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# taz.de -- Ackergifte in der EU: Ignoranz beim Bienenschutz
> Allein in Deutschland sind über 224 Wildbienenarten gefährdet. Dennoch
> wollen viele EU-Länder die Regeln für Pestizidzulassungen verwässern.
Bild: Kein Herz für Bienen – Umweltschützer kritisieren die Haltung der Bun…
Berlin taz | Die meisten EU-Länder wollen, dass bei der Pestizidzulassung
die Risiken für Bienen laxer geprüft werden als von der zuständigen
Fachbehörde empfohlen. 18 Mitgliedstaaten seien dafür, die
„Bienenleitlinien“ von 2013/2014 der Europäischen Lebensmittelbehörde
(Efsa) nur teilweise anzuwenden, teilte die EU-Kommission mit. Sie ist
einer Stellungnahme für die taz zufolge zuversichtlich, dass die Länder
über eine entsprechende Beschlussvorlage bis „Ende des ersten Halbjahres“
abstimmen könnten. Das bedeutet: Brüssel hält offenbar die nötige Mehrheit
für einen Kompromiss gesichert, der Chemiekonzernen wie der Bayer AG weit
entgegenkommt.
In dem Beschlussentwurf ist die Vorgabe der Efsa-Experten gestrichen,
ausführlich zu prüfen, wie die Gifte sich auswirken, wenn Honigbienen mit
den Chemikalien über längere Zeit oder wiederholt in Kontakt kommen. Wie
bisher solle lediglich die akute, nicht die chronische Giftigkeit bei der
Zulassung überprüft werden. Auch ob die Mittel Larven von Honigbienen
gefährden, soll immer noch keine Rolle spielen. Auswirkungen auf Hummeln
und Solitärbienen sollen nur möglicherweise später untersucht werden.
Bienen liefern nicht nur Honig, sondern bestäuben auch die meisten
Pflanzen. Zwar leben hierzulande laut Deutschem Imkerbund seit ungefähr
zehn Jahren immer mehr Honigbienen, weil es mehr Imker gibt. Auch die
Winterverluste – die Zahl der Bienen, die im Winter sterben – nehmen im
langjährigen Mittel nicht zu. Aber von den in Deutschland vorkommenden 561
Wildbienenarten sind laut Bundesamt für Naturschutz [1][mehr als 40
Prozent] in ihrem Bestand gefährdet. Eine Ursache sind Pestizide, die die
Insekten vergiften können.
Ob Ackergifte Bienen schädigen können, müssen in der EU vor der Zulassung
die Efsa und die Mitgliedstaaten prüfen. Wie sie dabei vorgehen sollen,
empfahlen Efsa-Experten 2013 in ihrer sogenannten [2][Bienenleitlinie, die
die alten Regeln von 2002 ersetzen]. Die Efsa hat die neuen Kriterien vor
allem bei drei ursprünglich erlaubten Insektengiften angewendet: bei den
Wirkstoffen Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam aus der Gruppe der
Neonikotinoide. Prompt stellte die Behörde fest, dass die in der Praxis
vorkommenden Mengen dieser Pestizide Bienen vergiften können. Daraufhin hat
die EU im April 2018 beschlossen, die Stoffe im Freiland zu verbieten.
## Chemiekonzern Bayer macht Druck
Bauernverbände und allen voran der Chemiekonzern Bayer, der zwei der drei
Neonikotinoide herstellt, protestierten vehement. Jetzt will die Lobby
verhindern, dass die strengen Bienenleitlinien auch auf andere Pestizide
angewendet werden. Bayer brandmarkte die von der Efsa aufgestellten Regeln
als „nicht praktikablen Leitlinienentwurf“. „Dieser macht es unmöglich,
Freilandstudien durchzuführen, [3][ohne dabei Risiken] zu finden“, beklagte
sich das Leverkusener Unternehmen und machte wie Konkurrenten Druck bei
EU-Regierungen.
Ergebnis: „Das Efsa-Bienenleitliniendokument ist von vielen Mitgliedstaaten
kritisiert worden“, wie der zuständige EU-Kommissar für Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis, in einem Brief an 100
Europa-Abgeordnete schreibt. Schon fünf Jahre lang würden sie vor allem die
neue Überprüfung der chronischen Gifitigkeit blockieren.
Deshalb habe die Kommission nun vorgeschlagen, erst einmal die unstrittigen
Teile der Leitlinie anzuwenden: Demnach soll anders als bisher
berücksichtigt werden, wie Bienen auf das Gift reagieren, wenn damit
Saatgut ummantelt worden ist. Die Regeln über die chronische Giftigkeit und
die Risiken für Hummeln und Solitärbienen aber soll die Efsa den meisten
EU-Ländern zufolge überarbeiten, bevor sie in Kraft treten, so der
Kommissar weiter. Ein Datum nennt er nicht – diese Punkte sollen also bis
auf weiteres verschoben werden.
## Alte Leitlinie dominiert weiter
Damit bleibt es im wesentlichen bei den Regeln der alten Leitlinien. Das
Ergebnis der jetzt vorgeschlagenen Methode sei „sehr ähnlich“ dem der
bisherigen, schreibt der Verband der europäischen Pestizidhersteller (Ecpa)
in einer [4][Stellungnahme für die EU]. Dabei EU-Kommissar Andriukaitis
räumt in einem Brief an Greenpeace ein: „Es ist Konsens unter Forschern,
dass die dem früheren Leitliniendokument zugrundeliegende Wissenschaft …
veraltet ist.“ Die alten Regeln würden zum Beispiel die nichttödlichen
Effekte der Mittel, also etwa langfristige, außer Acht lassen.
„Wir lehnen das Vorgehen der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten ab“,
sagt die Politikerin Maria Heubuch, die für die Grünen im
Landwirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments sitzt, der taz. „Die
EU muss Pestizide nach dem letztem Stand der Wissenschaft beurteilen.“
Deshalb müsse auch die chronische Giftigkeit und die Toxizität für Larven
sowie Wildbienen geprüft werden.
Umweltschützer machen neben Bremsern wie Großbritannien oder die
Niederlande Deutschland dafür verantwortlich, dass Bienen nicht so gut wie
nötig geschützt werden. „Die Bundesregierung hat sich nicht vehement genug
für die Bienenleitlinie in ihrer ursprünglichen Fassung eingesetzt“,
kritisiert Franziska Achterberg, Lebensmittelexpertin von Greenpeace.
Zwar geben sowohl das Agrarministerium von Julia Klöckner (CDU) als auch
das Umweltressort von Svenja Schulze (SPD) an, dass sie die strengeren
Prüfvorgaben wollten. Aber mehr als der jetzt angestrebte Kompromiss lasse
sich eben bei den meisten anderen EU-Ländern nicht durchsetzen. „Die
Aussage, dass man sich hier in EU-Kompromisse schicken müsse, ist ein
Armutszeugnis“, sagt Achterberg dazu. „Bei Fragen der Automobilindustrie
ist die Bundesregierung ja weit weniger konziliant.“
23 Apr 2019
## LINKS
[1] https://www.bfn.de/presse/pressemitteilung.html?no_cache=1&tx_ttnews%5B…
[2] https://www.efsa.europa.eu/de/press/news/130704
[3] https://www.media.bayer.de/baynews/baynews.nsf/id/EFSA-Schlussfolgerungen-r…
[4] https://www.ecpa.eu/sites/default/files/document_policy/28028_ECPA%20Propos…
## AUTOREN
Jost Maurin
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