# taz.de -- „Der Graf von Monte Christo“ im Kino: Schmerz und Selbstgerecht… | |
> In Frankreich ist die Neuverfilmung von Alexandre Dumas’ „Der Graf von | |
> Monte Christo“ ein Riesenerfolg. Pierre Niney gibt darin einen geplagten | |
> Rächer. | |
Bild: … und Schuss! Der Graf von Monte Christo (Pierre Niney) beim Duell | |
Rache ist ein Gericht, das man am besten kalt serviert. Mit sorgfältiger | |
Planung, verlässlichen Komplizen und einem angemessenen Budget lässt sie | |
sich auch umsetzen, jedenfalls in der Literatur. Und welche fiktive Figur | |
stünde besser für Vergeltung als Edmond Dantès, der Held von Alexandre | |
Dumas’ 2.000-seitigem Abenteuerroman „Der Graf von Monte Christo“? | |
Der junge Seemann, der von drei Männern verraten wird, dann etliche Jahre | |
in Festungshaft verbringt und es anschließend als geheimnisvoller Adeliger | |
seinen Peinigern heimzahlt, gilt als Racheengel per se. Er befriedigt das | |
Gerechtigkeitsgefühl von Leserinnen und Lesern sowie dem Publikum vor | |
Leinwand und TV-Bildschirm, denn die Verfilmungen des Stoffes sind kaum | |
noch zu zählen. | |
Doch was ist, wenn das Streben nach Gerechtigkeit in Selbstgerechtigkeit | |
umschlägt und der Held bei seinem Rachefeldzug keine Befriedigung verspürt? | |
Matthieu Delaportes und Alexandre de La Patellières neue, dreistündige | |
Verfilmung der Dumas’schen Vorlage, die in Frankreich sagenhafte neun | |
Millionen Zuschauer in die Kinos gelockt hat, widmet sich nicht zuletzt | |
solch moralischen Fragen und stellt ihren Protagonisten in ein nicht immer | |
glanzvolles Licht. Dabei lassen die Macher Nebenfiguren an das Gewissen des | |
Helden appellieren, doch dieser erweist sich bei der Durchführung seiner | |
Revanche zu lange als beratungsresistent. | |
Rettung einer jungen Frau | |
Zunächst ist Edmond Dantès im Jahre 1815 jedoch nur ein tüchtiger | |
22-jähriger Matrose, Erster Offizier auf dem Schiff „Pharao“. Gleich zu | |
Anfang des Films, als ein anderes Schiff in Seenot gerät, rettet er nach | |
einem beherzten Sprung ins Wasser eine junge Frau vor dem Ertrinken. Doch | |
sie führt einen Brief des auf Elba in der Verbannung lebenden Kaisers | |
Napoleon Bonaparte mit sich. Kapitän Danglars wird Edmond die Epistel | |
unterjubeln und ihn als Agenten des „Usurpators“ dastehen lassen, nachdem | |
der Reeder des Schiffes Dantès in Marseille zum neuen Kapitän ernannt hat. | |
Edmonds adeliger Freund Ferdinand de Montcerf denunziert ihn ebenfalls | |
wider besseres Wissen als Bonapartisten – aus Eifersucht auf dessen | |
Verlobte Mercédès. Kurz bevor Edmond ihr das Jawort geben kann, wird er in | |
der Kirche verhaftet. Dem ehrgeizigen Staatsanwalt Villefort kommt Dantès | |
als Bauernopfer sehr gelegen, weil die Trägerin des Briefes seine Schwester | |
ist und er als Unterstützer des neuen Regimes nicht in Verruf geraten will. | |
So werden die Bösewichter im ersten Drittel des Films zur Schau gestellt – | |
Moncerf ([1][Bastien Bouillon]) zunächst mit sich ringend, Danglars | |
(Patrick Mille) als habgieriger Schurke und Villefort (Laurent Laffitte) | |
als skrupelloser Machtmensch. | |
Schatz auf einer Mittelmeerinsel | |
Der naive junge Held dagegen wird die nächsten 14 Jahre seines Lebens in | |
dem berüchtigten Inselgefängnis Château d’If verbringen – abgemagert und | |
mit zotteligem Haar und Bart. Dort erfährt er von seinem Mitgefangenen, dem | |
Gelehrten Abbé Faria, von einem wertvollen Schatz auf der Mittelmeerinsel | |
Montecristo. | |
Der Film macht daraus ein Vermächtnis der Tempelritter und modifiziert auch | |
einige Figuren und Nebenintrigen. Doch der Plot als Ganzes bleibt erhalten, | |
die Veränderungen sind stimmig und ordnen für heutige Zuschauer so manches | |
historisch ein. So etwa, dass die drei Verräter von Dantès sich während | |
seiner Haft in einer postbonapartistischen Zeit bereichert haben (Danglars | |
mit Sklavenschiffen), in der in Frankreich eine Art Goldrausch herrschte. | |
So erkennen die drei Übeltäter, die kein schlechtes Gewissen plagt, ihr | |
Opfer auch nicht wieder, als Dantès 20 Jahre später als weltgewandter Graf | |
von Monte Christo vor ihnen steht. | |
Dieser erste offizielle Auftritt des Grafen ist in der Filmhistorie in | |
seiner Strahlkraft nur mit der ikonischen Selbstvorstellung „The name is | |
Bond, James Bond“ zu vergleichen. Danglars, Moncerf und Villefort | |
misstrauen Monte Christo nicht, lassen sich von seinem Reichtum blenden. | |
Sie wissen nicht, dass Edmond ihre Intrige aufgedeckt hat und zudem ein | |
Selfmademan ist. In der Gefangenschaft lehrte ihn der Abbé Faria Natur- und | |
Geisteswissenschaften, nach seiner Flucht aus der Festung und der Bergung | |
des Schatzes bereiste er die Welt. | |
Narbe unter der Maske | |
Der Graf von Monte Christo ist ein Konstrukt, Edmond ein Schauspieler, der | |
vor einer Galerie von Theaterspiegeln eine Maske aufsetzt, die ihm ein | |
emotionsloses Aussehen verleiht. Sobald er sie absetzt, erkennt man eine | |
Narbe unter dem linken Auge – sie steht für seine seelischen und | |
körperlichen Qualen. | |
Nur Mercédès (Anaïs Demoustier) kann er nicht täuschen. Sie ist nun seit 20 | |
Jahren die Frau von Montcerf, hat Edmond aber nie vergessen. So sind die | |
Szenen zwischen beiden von besonders tragischer Romantik: Sie reden in | |
Allegorien – sie voller Reue und Emotion, er voller Schmerz und der ihm | |
eigenen Prise Selbstgerechtigkeit. | |
Die Verfilmung von Delaporte und de La Patellière ist nicht so verklärend | |
wie andere Versionen des Stoffes. [2][Pierre Niney] verkörpert seine Rolle | |
weniger selbstherrlich als Jean Marais und weniger spielerisch als Gérard | |
Depardieu. | |
Er ist ein geplagter Monte Christo mit melancholischem Blick, aber auch | |
sehr körperlich. Monte Christo taucht, schwimmt, reitet und ficht mit | |
demselben Selbstoptimierungsdrang, den er auch geistig bewiesen hat. Im | |
Ledermantel und mit Zylinder und Stock wirkt er modern und trotzdem | |
mysteriös – nicht zuletzt, wenn er in voller Montur in Zeitlupe durch | |
Gebäude und Landschaften wandelt. | |
Opulente Ausstattung | |
Das historische Abenteuerambiente des Romans bedienen die Regisseure mit | |
Bravour. Sie hatten bereits als Drehbuchautoren im vorherigen | |
Dumas-Blockbuster, dem Zweiteiler „Die drei Musketiere“, mitgewirkt und | |
verstehen sich auf ihr Handwerk. | |
Die Ausstattung ist opulent, die Originalmusik von Jérôme Rebotier | |
mitreißend, auch die Kameraführung unterstreicht den Willen nach großem | |
Publikumskino. Die Kulissen wechseln zwischen der lichtdurchfluteten | |
Provence, der malerischen Montecristo-Insel und Bildern eines mondänen, | |
aber auch zwielichtigen Paris mit dunklen Gassen. | |
Etliche Einstellungen von oben verschaffen einen Überblick über weitläufige | |
Gelände und Schlösser, während Kamerafahrten für Tiefe und Tempo sorgen. | |
Doch während die Verfilmung der „Musketiere“ sehr um Realismus bemüht war, | |
die Helden sich dreckig und verschwitzt präsentierten, umweht dieses | |
Filmepos ein Hauch Jules Verne. Der Graf lebt in einem gelben Schloss mit | |
leicht futuristischer Architektur. Auch ein Schießstand mit sich magisch | |
öffnenden Scharten innerhalb des Prunkgebäudes zeugt von der Modernität und | |
Technikbegeisterung des Grafen. | |
Tödliche Spuren | |
Wie ein Trüffelschwein hat Edmond in der Vergangenheit seiner Widersacher | |
gewühlt, immer weitere ihrer Untaten aufgedeckt. Doch trotz all seiner | |
kühlen Planung bewahrheitet sich ein anderes Bonmot: Rache ist Blutwurst, | |
sprich, sie hinterlässt (auch ungewollte) tödliche Spuren. | |
In der Praxis scheitert sein Racheplan an etwas Unvorhergesehenem: den | |
Gefühlen seiner Kompliz*innen. Seiner Ziehtochter Haydée und dem jungen | |
André, die er aus Sklaverei und Waisenhaus befreit hat, ist von Moncerf und | |
Villefort einst übel mitgespielt worden. Der Graf hat sie bei sich | |
aufgenommen, sie aber zu Marionetten in seinem Rachefeldzug degradiert. | |
Trotzdem bringen sie den Mut auf, Widerstand gegen ihn zu leisten. | |
So erscheint Monte Christo immer mehr als Vigilante. Für seine Rache zahlen | |
er selbst und andere einen hohen Preis. Auch Alexandre Dumas erkannte das | |
in seinem Roman, schlug am Ende versöhnlichere Töne an. Doch der Film | |
erlöst seinen Helden nicht, hinterfragt seine Motive und lässt ihn am Ende | |
als einsamen Zweifler zurück, der seine Chance auf einen persönlichen | |
Neuanfang verspielt hat. | |
22 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Kira Taszman | |
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