# taz.de -- Theaterstück „Brand“ in Braunschweig: Europa gibt’s nicht me… | |
> Volker Schmidts dystopisches Theaterstück „Brand“ zeigt einen zerfallenen | |
> Kontinent, gespalten durch Kriege, Klimawandel und gesellschaftliche | |
> Krisen. | |
Bild: Will im Theater das Theater loben, gerät aber nur zum plapperigen Tête-… | |
Es ist eine Dystopie, die der österreichische Autor Volker Schmidt mit | |
„Brand“ formuliert: [1][Europa gibt es nicht mehr]. Kriege, Klimawandel, | |
ökologische Katastrophen, Pandemien, Masseneinwanderung und | |
gesellschaftliche Spaltungen sorgten für den Kontrollverlust und Niedergang | |
der Parteidemokratien. Mit den Staaten und Institutionen zerfiel auch der | |
EU-Gedanke. Das Eigene wird als Rückzugsort für Menschen immer wichtiger | |
und bedingt einen massiven Anstieg von um Autarkie bemühten | |
Parallelgesellschaften, die sich in esoterischen, autoritären, | |
sektiererischen Strukturen organisieren. Wer will, kann sich einer | |
sexpositiven Nazi-Kommune anschließen oder Ökofundamentalisten, die vor | |
allem zugedröhnt trommeln und tanzen. | |
Jetzt ist Schmidts Text am [2][Staatstheater Braunschweig] uraufgeführt | |
worden. Und zwar im „Aquarium“, der Studiobühne des Theaters. Bisher ließ… | |
wechselnde Kurator:innen sie für jeweils eine Saison in einem | |
einheitlichen Bühnenbild zu einem Thema gern experimentell bespielen. Für | |
die letzte noch vom Team der ausgeschiedenen Intendantin Dagmar Schlingmann | |
geplanten Spielzeit ist die Agora-Installation von Wolf Gutjahr aus dem | |
Vorjahr allerdings belassen worden. Das Programm wirkt mit Wiederaufnahmen, | |
Gastspielen und Eigenproduktionen wie eine theatrale [3][Resterampe der | |
Schlingmann-Ära] und zum Thema Endzeit. | |
Probebühnenatmosphäre: Ein bedeutungsvoll umgestürzter Metallturm schmückt | |
den vollgemüllten Boden, im Zentrum steht ein Wassercontainer, Wände und | |
Fenster sind mit vollgekritzelten Plastikplanen abgehängt. Zwischen | |
Erzählpassagen zur Weltlage und Ping-Pong-Dialogen der Selbstdarstellung | |
springend, inszeniert Leon Bornemann im locker performativem Gestus, wie | |
sich die antibürgerliche Ausreißerin Maëlle (Mariam Avaliani) und der | |
eigenbrötlerisch coole Sonnenblumenkernknabberer Koé (Ivan Marković) in | |
ihren Befindlichkeiten näherkommen. | |
## Lebensgefängnis für den Luxusuntergang | |
Letzterer will, solange er noch lebt, etwas Gutes tun – nämlich Migranten | |
vor Todesmärschen und Lagerhaft schützen. Als Fluchthelfer bringt er | |
Menschen aus dem unbewohnbar heißen, von Bränden unentwegt verwüsteten | |
Süden Europas in militärisch geschützte Sicherheitszonen des reicheren und | |
noch etwas kühleren Norden. | |
Maëlle ist aus diesem Lebensgefängnis für den Luxusuntergang geflohen, will | |
noch mal Orte ihrer Kindheit aufsuchen und sich dann der antizipierten | |
Apokalypse durch Suizid entziehen: „Ich glaube, man wird uns mal als die | |
Generation bezeichnen, die am meisten wusste und am wenigsten tun konnte … | |
Dieses Warten zermalmt mich in meinem Kopf. In unserer aller Köpfe. Wir | |
sterben unsere ganze Jugend lang.“ | |
Genervt wirft Koé der jungen Frau einmal vor, moralisch großkotzig immer | |
und immer wieder nur „Zivilisationskritikblasen“ abzusondern. Aber bald | |
teilt sie dem Publikum mit, seinen schlanken Körper, klugen Kopf und diese | |
wilden Haare zu mögen. Zum Bad wird Koé in einen Plastikplanen-See gelockt, | |
dann Kuss, dann Sex – und sie „fuhren einem rosa Himmel entgegen“. Schon | |
wird der erste Funke Lust auf etwas wie Zukunft artikuliert. | |
## Angst vor marodierenden Faschisten | |
Ach, ein netter Versuch. [4][Kitsch macht Spaß]. Und Liebe ist hier Kitsch, | |
wie sie als Schmerzmittel gegen Verzweiflung gefeiert wird. Andererseits: | |
Welche andere emotional verbindende Kraft kann schon Halt, Hoffnung, | |
Solidarität ermöglichen, um in einer allgemeinen Verunsicherung nicht | |
selbst in destruktive Verhaltensmuster zu verfallen? | |
Auf nach Wien. Wenn dort die Sonne untergeht, kommen die letzten | |
Bewohner:innen zusammen. Goldstaub flittert in der Luft, Glitzer auf | |
den Lidern, ein Trans-Mann tanzt im Brünnhilde-Karikatur-Kostüm. Dazu | |
Drogen, Freiheit für alle, Partyexzess, Kopulationssimulation … so eine Art | |
Swinging Berlin. Tanz auf dem Vulkan. Aber es wächst bei den | |
Protagonist:innen die Angst vor nahenden Bränden und den in Österreich | |
marodierenden Faschisten. Selbstbestimmtheit wird umdefiniert: „Jeder | |
rettet schnell mal seine eigene Haut.“ Aber die Darsteller:innen | |
behaupten verzückt, nicht raus aus der Stadt, sondern rein ins Theater | |
geflüchtet zu sein – als Ort des Erinnerns und des Überlebens. | |
Das versteht aber nur, wer Schmidts Ausführungen auf dem Programmflyer | |
liest. Je mehr wir im Theater „mitfühlendes Hinschauen“ als Zustand | |
etablieren, desto „gewappneter sind wir, frisch und mutig Antworten auf | |
gesellschaftliche und politische Herausforderungen zu finden“, schreibt er | |
da. | |
Das ist nett gemeint, aber auch etwas anbiedernd, ins Theater ein Lob des | |
Theaters zu zaubern. Dieses zu beglaubigen, gelingt dem sich in | |
Liebesspielerei und formulierungshübsch skizzierter Untergangsstimmung | |
verlierenden Abend nämlich leider nicht. Zu erleben ist ein eher | |
plapperiges Tête-à-Tête im großen Katastrophenraunen der westlichen Welt. | |
3 Oct 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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Svenja Schulze | |
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