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# taz.de -- Kampf gegen Bienensterben: Detox auf dem Acker
> Beim Glyphosat missachtete CSU-Minister Schmidt die Einigung mit der SPD.
> Nun müssen die Parteien erneut verhandeln, um Insekten zu schützen.
Bild: Summt immer seltener: die Honigbiene
Ohne die Biene, die unermüdlich Blüte um Blüte von Apfelbaum, Kürbis,
Stachelbeere und so fort bestäubt, geht es nicht. Das ist für Peter Maske
klar. Der Vorsitzende des Deutschen Imkerbundes sagt am Rande der
weltgrößten Agrarmesse Grüne Woche in Berlin: „Neben Rind und Schwein gilt
sie als eines der drei wichtigsten Nutztiere.“
Vor allem für vitaminreiche Nahrung, für Obst und Gemüse spiele sie eine
entscheidende Rolle, sie sei damit ein gigantischer Wirtschaftsfaktor. Der
Wert ihrer Arbeit werde allein für Deutschland auf gut zwei Milliarden Euro
pro Jahr geschätzt.
Maske streicht die Bedeutung der Biene nicht so heraus, um für seinen Honig
zu werben. Er will Druck machen auf Union und Sozialdemokraten, ein
Versprechen einzuhalten. Denn CDU, CSU und SPD kündigten in ihren
Sondierungsgesprächen an, Insekten besser zu schützen.
Erst vor Kurzem hatten Forscher einen massiven Schwund von Bienen, Hummeln
und anderen Insekten in Deutschland ausgemacht. Noch bevor die neue große
Koalition auch nur theoretisch stehen kann, müssen die Parteien nun
entscheiden, wie ernst sie das Problem wirklich nehmen. Die Frage: Stimmen
sie schon Mitte März in der EU für ein Verbot von
Insektenvernichtungsmitteln, die für Bienen extrem giftig sind, von
Landwirten aber als wichtig für ihre Arbeit eingeschätzt werden?
Es geht um Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam. Die drei
Insektizide gehören zur Gruppe der Neonikotinoide, kurz: Neonics. Laien
sagen die sperrigen Namen zumeist wenig. Die Entscheidung ist aber brisant.
## Nur Glyphosat wird häufiger genutzt als Neonics
Denn Bauern bringen nur einen Stoff noch häufiger auf den Acker: das
umstrittene Glyphosat, das anders als die Neonics nicht tierische Feinde
wie Blattläuse, Drahtwürmer, Kartoffelkäfer tötet, sondern Unkraut. Wegen
seiner Zulassung stritten sich vor Kurzem CSU-Agrarminister Christian
Schmidt und SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks. Er stimmte dann gegen
ihr Nein in Brüssel mit Ja und verstieß damit gegen die Regeln der
Regierung. Es war ein Eklat.
Landwirte kennen die Neonics – mit denen der Bayer-Konzern aus Leverkusen,
Syngenta aus der Schweiz und andere zusammen mittlerweile weltweit einen
Umsatz von 1,5 Milliarden US-Dollar machen – seit Anfang der 90er Jahre.
Damals brachte Bayer mit Imidacloprid das erste Mittel dieser Art auf den
deutschen Markt. Es gilt seitdem als besonders hochwirksames Mittel.
Also spritzen die Bauern ihre Apfelbäume, ihren Hopfen, ihre Kartoffeln mit
der Chemie. Vor allem kaufen sie auch Mais- und Rapssaatgut, das bereits
mit dem Gift ummantelt ist. Beim Wachsen verteilt es sich von selbst
überall in der Pflanze, im Stängel, im Blatt, in der Blüte. Es ist ein
vorsorglicher chemischer Schutz für den Fall, dass Schädlinge kommen. Die
Neonics finden großen Absatz.
Doch dann sterben im baden-württembergischen Rheintal plötzlich massenhaft
Bienen, rund 12.000 Völker. 2008 war das. Die Ursache findet sich schnell:
Mais-Saatgut, das großzügig mit einem Neonikotinoid behandelt worden war.
Als die Landwirte das auf ihren Äckern ausbrachten, bildete sich eine Wolke
aus Staub und Insektengift, die sich großräumig verteilte.
## Neonics wirken wie ein Nervengift
Erstmals wird in Deutschland offensichtlich: Neonics entfalten ihre
tödliche Wirkung nicht nur gegen lästige tierische Feinde, sondern auch
gegen Bienen. Dann wird eine Untersuchung bekannt, nach der die Mittel
5.000 bis 10.000 Mal tödlicher für Bienen sind als das hochgiftige DDT, das
in der Bundesrepublik Deutschland schon seit 1977 verboten ist. Spätestens
jetzt fordern Umweltschützer den Stopp der Insektengifte, eine Art Detox
auf dem Acker. Wissenschaftler bringen fortan Studie um Studie raus.
„Neonics wirken wie ein Nervengift“, erklärt die Agraringenieurin Susan
Haffmans. Sie verfolgt die Forschungen seit Jahren für das
Pestizid-Aktions-Netzwerk, das auf Gefahren von Ackergiften aufmerksam
macht. „Schon kleine Dosen des Mittels bringen das Gehirn einer Biene und
ihre Navigation durcheinander. Sie findet nicht mehr so leicht in ihren
Stock zurück, den sie eigentlich bis zu zehnmal am Tag verlässt, um dann in
einem Radius von bis zu sechs Kilometern Blüten anzufliegen“, sagt sie. Das
schwäche. Mache anfällig. Es gehe dabei nicht um große Mengen. „Weniger als
zwei Milliardstel Gramm sind für die Biene schon tödlich.“ Auch Hummeln,
Schmetterlinge und andere Tiere seien betroffen.
Da die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, schon Anfang
des Jahres 2013 ein „hohes, akutes Risiko“ für Bienen durch Imidacloprid,
Clothianidin und Thiamethoxam bestätigte, schränkte die EU-Kommission den
Einsatz schon vor gut vier Jahren ein. Für Kleingärtner dürfen die drei
Mittel seither gar nicht mehr angeboten werden. Vor allem aber darf – neben
anderen Einschränkungen – das Raps- und Maissaatgut für Landwirte nicht
mehr mit der Chemie behandelt werden.
Christian Maus, Forschungsleiter des „Bee Care Center“ bei Bayer in Monheim
am Rhein, hält die Einschränkungen für „ungerechtfertigt“, auch für
„wissenschaftlich fragwürdig“. Sie hätten in manchen europäischen Lände…
zu Ernteausfällen etwa bei Raps und Mais geführt. Es mangele auch an
Alternativen.
Die EU-Kommission schreckt das Argument allerdings nicht. Nach ihren Daten
ist die Rapsernte 2017 im Vergleich zum Jahr zuvor insgesamt sogar um 1,7
Millionen Tonnen auf 21,8 Tonnen gestiegen. Die Brüsseler Behörde schlägt
vor, den Gebrauch der drei Insektenvernichter in der freien Natur komplett
zu verbieten und ihn nur noch im Gewächshaus zuzulassen. Hendricks erklärt
öffentlich, dass sie das „genau richtig“ findet. Die Abstimmung, die für
Dezember geplant war, ist aber auf Mitte März geschoben. Schmidt will sich
noch nicht positionieren, sondern ein neues Gutachten der EFSA abwarten.
Während die Politik noch diskutiert, entwickelten die Hersteller längst
Ersatz-Neonikotinoide, warnt der Grünen-Agrarpolitiker Harald Ebner. Das
Verbot der drei schädlichsten Mittel sei aber „ein wichtiger erster
Schritt“. Er verweist auf Frankreich. Die Regierung dort hat sich für eine
nationale Regelung entschieden. Danach sind ab September 2018 alle
Neonikotinoide draußen verboten, mit ein paar Ausnahmen bis 2020. Ebner:
„Daran sollte sich die neue Bundesregierung ein Beispiel nehmen.“
29 Jan 2018
## AUTOREN
Hanna Gersmann
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Bienen
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Schwerpunkt Pestizide
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