# taz.de -- Agrarrat berät über Insektenschutz: Licht aus für die Krabbeltie… | |
> Die Anzahl an Insekten schrumpft. Umweltministerin Svenja Schulze will | |
> für ihren Schutz nicht nur Umwelt-, sondern auch die Agrarpolitik | |
> verändern. | |
Bild: Die Lebensräume der Insekten verschwinden unter Äckern und Straßen ode… | |
Raubwanzen und Mistkäfer sind bis in die Politik vorgedrungen. Und auch | |
Schmetterlinge, Wildbienen, Heuschrecken und andere Insektenarten stehen in | |
den Umwelt- und Agrarausschüssen von Bundestag und EU auf der Agenda. Seit | |
Montag tagen die europäischen Landwirtschaftsminister im Agrarrat und | |
beraten die nächste Förderperiode von 2021 bis 2027. Insekten stören die | |
Landwirtschaftspolitiker, doch inzwischen gibt es nur noch so wenige davon, | |
dass das Problem nicht länger ignoriert werden kann. Kurz vor dem Exitus | |
der meisten Arten haben sich SPD und CDU/CSU im Koalitionsvertrag | |
vorgenommen, Insekten zu schützen. | |
Die Lebensräume der Insekten verschwinden unter Äckern, Straßen, | |
Gewerbeparks, Häusersiedlungen, werden mit Pestiziden vergast und mit | |
Dünger vernichtet. „Der langfristige Trend bei 45 Prozent der erfassten | |
Insektenarten ist rückläufig“, schreibt das Bundesamt für Naturschutz. Im | |
Einzelnen stellen die staatlichen NaturschützerInnen fest, dass „96 Prozent | |
der Köcherfliegenarten rückläufig sind“, 52 Prozent der Zikadenarten und 45 | |
Prozent der Laufkäferarten. Das bedeutet: Egal ob sie laufen oder fliegen, | |
im Wasser oder an Pflanzenstengeln heranwachsen – die Anzahl an Insekten | |
schrumpft. | |
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat ein Jahr nach dem Antritt | |
der Großen Koalition ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ in die politische | |
Diskussion gebracht. Zunächst will sie mit [1][Bürgerinnen und Bürgern | |
online] diskutieren und die Vorschläge dann mit ihren KollegInnen aus den | |
Ministerien für Landwirtschaft, Bau, Verkehr und den anderen Ressorts | |
„abstimmen und im Frühsommer 2019 im Kabinett beschließen“. | |
„Wir wissen genug, um zu handeln“, sagt Schulze. Sie will die | |
wissenschaftliche Forschung über Insekten vorantreiben, aber lässt nicht | |
länger gelten, dass das Insektensterben erforscht werden müsse. „Den Umgang | |
mit Pestiziden müssen wir grundlegend ändern – Glyphosat ist das eine, wir | |
haben aber generell ein Problem mit Pflanzenschutzmitteln“, sagt Schulze. | |
In ihrem Aktionsprogramm will sie die Förderung der Landwirtschaft | |
verändern – zum Schutz von Insekten und deren Lebensräumen. Allerdings muss | |
sie dafür erst ihre Kabinettskollegin Julia Klöckner (CDU) gewinnen, die | |
Landwirtschaftsministerin. | |
## Weniger Glyphosat, weniger Gülle | |
Bis Frühjahr 2019 verhandeln die europäischen Agrarpolitiker über die | |
kommende Förderperiode der gemeinsamen Agrarpolitik. Deutschland könnte | |
also jetzt die Geld- und Düngeströme lenken. Schulze will, dass der | |
Naturschutz in der Landwirtschaftsförderung erhalten bleibt – was einige | |
EU-Agrarminister ablehnen. | |
In Deutschland will Schulze zum Beispiel die insektenverträgliche | |
Waldwirtschaft stärken. Kommunen sollen weniger Pestizide verspritzen, | |
weniger Glyphosat soll in Gärten und Äckern landen, weniger Gülle und | |
Stickstoffdünger an Ackerrändern und Gewässern verklappt werden. Als | |
weiteres Problem hat die Ministerin die Lichtverschmutzung ausgemacht. Jede | |
Straßenlaterne und jede Gartenleuchte ist eine Todesfalle für Motten und | |
andere nachtaktive Insekten. | |
Die Naturschutzverbände begrüßen das Aktionsprogramm, halten es jedoch für | |
nicht ausreichend. „Wir unterstützen das Ziel, Veränderungen in den | |
Agrarlandschaften zu erreichen, da Insekten hier ihre höchsten Verluste | |
erleiden. Doch an den Ressortgrenzen zum Bundeslandwirtschaftsministerium | |
schwächelt das Programm“, sagt Undine Kurth, Vizepräsidentin des Deutschen | |
Naturschutzrings. „Statt konkreter Maßnahmen wird auf weiterführende | |
Strategien zur Reduktion von Pestiziden und Stickstoff als Platzhalter | |
verwiesen.“ | |
Kurth und die Naturschutzverbände fordern „einen großen Wurf“, der auch d… | |
Stickstoff aus der Massentierhaltung minimiert. Sie könne das Jammern des | |
Bauernverbands nicht mehr hören, der beständig behaupte, im Einsatz für die | |
Natur zu sein. „Die Begrünung von Ackerrandstreifen ist reine Kosmetik – | |
nur wenn sich in der Fläche etwas ändert, schaffen wir eine Trendumkehr“, | |
sagt Undine Kurth. | |
## Ohne Insekten gibt es kein Leben | |
Unterstützung kommt vom Sachverständigenrat für Umweltfragen und dem | |
Wissenschaftlichen Beirat für Biodiversität des | |
Landwirtschaftsministeriums. In einer [2][gemeinsamen Stellungnahme] | |
fordern die WissenschaftlerInnen „systemische Änderungen“. „Wichtigste | |
Maßnahmen sind die Reduzierung der Einträge von Pflanzenschutzmitteln und | |
Nährstoffen sowie die Anreicherung monotoner Landschaften mit Hecken, Blüh- | |
und Randstreifen.“ Darüber hinaus müsse es „ein gemeinsames, ambitioniert… | |
Handeln“ von Bund und Ländern in allen Ressorts geben. „Es wäre ein Signa… | |
dass die Bundesregierung die dramatische Bestandsentwicklung bei Insekten | |
tatsächlich ernst nimmt und stoppen will.“ | |
„In den vergangenen zehn Jahren sind allein in Deutschland 26 Insektenarten | |
ausgestorben“, sagt Insektenkundler Robert Trusch, Kurator für | |
Schmetterlinge im Naturkundemuseum Karlsruhe. Er wundert sich, dass es so | |
lange gedauert hat, bis ihm jemand zuhört. | |
BiologInnen, ÖkologInnen, alle, die mit offenen Augen und klarem Verstand | |
durch Wald und Landschaft laufen, berichten seit Jahrzehnten vom | |
Verschwinden der Insekten und damit der Frösche, Molche und Singvögel. Denn | |
Insekten bilden die Nahrungsgrundlage für eine ganze Reihe von Tieren. Ohne | |
Insekten gibt es kein Leben. Das Forschungsministerium hält [3][das | |
Artensterben] mittlerweile für ein größeres Problem als den Klimawandel. | |
15 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://dialog.bmu.de/dito/explore?action=startpage&id=90 | |
[2] https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2016_202… | |
[3] /Essay-zum-Artensterben/!5505320 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Fokken | |
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