# taz.de -- Rebellen im Museum: Ungewöhnlich umverteilen | |
> Das spanische Nationalmuseum Reina Sofía will vier historische Kanus von | |
> Zapatisten erwerben. Die Indigenen haben angekündigt, das Geld an die | |
> Flüchtlingshilfe zu spenden. | |
Bild: Frauen an Deck des NGO-Schiffs Open Arms am 22. September im Hafen von Me… | |
Wirklich nachvollziehen konnten die Zapatist*innen das Angebot zunächst | |
nicht. „Aus irgendeinem unverständlichen Grund hat das Museum beschlossen, | |
die Stücke zu kaufen“, schrieben die indigenen Rebell*innen in einem | |
Brief, der jüngst veröffentlicht wurde. „Vielleicht um Sympathien für den | |
anachronistischen Kampf für das Leben zu zeigen?“, fragten sie sich. Wie | |
gewohnt war der Text von einem prosaischen und sarkastischen Stil | |
gezeichnet, den der ehemalige Sprecher des Zapatistischen Befreiungsheers | |
(EZLN), Subcomandente Marcos, geprägt hat. | |
Die Rede ist unter anderem von vier Kanus, bemalt mit Bildern, die vom | |
Leben der Mayas und dem heutigen Alltag in den autonomen zapatistischen | |
Gemeinden im Bundesstaat Chiapas zeugen und die das spanische | |
[1][Nationalmuseum Reina Sofía] erwerben will. Das „Geschwader 421“ – | |
vier Frauen, zwei Männer, eine Transfrau – hatten die Boote mitgebracht, | |
als sie 2021 als Vorhut einer großen EZLN-Delegation über den Atlantik | |
segelten, um sich mit ihren europäischen Verbündeten zu treffen. | |
Bereits jetzt sind die Holzboote sowie ein bestickter Baumwollstoff, ein | |
Gemälde und ein Video in dem Madrider Museum für zeitgenössische Kunst zu | |
sehen. Noch sind die Ausstellungsstücke nicht im Besitz des Hauses, aber | |
die Verhandlungen laufen und man wartet nur noch auf grünes Licht vom | |
Kultusministerium. Von einem Kaufpreis von 25.000 Euro ist die Rede. „Wir | |
hätten uns auf jede Summe eingelassen“, schreiben der EZLN-Sprecher | |
Subcomandante Insurgente Moises und „SupGaleano“, wie sich Marcos heute | |
nennt. Man hätte sogar etwas draufgezahlt, um die Stücke loszuwerden, aber | |
das hätte ihre wirtschaftliche Situation wohl nicht zugelassen, erklären | |
sie. | |
25.000 Euro sind für in armen Verhältnissen lebende Zapatist*innen | |
verdammt viel Geld. Das hält die Rebell*innen nicht davon ab, das Geld | |
der spanischen Organisation Open Arms zu spenden, die mit einem Schiff im | |
Mittelmeer Flüchtlinge und Migrant*innen aus der Seenot rettet. „Wir | |
haben mitbekommen, dass es Menschen gibt, die bei unmenschlichen Handlungen | |
nicht zuschauen können, ohne diese beheben oder lindern zu wollen“, | |
erklären die EZLN-Sprecher ihre Entscheidung. Die Botschaft kam an. „Aus | |
dem kleinen Schützengraben auf hoher See kämpfen wir weiter gegen die | |
mutwillige Tatenlosigkeit derjenigen, die für die Migrationspolitik der | |
Europäischen Union verantwortlich sind“, reagierten die | |
Open-Arms-Aktivist*innen auf die Spende. | |
Solche Aktionen sorgen nicht für Schlagzeilen. Weder in Mexiko noch in | |
Europa. Auch die außergewöhnliche Reise der Zapatist*innen, mit der sie die | |
koloniale Geschichte aus ihrer indigenen Sicht thematisierten, stieß auf | |
wenig Interesse. [2][Während die EZLN auf eine Organisierung „von unten“ | |
setzt, starren viele mexikanische Linke auf den Präsidenten] Andrés Manuel | |
López Obrador, der mit seiner anachronistischen Rückkehr zum | |
paternalistischen Staat jede emanzipatorische, autonome Initiative | |
diskreditiert. | |
Zugleich sind [3][unabhängige Organisationen damit beschäftigt, gegen die | |
ständige Gewalteskalation] ein Minimum an menschenrechtlichen Garantien | |
durchzusetzen. Für experimentelle Visionen bleibt da leider wenig Platz. | |
Dass [4][der Besuch der Indigenen auch in Europa nur in sehr begrenzten | |
Kreisen] wahrgenommen wurde, dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass | |
die Mobilisierung häufig auf diese Zirkel beschränkt war. | |
Schade eigentlich. Trotz ihrer teilweise naiven, von linken Mythen | |
geprägten Analysen zählen die Zapatist*innen zu den wenigen, die durch | |
ihre basisorientierte Vernetzung zuerst jene im Blick haben, die am | |
stärksten unter den herrschenden Verhältnissen leiden. Wohl deshalb haben | |
sie als einzige linke Kraft in Mexiko gegen die russische Intervention in | |
der Ukraine mobilisiert. Und aus demselben Grund haben sie Geflüchtete aus | |
anderen Weltregionen im Blick, wenn es gilt, ungewöhnliche Einnahmen | |
umzuverteilen. | |
28 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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