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# taz.de -- Graphic Novel über Schulphobie: Allein mit den Beatles
> In „Nowhere Girl“ erzählt Magali Le Huche von beginnender Pubertät und
> der magischen Kraft von Popmusik.
Bild: Popmusik als Paralleluniversum und Überlebenselixier. Zeichnung von Maga…
Deutlich belasten die aktuellen krisenhaften Ereignisse – Coronapandemie,
Klimawandel und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – die
psychische Gesundheit junger Menschen. Gerade bei Eintritt in die Pubertät
sind Heranwachsende dabei schon immer häufig von Angststörungen betroffen.
Die französische Illustratorin Magali Le Huche musste eine solche Erfahrung
schon als Elfjährige machen.
Sie erlebte eine schwere persönliche Krise. Ihre autobiografische Graphic
Novel „Nowhere Girl“ erzählt nun von dieser Phase in den 1990er Jahren, dem
plötzlichen Verlust kindlicher Unbeschwertheit und die schleichende
psychische Erkrankung nach dem Wechsel in die Sekundarschule.
Ihre Erinnerungen an diesen prägenden Lebensabschnitt hat Le Huche in
Bildsequenzen mit feinem Tuschestrich festgehalten. Dabei unterstreicht der
auffällig orange Haarschopf der Protagonistin neben rosa Flächen
kontrastreich die Perspektive der Erzählung.
Dazwischen geben ganzseitige Formate in leuchtenden Farben Einblicke in die
Empfindungen,Tagträumen und Sehnsüchten dieses jungen Mädchens. Neben den
gezeichneten Dialogszenen beschreibt der Text rückblickend die Ereignisse
aus jener Zeit. Knappe, mit Pfeilen eingefügte Kommentierungen bilden eine
zusätzliche Ebene der Erzählung.
## Alltag eines Mädchens
Unweigerlich fühlt man sich hier sogleich an „Esthers Tagebücher“ erinner…
die erfolgreiche Fortsetzungsgeschichte [1][des französischen Comicautors
Riad Sattouf]. Nach der ersten Folge „Mein Leben als Zehnjährige“
veröffentlichte Sattouf ab 2017 [2][jedes Jahr einen neuen Band mit
Episoden aus Esthers Leben], der Tochter eines Freundes. Zuletzt erschien
„Mein Leben als Vierzehnjährige“.
Im Cartoon-Stil gezeichnet, handeln diese humorvollen und geistreichen
Geschichten vom Alltag des Mädchens, mit Freunden, Familie und Schule.
Fasziniert folgen wir Sattoufs Aufzeichnungen über Haustiere,
Homosexualität oder Sitzenbleiben – „nach einer wahren Geschichte von
Esther A.“
Anders jedoch als Sattoufs literarische Figur „Esther“, die mit
Selbstvertrauen dem Leben entgegentritt, zieht sich Le Huches elfjähriges
Ich in „Nowhere Girl“ zunehmend ängstlich aus der realen Welt zurück.
Magalis Familie lebt in Paris. Vater und Mutter arbeiten als
Psychotherapeuten. Der bürgerlicher Alltag ist durchorganisiert. Die
Töchter besuchen nachmittags den Schauspiel- und Tanzunterricht. Die ältere
Schwester ist in allen Fächern immer Klassenbeste (außer in Sport). Der
elfjährigen Magali hingegen fällt das Lernen schwerer. An der neuen Schule
herrscht ein geradezu militärischer Ton. Die Lehrerinnen wirken sehr
autoritär und ihre Anforderungen scheinen entsprechend unerreichbar.
## Bis zur Bewusstlosigkeit
Doch während ihre Freundinnen recht entspannt mit der neuen Situation
umgehen können und sogar zufrieden damit scheinen, fühlt sich Magali schon
bald völlig erschöpft. Eines Tages bricht sie bei einer Prüfung im
Unterricht bewusstlos zusammen. In den folgenden Wochen machen morgendliche
Bauchschmerzen und Übelkeit den Schulbesuch für sie unmöglich.
Obwohl Helfen ihre Profession sein sollte, sind die Eltern bei der eigenen
Tochter zunächst ratlos bis schließlich eine Psychologin Magalis Problem
erkennt: Schulphobie.
Sie zeigt der Familie dadurch einen Ausweg aus der belastenden Situation
auf. Endlich hat die Krankheit einen Namen. Und die nächsten zwei Jahre
wird Magali nicht mehr zur Schule gehen. Stattdessen wird sie vom
französischen Institut für Fernunterricht, dem CNED zu Hause unterrichtet.
Das eröffnet neue Perspektiven.
Nachhaltig scheinen diese frühen Jahre den Weg der heutigen Comiczeichnerin
beeinflusst zu haben. Lebendig und hoffnungsvoll erzählt „Nowhere Girl“ nun
von einem schwierigen Coming of Age – mit glücklichem Ausgang. Denn in
dieser Phase des persönlichen Umbruchs entdeckt Magali für sich das
Zeichnen und stößt dabei in der Musiksammlung ihrer Eltern [3][auf eine CD
der Beatles]. Damit sollte sich ihr Leben mit einem Mal gänzlich verändern.
Paralleluniversum als Befreiung
Sie verschlingt jedes Buch und jede Reportage über die 1960 gegründete
Band. Keiner ihrer Freundinnen interessiert sich 1991 [4][noch für diese
Weltstars. Doch John, Paul, George und Ringo] werden für Magali zu
verlässlichen Begleitern in den schwierigen Zeiten ihrer Selbstfindung.
„Komm“, ermutigen die britischen Pilzköpfe das ertrinkende Mädchen, „hi…
gibt es keinen Kummer.“ Wird es im realen Leben künftig für sie beklemmend,
will etwa ihre Mutter über die Menstruation sprechen oder reagieren ihre
Mitschülerin abweisend, dann zieht sich Magali nun einfach in ihr
imaginäres „Yellow Submarine“ zurück.
In anderen Szenen zeichnet sich Le Huche als Kind neben dem CD-Player
liegend, wohlig umhüllt von bunt gestrichelten Soundwolken. Sie erinnert
mit solch starken Bildern an die Jugend. An jenes intensive Erleben von und
mit Musik. An die eigenen ungeordneten, übermächtigen Gefühle, die in dem
einen, zigmal gespielten Song ihren perfekten Ausdruck finden.
25 Nov 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Eva-Christina Meier
## TAGS
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