# taz.de -- „Nosferatu“ am Theater Braunschweig: Dem Bösen fehlt der Biss | |
> „Nosferatu“ wirkt in Braunschweig reichlich blutarm: Ohne den Zauber des | |
> Unheimlichen zu wecken, verharrt das Bühnen-Remake im solide | |
> Zombiehaften. | |
Bild: Sie könnte eine Poetin des Blutdursts sein. Doch Ana Yoffe bleibt in der… | |
Mal wieder angstlustvoll gruseln, während eine Popkultur-Ikone neu | |
ausgeleuchtet und in einer kritischen Hommage hinterfragt wird? Jedenfalls | |
ist Neugier geweckt: Das Staatstheater Braunschweig macht mit Friedrich | |
Murnaus [1][„Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“] (1922) einen der | |
einflussreichsten Filme der Kinogeschichte zum Thema, nachdem gerade Robert | |
Eggers mit seiner [2][Neuverfilmung des Horrorklassikers] gescheitert ist. | |
Was kann nun Theater besser als die Projektion des Originals oder das | |
zeitgenössische Horrorkino zum unsterblichen [3][Vampir-Boom] beitragen? | |
Angekündigt ist ein Hybrid aus Konzert, Videoinstallation und | |
Schauspieltheater. Das präsentiert sich sujetgemäß so anämisch wie | |
mimisch-übertreibend dabei, Stummfilmvorbilder zu Sprechtheaterfiguren zu | |
entwickeln. | |
Zumindest Gertrud Kohl gewinnt dabei als van Helsing auch charakterliches | |
Profil. Verzweifelnd genervt ist sie als Vertreterin wissenschaftlicher | |
Rationalität vom Zustand der Welt, führt mit zynischen Kommentaren durch | |
die Handlung und erforscht nebenher Bluthungrige wie den Insekten und Vögel | |
mampfenden Renfield. Sind das Menschen, Tiere, Dämonen? | |
Zur Erkundung bricht die Inszenierung von [4][Christoph Diem] wie der Film | |
mit dem karrieregeilen Makler Hutter auf in die Karpaten und will bei Graf | |
Orlok, Nosferatu, die Unterschrift für einen Immobilienkauf abholen. Also | |
ein gutes Geschäft machen. Was zu einer schön schrägen Sache wird, weswegen | |
wohl auch die Bühne als Schräge hergerichtet ist. Auf der illustrieren | |
Videos die wechselnden Spielorte, zeitgeraffte Landschaften, ansonsten auch | |
gern Filmschnipsel und -zwischentitel, später dann Orloks Pest bringende, | |
indes niedlich wirkende Ratten. | |
Um Bewegung auf die Bühne zu bekommen, wird die Schräge von Lebenden, | |
Sterbenden und Toten auf alle möglichen Arten zum Hochkrabbeln und | |
Runterrutschen genutzt. Dass der so betobten Videoinstallation eine | |
künstlerische Auseinandersetzung mit der Ästhetik des surrealen | |
Filmexpressionismus gelingt oder grundsätzlich mit der Bewegtbilderkunst | |
oder dem Vampirismus, kann leider nicht behauptet werden. | |
Aber mit ihr gewinnt der Abend an visueller Attraktivität. Optisch ist in | |
Braunschweig alles viel hübscher als im Film, leider auch steriler. Wenn | |
Ellen zwischen Grabsteinen und Meer hockend auf die Rückkehr ihres Gatten | |
Hutter wartet, gelingt Murnau düsterromantisch-metaphorische | |
Stimmungsmalerei, die den Gemütszustand der darin gefangenen Frau abbildet. | |
Auf der Bühne ist das nachgebaute Setting nur ein hell ausgeleuchtetes, | |
stimmungsloses Zitat. Wie auch die markanten Schattenwürfe des Filmvampirs | |
vorkommen, aber dramaturgisch funktionslos bleiben. | |
Dabei ließe sich „Nosferatu“ mehr als 100 Jahre nach der Uraufführung auch | |
inhaltlich kommunizieren. Der Film ist entstanden aus dem Schrecken | |
angesichts der Leichenberge von Erstem Weltkrieg und Spanischer Grippe, | |
kann auch als Vorahnung der Wirtschaftskrise und Tyrannei des | |
Nationalsozialismus gelesen werden, als Spiegel der verunsicherten Weimarer | |
Republik – wie auch unserer heutigen: Sind doch in Europa schon wieder mehr | |
als 100.000 Kriegsopfer zu beklagen, Pandemieerfahrungen noch höchst | |
präsent, Inflation und Rechtsruck bedrängen den Alltag. Aber so den Stoff | |
ins Hier und Heute zu holen, versucht die Regie ebenso wenig wie ihn als | |
Allegorie in der Schwebe zu halten. | |
Erfreulich, dass nicht klischeehaft Gothic Pop erklingt, sondern angerauter | |
Indie-Rock, dargeboten von einem Quartett um Komponist/Sänger Pär Hagström, | |
das auch Klänge des Bangemachens und Erschreckens einstreut. Die | |
Musiker:innen spielen die in Textlücken hineingeschriebene | |
Rockband-Rolle, servieren Song für Song in braver Lautstärke dem sitzenden | |
Publikum, aber mit einem interaktiven Live-Konzert hat das kaum etwas zu | |
tun. | |
Nosferatu ist mit Ana Yoffe weiblich besetzt, schwarz kostümiert, | |
leichenblass geschminkt, mit Teufelskrallen ausgestattet. Eindrucksvoll. | |
Sie könnte Verführerin sein, Poetin des Blutdurstes, Weltvernichterin, im | |
Untod gefangene Einsame, oder, oder, oder. Aber sie agiert nur solide | |
zombiehaft, ohne den Zauber des Unheimlichen. | |
Die gesamte Aufführung hat zum Assoziationsquell des Stoffes einfach kaum | |
etwas zu sagen, kommt nicht an die Figuren, Themen und auch nicht an die | |
ahnungsvoll verdichtete Atmosphäre drohenden Schreckens heran. Denn | |
Nosferatu schließt den Menschen ihre dunklen Seiten auf und lässt | |
Zerstörungskräfte frei. [5][Das Böse]. Die Inszenierung aber bleibt | |
Stückwerk, eine lässige, wenn auch aufwendige Tändelei. | |
24 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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