard
Louis und Jack Urwin. Fehlt Ihnen etwas in der Diskussion bisher?
Falk Richter: Ja, wahrscheinlich mein sehr eigener Blick darauf. Es ist
ein sehr persönliches Stück geworden, so wie ich das sonst nicht unbedingt
mache. Während der Schreibphase ist mein Vater auch gestorben, was sehr
viel in mir aufgewühlt hat. Zusammen mit dem Ensemble wollte ich mich mit
der Frage auseinandersetzen, was mein Vater eigentlich mit mir gemacht hat,
wie er mich zugerichtet hat und welche Zurichtungen er selbst erfahren hat.
Die Personen, die Sie erwähnen, sind keine Theatermacher, sondern
Soziologen und Romanautoren. Ich wollte mich nicht allein, sondern zusammen
mit den Schauspielern mit diesen Fragen beschäftigen.
Wie biografisch ist das Stück für Sie?
Das Stück beginnt mit einem Monolog, der meine Beziehung zu meinem Vater
beschreibt, der als Soldat noch im letzten Jahr des Zweiten Weltkrieges
gekämpft hat. Er wurde für den Krieg erzogen: Als Achtzehnjähriger wurde er
aus der Schule noch eingezogen. Später war mein Vater Teil des
Wirtschaftswunders und hat mehrere Hamburger Unternehmen geleitet. Er ist
eben aus dieser Phase eines jungen Menschen, der durch den Krieg
traumatisiert wurde, in ein Leben reingegangen, das komplett der Leistung
des Gelderwirtschaftens gewidmet war. Es hatte erst sehr spät in seinem
Leben eine Reflexion gegeben über das, was stattgefunden hat. In seiner
Vorstellungswelt war es jahrelang gar nicht denkbar, dass er über seine
Gefühle reden kann, dass er Nähe zu einem anderen Mann haben und ihn nicht
nur als Konkurrenten ansehen kann.
Welche Spuren hat das in Ihnen hinterlassen?
Mein Vater war bis kurz vor seinem Tod nicht in der Lage, eine nicht
hierarchische Kommunikation zu führen oder sich überhaupt auf meine
emotionale Welt, auf mein Schwulsein einzulassen. Das war für ihn ein
großes Problem. Dieses Männlichkeitsbild erfährt gerade eine Renaissance in
Deutschland durch die AfD, die Identitäre Bewegung und neue faschistische
Gruppierungen, die wirklich sagen, wir müssen unsere Männlichkeit wieder
erobern und entdecken. Das ist genau die Art von Männlichkeitskonstruktion,
die meinen Vater total unglücklich gemacht. Er war ein seelisch und
emotional zerstörter Mensch durch das gewesen, was er damals erfahren hat.
Ist die Krise der Gegenwart eine Krise der Männlichkeit?
Es ist eine Krise bestimmter autoritärer Handlungsweisen, die meistens
Männern zugeschrieben werden. Es gibt aber auch eine toxische Männlichkeit,
die Frauen praktizieren. Alle Frauen der AfD sind eigentlich Patriarchinnen
in ihrem Verhalten: Sie sind homophob, rassistisch und fordern ein
soldatisches Männerbild. Diese Männlichkeitskonstruktion enthält aber einen
Widerspruch: Kein Mann, der diese Härte performt, ist ja so hart. Die
Zusammenbrüche, die Burn-outs haben sie dann zu Hause.
Das Toxische daran ist, dass wir eigentlich erkennen, dass gerade
wahnsinnig viel falsch läuft, dass wir zum Beispiel den Planeten weiter
zerstören und es dennoch weiterhin machen. Es ist eine egoistische Haltung,
die sagt, ich ändere mich nicht, stelle mich nicht infrage und alles, was
ich bislang in meinem Leben gemacht habe, war richtig. Dass man sich nicht
reflektiert und Fehler eingesteht. Man setzt sich selbst ins Recht, dass
man anderen Unrecht zufügen darf. Und das haben in der Hauptsache Männer
beigebracht bekommen.
Trump ist ein Paradebeispiel für diesen Widerspruch: Er spielt gern den
autoritären Vater, ist aber in Wirklichkeit sehr dünnhäutig.
Es geht um ein Bild von Stärke. Wenn dieses Bild gekränkt wird, setzt man
Aggression ein, um es zu verteidigen. Interessanterweise verkörpert jemand
wie Trump all das, was in diesen restaurativen Konstruktionen häufig
Frauen zugeschrieben wird: Irrationalität, Impulsivität,
Gemütsschwankungen. Aber genau das ist das Gefährliche an dieser
Renaissance des starken Mannes, wie es jetzt auch mit Orbán und Erdoğan
daherkommt. Das sind eigentlich komplett wankelmütige, überemotionale,
irrationale Herrscher. Sie können weder Stress noch Kritik ertragen.
Ihre Stücke entwickeln Sie meistens mit dem Ensemble während der Proben,
Sie fangen aber oft mit Textfragmenten an. Was war hier Ihr Ausgangspunkt?
Der kreative Impuls dafür war eine Männlichkeitskonferenz, „Mann sein
2019“, die ich vor einem knappen Jahr mit dem Dramaturgen Daniel Richter
besucht habe. Es interessierte mich, dass es plötzlich immer mehr Angebote
für Männer gibt, die ihre Männlichkeit kritisch hinterfragen wollen oder
einfach verwirrt sind. Viele heterosexuelle Männer wissen nicht genau, wie
sie sich jetzt verhalten sollen. Auf der Konferenz gab es ein großes
Angebot: von Haka-Workshops, wo man den neuseeländischen Maori-Tanz lernt,
bis hin zu Vorträgen über Vater-Sohn-Beziehungen. Es war sehr diffus.
Sind Sie dort zu irgendwelchen bereichernden Erkenntnissen gekommen?
Dass es eine große Verwirrung bei vielen Männern gibt, die sich bedroht
fühlen durch die Frauen, durch #MeToo. Sie haben das Gefühl, nichts mehr
machen oder sagen zu dürfen. Auf der Konferenz gab es zwei Lager: die, die
absolut bereit sind, sich zu ändern, die aber nicht genau wissen, wie ein
neues Männerbild eigentlich aussehen könnte. Da haben sie auch nicht
unrecht, denn es gibt so wenige positive Vorbilder. Wir befinden uns noch
in der Dekonstruktion, wissen aber nicht so richtig, wo es hingehen soll.
Und dann gibt es einen Teil, der oftmals politisch den neuen Rechten
zuzuordnen ist, die sagen, dass Frauen zu mächtig werden und daher
zurückgedrängt werden müssen.
In ebendiesen neurechten Kreisen scheinen Sie einen Nerv getroffen zu
haben. [1][Wegen Ihres Stücks „Fear“ wurden Sie angeklagt und erhielten
Hassmails und Morddrohungen]. Hat Sie das als Künstler eingeschüchtert?
Es war ein Realitätsschock. Es war eine Reise in die Finsternis, zu sehen,
wie radikal diese neurechten Gruppierungen um die AfD herum agieren. Ich
übe eine Kritik an den Neurechten, und ihre Antwort ist: Wir bringen dich
um. Eingeschüchtert bin ich aber nicht. Es hat nicht dazu geführt, dass ich
mich nicht mit ihnen auseinandersetze oder jetzt harmloser geworden bin. Im
Gegenteil: Ich beschäftige mich umso intensiver mit Rechtsextremismus.
Die tatsächliche Wirkungsmacht des Theaters wird oft infrage gestellt, aber
die Angst der Neurechten weltweit vor kulturellen Institutionen ist
vielsagend. Das haben wir zuletzt in Ungarn gesehen, wie Orbán gegen das
Theater vorgeht. Theater scheint doch eine reale Bedrohung für die Rechten
darzustellen. Das gibt einem Hoffnung.
Die reine Existenz von einem Raum, der wirklich frei ist, in dem man
wirklich seine Meinung sagen und freie Kunst machen kann, ist so eine
Irritation im Weltbild von diesen autoritär strukturierten Menschen. Das
halten sie einfach nicht aus. Deshalb ist eigentlich der Wunsch da, das
Theater und die freie Kunst zu vernichten, was in allen Diktaturen
passiert: weil es diese Gegenstimme nicht geben soll. Wir haben jetzt hier
einen Raum, in dem wir sie satirisch überhöhen, kritisieren,
dekonstruieren – und das soll eben nicht mehr existieren. Deshalb ist das
auch eine reale Gefahr.
15 Jan 2020
## LINKS
[1] /Tagung-zu-Rechtsextremismus-im-Netz/!5299543
## AUTOREN
Nicholas Potter
## TAGS
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