# taz.de -- Mehr Ökologie in der Landwirtschaft: Naturschutz auf Kirchenäckern | |
> Die Kirchen verpachten viel Land an Bauern. Eine evangelische Gemeinde in | |
> Schleswig-Holstein zeigt, wie Artenschutz auf den Feldern gelingt. | |
Bild: Maria-Magdalenen-Kirche in Berkenthin: Die Evangelische Gemeinde will Ök… | |
Zwischen Wiesen und Feldern am Elbe-Lübeck-Kanal liegt malerisch das Dorf | |
Berkenthin mit 2.000 Einwohnern. Hier ist man traditionell protestantisch. | |
Mitten im Dorf steht die Kirche, schlichter romanischer Bau aus rotem | |
Backstein, der innen mit einem üppig bunten Barockaltar überrascht. Der | |
Kirchengemeinde gehören auch 48 Hektar Ackerland. Dieses Land wird | |
plötzlich viel beachtet. Früher hatte man es einfach immer an | |
Bauernfamilien aus der Gemeinde verpachtet. Jetzt, [1][in Zeiten des | |
Artenschwunds], will die Kirche, dass auf ihren Äckern und Wiesen endlich | |
etwas geschieht für den Naturschutz. Aber die Wende zu mehr Ökologie auf | |
den Feldern ist nicht einfach. | |
Überall in Deutschland wird die Forderung laut: Die Kirchen sollen nicht | |
nur über die Bewahrung der Schöpfung predigen. Um glaubwürdig zu sein, | |
müssen sie dafür sorgen, dass auf dem Land, das ihnen gehört, entsprechend | |
gehandelt werde. | |
Land und Landwirtschaft gehören traditionell zur Kirche. Die | |
„Pfarrpfründe“, einige Hektar Land in der Nähe des Pfarrhauses, | |
bewirtschaftete man früher selbst. Als es noch keine Besoldung mit Geld | |
gab, war dieser Ertrag des Pfarrers Lohn. | |
Dazu kamen Erbschaften und Stiftungen, die den kirchlichen Landbesitz | |
vermehrten. In Deutschland gehören der katholischen Kirche 200.000 Hektar, | |
der evangelischen Kirche 300.000 Hektar Wiesen, Wald und Felder. Zusammen | |
sind das 3 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen, die in Deutschland | |
bewirtschaftet werden. Das ist eine relevante Größe. | |
## Erheblicher Ärger drohte | |
Das Land gehört in der Regel den Kirchengemeinden. Sie verpachten es an | |
Bauern, die als Pächter entscheiden, wie sie es bewirtschaften. Wenn die | |
Kirchen durchsetzen wollen, dass auf ihrem Land ein ökologischer Mehrwert | |
erwirtschaftet wird, begeben sich ihre Vertreter in der Gemeinde mitten | |
hinein in Konflikte um knappes Ackerland, Landwirtschaft und Naturschutz. | |
So auch in Berkenthin: Jahrzehntelang hatte die Kirche an die gleichen | |
konventionell wirtschaftenden bäuerlichen Betriebe verpachtet. Mitglieder | |
dieser Bauernfamilien sitzen mit im Kirchenvorstand, der über die | |
Pachtverträge zu entscheiden hat. Die Bauernfamilien spielen eine wichtige | |
Rolle im sozialen Leben des Dorfs. Während die einen im Berkenthiner | |
Kirchenvorstand nichts ändern wollten, forderten andere, ab sofort nur noch | |
an Biobauern zu verpachten. Es drohte erheblicher Ärger. | |
In der Nordkirche, zu der die Gemeinde in Berkenthin gehört, bietet der | |
Agraringenieur Ulrich Ketelhodt, Fachreferent für Landwirtschaft und | |
Ernährung, in solchen Fällen Beratung an. Aus Erfahrung weiß er: „Der | |
Friede auf dem Dorf ist für alle Beteiligten sehr wichtig. Treue zum | |
Pächter ist deshalb ein wichtiges Kriterium bei der Verpachtung. Aber | |
selbstverständlich nicht auf Gedeih und Verderb.“ Bereits im ersten | |
Beratungsgespräch mit dem Kirchenvorstand wurde klar: Die Beteiligten | |
wollten im Dialog eine Lösung finden. „Es ist nicht sinnvoll, Vorschriften | |
machen zu wollen“, sagt Ketelhodt. „Wenn ein einziger Bauer opponiert, | |
schließen sich die anderen aus Solidarität an, es entsteht eine Front. | |
Lasst uns schauen, was die Bauern freiwillig machen.“ Tatsächlich ist die | |
Kündigung der alten Pachtverträge fast nie eine Option. | |
Meistens ist auch kein Biobauer vor Ort, an den man das Land neu verpachten | |
könnte. Und die [2][Betriebe mit konventioneller Landwirtschaft] können | |
ihre Kirchenäcker nicht einfach auf Biolandwirtschaft umstellen. Weder sind | |
sie dafür qualifiziert, noch haben sie die Möglichkeit, einen Teil ihrer | |
Produkte im rentableren Biosektor zu vermarkten. | |
## Ökoprogramme der Jamaika-Regierung | |
„Sehr spannend“ sei das erste Treffen mit den sieben Pächtern des | |
Berkenthiner Kirchenlands verlaufen, berichtet Pastor Wolfgang Runge, seit | |
25 Jahren im Dienst in Berkenthin. Er und Ketelhodt achteten darauf, dass | |
man sich mit Respekt begegnete und jeder zu Wort kam. Schon bald sagten die | |
Bauern: „Wir verstehen, dass Sie was tun wollen für die Bewahrung der | |
Schöpfung.“ Agraringenieur Ketelhodt, auch Vorsitzender des Evangelischen | |
Dienstes auf dem Land der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), kennt | |
die Ökoprogramme der [3][Jamaika-Regierung in Schleswig-Holstein]. | |
Der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) hat vom Land den Auftrag, | |
Landwirte über diese Ökoprogramme kostenfrei zu beraten. Schließlich | |
einigten sich die drei Seiten Kirche, DVL und Landwirte: Die Knicks, | |
natürlicher Windschutz aus dichten Hecken und Lebensraum für Vögel, werden | |
erweitert. Außerdem legen die Landwirte Blühstreifen und grüne Ackersäume | |
an. Sie verwenden dafür teures regionales Saatgut, bezahlt vom DVL. Für | |
diese Leistungen gibt die Kirchengemeinde den Bauern Pachtverträge, die ein | |
Drittel günstiger sind als auf dem Markt derzeit üblich. | |
Damit wird auf dem Kirchenland zwar weiterhin konventionell gewirtschaftet. | |
Aber es gibt nennenswerte ökologische Ausgleichsmaßnahmen, die vor allem | |
die Artenvielfalt fördern. Außerdem wurden die Bauern durch die Initiative | |
der Kirche aufmerksam auf die Vorteile, die diese Ökoprogramme ihnen | |
bieten, und wollen sie mittlerweile auch auf Äckern umsetzen, die nicht der | |
Kirche gehören. | |
Solche Erfolge zeigen jedoch auch: Allein auf sich gestellt sind | |
Kirchengemeinden mit der konfliktträchtigen, fachlich und juristisch | |
komplizierten Wende hin zu mehr Naturschutz überfordert. Sie brauchen | |
Unterstützung von ihren Landeskirchen und auch aus der Politik. Dies gilt | |
auch für die katholische Kirche. Hier werden die Pachtverträge jedoch | |
meistens zentral vom Bistum verwaltet, sodass die einzelnen Gemeinden und | |
Kirchenvorstände oft kaum wissen, was auf ihrem Land geschieht. | |
## Mächtiges Agrobusiness | |
Die größte evangelische Kirche in Deutschland, die Hannoversche | |
Landeskirche, steht noch ganz am Anfang. Nachdem der Druck von der Basis | |
zunimmt, strebt man hier einen „Agrardialog“ an zwischen Kirche, | |
Bauernverbänden und Naturschützern. | |
Aber in Niedersachsen, dem Gebiet der Hannoverschen Landeskirche, ist das | |
Agrobusiness mächtig. Kirchenvertreter werden schon mal als „ökologische | |
Spinner“ bezeichnet, wenn sie mehr Umweltschutz auf den Agrarflächen | |
fordern. | |
Am weitesten ist die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau. Hier | |
unterstützt man Kirchengemeinden seit Langem, zum Beispiel mit | |
Veranstaltungen zum Thema „Kirchenland ist Bodenschatz“, bei denen die | |
Agraringenieurin Maren Heincke zusammen mit einem Juristen und einem | |
Mitglied der kirchlichen Verwaltung über Land fährt. Heincke hat viel | |
Erfahrung mit der hochemotionalen Gemengelage vor Ort, wenn auf den Feldern | |
etwas verändert werden soll: Einige der Pächter behaupteten, die Kirche | |
verpachte nur noch an Ökobauern, und drohten mit Kirchenaustritt. Dann, so | |
die engagierte Kirchenfrau, müsse man „gegenhalten und etwas komplexere | |
Information an den Mann bringen.“ | |
2 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!5543981&s=Artensterben/ | |
[2] /Archiv-Suche/!5475721&s=Bauernlobby/ | |
[3] /!5504003/ | |
## AUTOREN | |
Gunhild Seyfert | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft | |
Landwirtschaft | |
Kirche | |
Online-Petition | |
Landwirtschaft | |
WWF | |
Landwirtschaft | |
Artensterben | |
Insektensterben | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Petition der Woche: Ausnahmsweise ein Herz für Tauben | |
Durch die Coronakrise fehlt den Tauben in der Stadt die Nahrung. Eine | |
Petition fordert nun Futterstellen für die Vögel. | |
Umstellung auf Biolandwirtschaft: Schwieriger Wechsel | |
Ökolandwirt zu sein, ist schön, doch die Umstellung ist nicht so einfach. | |
Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass die Nachfrage stagniert. | |
WWF-Studie zum Artenschutz: Im Wald fehlen die Räuber | |
Seit 1970 hat sich weltweit der Wirbeltierbestand in Wäldern halbiert. Die | |
Gründe: Verlust von Lebensräumen, Krankheiten, Klimawandel. | |
Agraratlas und Ernährungsreport: Menschen wollen Ökolandwirtschaft | |
Deutsche wollen mehr artgerechte Tierhaltung und Bauern, die nachhaltiger | |
wirtschaften. Die EU-Politik sei „ungerecht und ineffektiv“. | |
Kommentar weltweites Wildtiersterben: Die Lethargie muss enden | |
Um dem Artensterben entgegenzuwirken müssen die Sanktionen für Wilderer | |
steigen. Und unser Fleischkonsum muss schnell sinken. | |
Agrarrat berät über Insektenschutz: Licht aus für die Krabbeltiere | |
Die Anzahl an Insekten schrumpft. Umweltministerin Svenja Schulze will für | |
ihren Schutz nicht nur Umwelt-, sondern auch die Agrarpolitik verändern. | |
Sommertour von Svenja Schulze: Glanz und Elend der Ökorepublik | |
Bundesumweltministerin Svenja Schulze inspiziert ihre Aufgabengebiete | |
Klima, Artenschutz und Abfall. Eine Tour der Widersprüche. |