| # taz.de -- Angeline Boulley über Bestseller-Jugendroman: „Es kommt auf die … | |
| > Autorin Angeline Boulley spricht über ihren preisgekröntes Buch | |
| > „Firekeeper’s Daughter“. Sowie Kultur und Gegenwart der First Nations in | |
| > den USA. | |
| Bild: Die US-amerikanische Autorin Angeline Boulley bei einer Lesung im Septemb… | |
| taz: Frau Boulley, Ihr Romandebüt wurde vielfach ausgezeichnet, eine | |
| Netflixserie ist geplant und das Time Magazin hat es in die Liste der 100 | |
| besten Jugendbücher aller Zeiten aufgenommen. „Firekeeper’s Daughter“ st… | |
| dort neben Büchern wie dem „Tagebuch der [1][Anne Frank]“ oder [2][„Litt… | |
| Women“ von Louise May Alcott]. Wie fühlt sich das an? | |
| Angeline Boulley: Ich habe es noch nicht ganz realisiert, fühle mich aber | |
| sehr geehrt. | |
| In Ihrem Buch hilft die 18-jährige Highschoolschülerin Daunis dem FBI bei | |
| einer verdeckten Ermittlung. Gleichzeitig sucht sie nach ihrem Platz in der | |
| Gesellschaft, insbesondere innerhalb einer indigenen Community. Wie | |
| entstand die Idee dafür? | |
| Die Initialidee hatte ich bereits, als ich selbst noch zur Highschool ging, | |
| also vor fast vierzig Jahren. Ich war 17 oder 18 Jahre alt, als ich zum | |
| ersten Mal ein Buch las, indem überhaupt ein indigener Protagonist | |
| auftauchte. Dessen Darstellung beruhte auf sehr seltsamen Stereotypen, | |
| sodass ich anfing, mich mehr mit meiner Herkunft auseinanderzusetzen und | |
| Informationen zur Geschichte von Native Americans zu sammeln. | |
| Ist Ihr Roman also das Buch, das Sie selbst gern als Jugendliche gelesen | |
| hätten? | |
| Genau das ist es. Ich wollte eine wahre Geschichte erzählen und den | |
| Menschen zeigen, wer wir sind und wie das Erwachsenwerden einer jungen | |
| Ojibwe-Frau aussehen kann. | |
| Ojibwe ist Ihre Native Nation, ihr Stamm ist der der Sault Sainte Marie | |
| Chippewa, der auf Sugar Island in Michigan lebt. Wie bei Ihrer Hauptfigur | |
| ist Ihr Vater Native American, Ihre Mutter nicht. Inwiefern hat Sie das | |
| geprägt? | |
| Wie Daunis bin ich eher hellhäutig. Ich habe oft zu hören bekommen, ich | |
| sähe gar nicht aus wie eine Native American, was an einer von Stereotypen | |
| durchzogenen Vorstellung liegt, wie wir auszusehen haben. Ich selbst bin | |
| nicht in meiner Native Community aufgewachsen. Mein Vater zog uns mehrere | |
| Stunden entfernt auf. Wir besuchten häufig unsere Verwandten auf Sugar | |
| Island. Als ich jünger war, fühlte ich mich als Außenseiterin. In der | |
| Stadt, wo meine Geschwister und ich aufwuchsen, waren wir die einzigen | |
| indigenen Menschen. Wir waren gut in der Schule, waren in Sportvereinen und | |
| auch sonst aktiv in der Gemeinde, – wir kamen gut mit allen klar. | |
| Und wie war es, wenn Sie zu Besuch bei Ihren Verwandten waren? | |
| Dort sah ich, wie schwer es für Native Americans sein kann. In Sault Saint | |
| Marie werden Indigene sehr schlecht behandelt. Meine Cousins wurden ständig | |
| überwacht, sobald sie ein Geschäft betraten. Diskriminierung spielt eine | |
| große Rolle, weshalb uns mein Vater dort nicht großziehen wollte. | |
| Irgendwann zogen Sie zurück, begannen im Bildungssektor innerhalb Ihrer | |
| Community zu arbeiten. Später leiteten Sie das Bureau of Indian Education | |
| im Bildungsministerium in Washington, D. C. Die Idee, ein Buch zu | |
| schreiben, hat Sie aber nie losgelassen, und so ist ihr Debüt eine Mischung | |
| aus Coming-of-Age-, Kriminalroman und Liebesgeschichte geworden. | |
| Ich hatte eigentlich nie ernsthaft vor, Schriftstellerin zu werden. Aber | |
| die Idee für die Geschichte blieb bei mir. Ich behandelte sie wie ein | |
| Puzzle und versuchte herauszufinden, wie die Teile zusammenpassen. Als ich | |
| wusste, wohin es gehen könnte, war ich bereits 44 Jahre alt. Es zu | |
| versuchen und zu scheitern, wäre in Ordnung gewesen. Es aber nie versucht | |
| zu haben, war etwas, das ich nicht bereuen wollte. | |
| Hierzulande kochte unlängst eine Debatte über eine historische Buchreihe | |
| und deren Weitervermarktung [3][rund um einen fiktiven Native American] | |
| auf. Die Diskussionen zeigten, dass neben Rassismen, die bei der | |
| Darstellung von Native Americans immer wieder reproduziert werden, auch | |
| immer die Romantisierung indigener Kulturen eine Rolle spielt. Sie setzen | |
| dem etwas entgegen, in dem Sie Drogenkonsum, Armut und Gewalt gegen Natives | |
| ansprechen. | |
| Ich wollte auch schwierige Seiten beleuchten, habe aber versucht, dabei ein | |
| Gleichgewicht beizubehalten. Es war stets eine sorgfältige Abwägung. | |
| Inwiefern? | |
| Es kommt auf die Nuancen an. Und die sind in diesem Fall für eine | |
| nichtindigene Person schwerer zu finden als für jemanden, der weiß, welches | |
| indigene Wissen geteilt werden darf, wenn es um gelebte Erfahrungen geht. | |
| Ich habe ein Mantra: Ich schreibe, um meine Kultur zu bewahren. Ich habe | |
| frei geschrieben. Während der Überarbeitung habe ich darüber nachgedacht, | |
| ob ich diese Informationen weitergeben sollte. Und welche Verantwortung ich | |
| dabei gegenüber meiner Gemeinschaft als Trägerin indigenen Wissens habe. | |
| Wie waren die Reaktionen aus Ihrem Umfeld? | |
| Ich sprach schon während des Schreibprozesses mit vielen und holte mir | |
| deren Meinung ein. Ich wollte sichergehen, niemanden vor den Kopf zu | |
| stoßen. Das Erfreuliche ist, dass das Buch innerhalb meiner Community | |
| durchweg positiv aufgenommen wird. | |
| Besonders die Reaktionen von anderen Native Women seien sehr positiv | |
| gewesen, sagten Sie in einem anderen Interview. Woran liegt das? | |
| In meinem Buch spreche ich auch die sexualisierte Gewalt gegenüber | |
| indigenen Frauen an, in der Hoffnung, dass das Thema mehr Beachtung findet. | |
| Diesbezüglich habe ich viel Zuspruch erhalten. Es ist eine mehr als | |
| ungerechte Situation; nicht nur erfahren sehr viele Native Women | |
| sexualisierte Gewalt, auch erhalten sie kaum Gerechtigkeit durch die | |
| Justiz. ([4][Anm. d. Red.: Laut einem diesjährigen Bericht von Amnesty | |
| International erlebt mehr als die Hälfte der Native Women in den USA | |
| sexualisierte Gewalt in ihrem Leben]) | |
| Warum ist dem so? | |
| Die Zuständigkeiten zwischen US-Behörden und den Tribal Councils ist nicht | |
| einwandfrei geklärt. Zudem fehlen Ressourcen, um sexualisierte Übergriffe | |
| zu verfolgen. Das nutzen besonders nichtindigene Männer aus, um Native | |
| Women Gewalt anzutun. | |
| Ihrer Romanfigur Daunis liegt, obwohl sie nicht von allen akzeptiert wird, | |
| viel daran, ihre Community zu beschützen. Besonders zu den älteren Menschen | |
| pflegt sie enge Verbindungen. Warum war Ihnen wichtig, das herauszustellen? | |
| Unsere Alten zu ehren und sich um sie zu kümmern, ist sehr wichtig in | |
| unserer Community. Ich wollte sie weder vergreist noch als romantisierte | |
| weise Älteste darstellen. Sie sollten Schwächen haben, grimmig sein dürfen. | |
| Aber auch liebevoll, immer noch neugierig und ein lebendiger Teil unserer | |
| Gemeinschaft. Gleichzeitig habe ich versucht, die Auswirkungen der | |
| historischen Traumata einzuflechten, die von Generation zu Generation | |
| weitergegeben werden. | |
| Diese Auswirkungen sind bis heute spürbar und manifestieren sich unter | |
| anderem in den Diskussionen über die Rückgabe von Artefakten, die indigenen | |
| Völkern einst geraubt wurden. Dieses Thema greifen Sie in Ihrem nächsten | |
| Roman auf, der kommendes Jahr in den USA erscheinen soll. Können Sie schon | |
| mehr verraten? | |
| Während die Handlung von „Firekeeper’s Daughter“ in den Jahren 2004 und | |
| 2005 stattfindet, spielt „Warrior Girl Unearthed“ zehn Jahre später. Statt | |
| Daunis Fontaine folgen wir einer ihrer im ersten Buch noch kleinen | |
| Cousinen. Es geht darum, wie Museen die Gebeine unserer Vorfahren und | |
| andere Artefakte aufbewahren. Wir haben schreckliche Geschichten über | |
| Knochen gehört, die mit Permanentmarkern beschriftet und in braunen | |
| Müllsäcken aufbewahrt werden. Würde irgendjemand wollen, dass seine | |
| Vorfahren auf diese Weise behandelt werden? Meine Figur beschließt deshalb, | |
| die Situation selbst zu korrigieren. | |
| Eine letzte Frage. In „Firekeeper’s Daughter“ schreiben Sie: „Wenn wir … | |
| unseren Tribe Entscheidungen fällen, denken wir sieben Generationen voraus | |
| und wägen die Auswirkungen auf unsere Nachfahren ab.“ Können Sie das | |
| präzisieren? | |
| Wenn man bei uns Entscheidungen trifft, dann nicht nur im eigenen | |
| Interesse. Es geht darum, möglichst an die Enkelkinder und deren | |
| Enkelkinder zu denken und daran, [5][welche Welt man ihnen durch die | |
| Entscheidungen, die man heute trifft, hinterlässt.] Das ist ein | |
| Grundgedanke in unserer Native Community, der meiner Meinung nach aber auch | |
| außerhalb von ihr Anwendung finden sollte. | |
| 10 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
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