# taz.de -- Vor Biodiversitätskonferenz in Ägypten: „Dort geht es um uns!“ | |
> Die Biodiversität ist bedroht. Darum sorgen sich nicht nur | |
> Wissenschaftler und Politiker. Auch ein Rebhuhn und ein Grashalm machen | |
> sich Gedanken. | |
Bild: Was denken Rebhuhn und ein Grashalm, beide vom Aussterben bedroht, über … | |
taz am wochenende: Nächste Woche treffen sich in Ägypten die | |
Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention, der CBD. Frau Huhn, Sie sind | |
fast aus Deutschland verschwunden – hoffen Sie auf Schutz durch die CBD? | |
Rebhuhn: Die CBD? Von der erhoffe ich mir schon lange nichts mehr. | |
Ackerfuchsschwanz: Ich schon, da geht’s ums Eingemachte. | |
Herr Gras, Sie sind ein weit verbreitetes Unkraut. Was interessiert Sie an | |
der Konferenz? | |
Ackerfuchsschwanz: Dort geht es um die Rechte an Erbinformationen, um neue | |
Methoden, das Erbgut zu manipulieren. Dort geht es um mich! | |
Wieso? | |
Seit Jahrzehnten spritzen Bauern Gifte auf die Felder, damit wir von dort | |
verschwinden. Schon mal was von Glyphosat gehört? Ein übles Zeug, das ist | |
in Mitteln wie Roundup von Bayer. Wir haben aber Gegenmaßnahmen ergriffen. | |
Wir sind resistent geworden. Wir können uns wunderbar ausbreiten, auch wenn | |
die Landwirte spritzen. Darum nennt man uns auch Superweeds. Uns kann | |
keiner mehr was. | |
Wo ist dann Ihr Problem? | |
Biotechnologen arbeiten daran, das Erbgut gezielt zu verändern. Im Erbgut | |
einer Pflanze oder einer Mücke etwa wird ein spezielles Gen manipuliert, | |
zum Beispiel mit CRISPR/CAS. | |
Rebhuhn: Wovon reden Sie da eigentlich? | |
Ackerfuchsschwanz: Das sind neue Gentechnikmethoden. Mit CRISPR/CAS | |
tauschen oder verändern die Forscher einzelne Gene in unserem Erbgut. So | |
könnten sie das Gen, das uns resistent gegen Glyphosat macht, abschalten. | |
Klar, das Verfahren nennt man auch Genschere. Das wird doch weltweit in | |
vielen Laboren praktiziert, etwa, um Reis resistent gegen bestimmte | |
Krankheiten zu machen. In Europa ist das streng reguliert, das fällt unter | |
das Gentechnikrecht. | |
Ackerfuchsschwanz: Ja, noch! Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner will | |
CRISPR/CAS aus der Gentechnikregulierung herausnehmen. Aber es kommt noch | |
dicker. Die Chemieindustrie will uns vernichten! | |
Wie denn? | |
Zuerst schalten sie bei einem von uns das Gen, das uns resistent gegen | |
Glyphosat macht, aus. Dann entlassen sie den Schwächling aus dem Labor. Auf | |
dem Acker verbreitet der sich schneller, als es die natürlichen | |
Vererbungsregeln erlauben. Das ist „Gen Drive“ – künstliche Gene veränd… | |
Populationen in der Natur. Da können Sie Ihren Mendel aus dem Biounterricht | |
vergessen … | |
… und aus ist es mit dem Superweed … | |
… uns können sie dann wieder mit Roundup vergiften. Bislang reden Forscher | |
und Industrie lieber darüber, dass sie so Malaria oder Schädlinge ausrotten | |
können. Klingt erst mal gut, doch die Nebenwirkungen kennt niemand. | |
Gen Drive ist doch verboten. Man darf gentechnisch veränderte Organismen | |
nur dann freisetzen, wenn man ihre Ausbreitung kontrollieren kann. | |
Zumindest legt das das Cartagena-Protokoll nahe, ein Folgeprotokoll des | |
CBD. | |
Ackerfuchsschwanz: Es gibt aber eine starke, reiche Lobby für Gen Drive, | |
Bill Gates etwa. Darum ist diese Konferenz in Ägypten ja so wichtig. Dort | |
diskutieren die Staaten ein Moratorium für Gen Drive; und sie wollen | |
offenlegen, wer in dieser Diskussion welche Interessen verfolgt. | |
Rebhuhn: Und? Wer verfolgt welche Interessen? | |
Ackerfuchsschwanz: Die EU, Bolivien, Ruanda und viele andere | |
Entwicklungsländer treten für weitergehende Regulierungen ein. Kanada und | |
Brasilien fordern mehr Freiheiten für Forschung und Unternehmen der | |
Biotechnologie. | |
Wissenschaftler arbeiten auch daran, ganz neue biologische Systeme zu | |
schaffen. Zum Beispiel Bakterien, die ein bestimmtes Enzym herstellen. Sie | |
nennen das „synthetische Biologie“. Ist das reine Zukunftsmusik? | |
Ackerfuchsschwanz: Nein. Der US-Forscher Craig Venter hat ein künstliches | |
Bakterium aus nur 473 Genen gebaut. Die Biotechnologiebranche will, dass | |
diese neuen Methoden nicht als Gentechnik bezeichnet werden sollen – es | |
wurden ja keine zusätzlichen Gene eingebaut. So fallen sie aus der | |
Regulierung. | |
Rebhuhn: Also echt, ich habe ganz andere Sorgen. Uns gibt es kaum noch! | |
Wissen Sie, um wie viel Prozent unser Bestand in Europa in den letzten | |
Jahrzehnten zurückgegangen ist? 94 Prozent! Entschuldigung, noch 6 drauf, | |
und wir sind weg! Es gibt noch 50.000 Brutpaare von uns in Deutschland. | |
Dann sind die „Aichi-Ziele“ der CBD überlebenswichtig für Sie. Die wurden | |
vereinbart, um Vögel wie Sie zu schützen. | |
Rebhuhn: Na toll. Waren Sie mal auf der Website [1][www.biodiv.de]? Da | |
steht alles über die CBD und ihre Ziele. Von 2000 bis 2010 hatten sich die | |
Mitgliedsstaaten das Ziel gesetzt, „den Verlust der biologischen Vielfalt | |
signifikant zu verlangsamen, musste aber eingestehen, dass dieses Ziel | |
nicht erreicht wurde“. Dann haben sie sich neue Ziele gesetzt, die | |
„Aichi-Ziele“. Eines davon war, den Zustand der biologischen Vielfalt durch | |
Sicherung der Ökosysteme und Arten sowie der genetischen Vielfalt zu | |
verbessern. Klingt kompliziert, ist aber einfach: Die wollten unsere | |
Lebensräume retten, damit wir eine Chance kriegen. Aber gemacht haben sie | |
nichts. | |
Doch. Es wurden deutlich mehr Schutzgebiete ausgewiesen, und die | |
nachhaltige Landwirtschaft wurde auch gefördert. Mittlerweile wissen auch | |
viel mehr Menschen, dass das Artensterben ein Problem ist – das war ja auch | |
ein „Aichi-Ziel“. | |
Rebhuhn: Das nutzt alles nichts, wenn die Landwirtschaft so bleibt, wie sie | |
ist. Ihre Schutzgebiete sind ja schön und gut, aber es bringt nichts, wenn | |
sie alles drum herum überdüngen und totspritzen. Was sollen wir fressen, | |
wenn die Insekten weg sind und keine Kräuter mehr wachsen? Außerdem | |
brauchen wir Rebhühner Brachflächen, Hecken und Feldraine zum Brüten. Aber | |
das machen sie alles weg, für aufgeräumte Ackerflächen, um mit ihren | |
riesigen Landmaschinen drüberfahren zu können. Und wissen Sie, wer kommt, | |
wenn die weg sind? Füchse! | |
Ackerfuchsschwanz: Ich kann Ihnen da nur zustimmen. Die Landwirtschaft ist | |
das größte Problem. Die Grünen haben am Freitag im Bundestag sogar | |
gefordert, ein „Biodiversitäts-Nothilfeprogramm“ aufzulegen, um die | |
Artenschutzziele hierzulande zu erreichen. Ist aber abgelehnt worden. | |
Rebhuhn: War ja klar. Darum interessiere ich mich auch nicht für die | |
Konferenz. Immer wenn es ernst wird, setzt sich doch die Agroindustrie | |
durch. Aber das Moratorium für Gen Drive, das gönne ich Ihnen natürlich. | |
Ackerfuchsschwanz: Danke. | |
Frau Huhn, Herr Gras, wir danken für das Gespräch. | |
16 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.biodiv.de/ | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
## TAGS | |
Biodiversität | |
Artensterben | |
Artenvielfalt | |
Tierschutz | |
Umweltschutz | |
Frosch | |
Ägypten | |
Artenschutz | |
Insektensterben | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Insektensterben | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gefährdeter Frosch aus Bolivien: Quakender Bachelor im Liebesglück | |
10 Jahre lang glaubten Biolog*innen, der Sehuenca-Frosch Romeo sei der | |
letzte seiner Art. Bis man seine Julia im bolivianischen Wolkenwald fand. | |
Großes Ägyptisches Museum in Gizeh: Die sechs Streitwagen Tutenchamuns | |
Das neue Große Ägyptische Museum soll 2020 eröffnen. Zu der altägyptischen | |
Sammlung zählen 20.000 Artefakte, die erstmals öffentlich gezeigt werden. | |
Biodiversitätskonferenz in Ägypten: Neue Regeln für Gentechnik | |
Betroffene Indigene müssen künftig gefragt werden. Sonst hat die Konferenz | |
zum Artenschutz viel gestritten – und wenig geregelt. | |
Agrarrat berät über Insektenschutz: Licht aus für die Krabbeltiere | |
Die Anzahl an Insekten schrumpft. Umweltministerin Svenja Schulze will für | |
ihren Schutz nicht nur Umwelt-, sondern auch die Agrarpolitik verändern. | |
Studie über meistverkauftes Pestizid: Risiken für Bienen durch Glyphosat | |
Der Unkrautvernichter schädige die Darmflora der Insekten – und macht sie | |
so anfälliger für Infektionen, sagen US-Forscher. | |
Insektensterben betrifft auch Ameisen: Auge in Auge mit der Waldameise | |
Für das Ökosystem sind Ameisen extrem wichtig. Doch wie die Bienen sind | |
viele Arten gefährdet – zu Besuch bei einem Ameisenforscher. |