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# taz.de -- Grüne und Gewerkschaften einig in Kritik: „Zusammen den Widerspr…
> In ihrem Unmut über die Regierung sind sich Verdi-Chef Frank Werneke und
> Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang einig. Aber einen Dissens haben sie doch.
Bild: Ricarda Lang im Gespräch mit Frank Werneke, dem Vorsitzenden der Gewerks…
taz: Frau Lang, in der Grünen-Fraktion sind Sie seit diesem Jahr für
Arbeitspolitik und die Beziehung zu den Gewerkschaften zuständig. Warum
haben Sie sich nach Ihrem Abgang als Parteichefin für diese Rolle
entschieden?
Ricarda Lang: Erstens bin ich schon lange stolzes Gewerkschaftsmitglied.
Zweitens ist für den Schutz der Demokratie die Frage zentral, ob die
arbeitende Bevölkerung das Gefühl hat, dass Entscheidungen über ihre Köpfe
hinweg getroffen werden – oder ob sie selbst mitentscheiden können.
Drittens will ich, dass die Grünen bei der sozialen Gerechtigkeit mehr
Glaubwürdigkeit gewinnen.
taz: Wie können Ihnen bei alldem die Gewerkschaften helfen?
Lang: Durch ihre Expertise aus der Praxis und den Betrieben, aber auch
durch ihre Bündnisfähigkeit. Viele entscheidende Themen, auch der
Klimaschutz, geraten gesellschaftlich gerade ins Abseits. Ein Akteur allein
wird sie da nicht wieder rausholen. Dafür braucht es Partner – und zu den
zentralsten gehören für mich die Gewerkschaften.
taz: Herr Werneke, was bringen die Grünen den Gewerkschaften?
Frank Werneke: Ein Stichwort ist das [1][Bundestariftreuegesetz, das gerade
im Bundestag ist]. Der Gesetzentwurf hat bereits Schwächen, einen zu hohen
Schwellenwert von 50.000 Euro, ab dem das Gesetz wirkt, und reihenweise
Ausnahmeregelungen. Trotzdem wird er aus der Unionsfraktion angeschossen.
Da ist es schon wichtig, dass aus der Opposition die Grünen für das Projekt
werben und Verbesserungen einbringen. Außerdem mache ich mir große Sorgen,
weil die Neoliberalen mit ihren Kürzungsfantasien den Sozialstaat gerade in
allen Bereichen angreifen. Er lässt sich nur verteidigen, wenn es ein
breites gesellschaftliches Bündnis dagegen gibt. Da spielen die
Sozialverbände eine wichtige Rolle, die Umweltverbände, natürlich die
Grünen und die Linken – und hoffentlich auch die SPD.
taz: Sie gehen regelmäßig zum Gewerkschaftsrat des SPD-Präsidiums, ohne
dass das besondere Auswirkungen auf die Politik der SPD zu haben scheint …
Werneke: Er hat schon länger nicht mehr stattgefunden.
taz: … Glauben Sie, dass es beim jetzt wieder eingerichteten
Gewerkschaftsbeirat der Grünen anders laufen wird?
Werneke: Für mich sind beide Foren wichtig, und wenn ich Zeit habe, gehe
ich zu beiden hin. Es ist nicht so, dass einem dort Politiker
gegenübersitzen, die alle unsere Wünsche mitschreiben und zu hundert
Prozent umsetzen. Es sind Dialogforen, in denen man auch Kontroversen
austrägt. Uns ist das wichtig. Auch zur Union würde ich hingehen, aber sie
bietet ein solches Forum nicht.
taz: Vor fünf Jahren haben Sie der taz schon mal [2][zusammen mit Anton
Hofreiter ein Interview gegeben]. Den Grünen haben Sie damals bescheinigt,
sie würden „eins zu eins die Positionen von Verdi“ vertreten. Gilt das
immer noch, auch nach den drei Jahren in der Regierung?
Werneke: Insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck war in der Ampel
immer für uns ansprechbar, auch zu schwierigen Themen. Das ist wirklich
positiv hervorzuheben. Die Grünen haben aber auch Entscheidungen
mitgetragen, die ich kritisch gesehen habe. Die Realeinkommen liegen unter
dem Niveau von 2019, gleichzeitig gibt es eine wahnsinnige Spreizung von
Arm und Reich. Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit wird seit vielen
Jahren nicht angegangen, auch nicht in der vorherigen Bundesregierung.
taz: Im Zweifel ist auf die Grünen doch kein Verlass?
Werneke: Ich nehme wahr, dass es bei den Grünen einen starken Strang gibt,
der sich für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern engagiert.
Aber es gibt auch Enttäuschungen. In Baden-Württemberg regiert seit drei
Legislaturperioden ein grüner Ministerpräsident, ein Landestariftreuegesetz
gibt es aber bis heute nicht.
taz: Frau Lang, Sie kommen aus Baden-Württemberg. Was läuft dort falsch?
Lang: In der jetzigen Koalition mit der CDU ist ein solches Gesetz nicht
umsetzbar. Aber ich nehme die Kritik an: Man hätte es in der ersten
Legislatur machen sollen, als wir dort noch mit der SPD regiert haben.
Gleichzeitig ist natürlich auch unsere Partei kein einheitlicher Block. Es
gibt unterschiedliche Positionen und Aushandlungen. Ich mache mich dabei
für den Schutz von Arbeitnehmern stark.
taz: Können Sie auch die Kritik am Regierungshandeln der Grünen im Bund
nachvollziehen? In der Ampelzeit trugen Sie Verantwortung.
Lang: Wir sollten schon auch die Erfolge anerkennen, die
Mindestlohnerhöhung oder die Energiepreispauschale. In der Bilanz aber hat
sich für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen zu viel
verschlechtert. Es gab Lohnzuwächse, auch durch gute Tarifabschlüsse, aber
gleichzeitig stiegen [3][Lebensmittelpreise], [4][Energiekosten] und
[5][Mieten]. Das spielt dann auch eine Rolle, wenn nun wieder verstärkt der
Sozialstaat und speziell [6][das Bürgergeld angegriffen] werden.
taz: Inwiefern?
Lang: Das jetzige Nach-Unten-Treten funktioniert doch so: Du hast nicht
genug; du glaubst auch nicht mehr daran, dass es besser wird; dann soll es
zumindest jemand anderem noch schlechter gehen. Dieses Spiel spielt die
Union unter Friedrich Merz ganz gezielt – aber es geht nur auf, weil es
Menschen mit kleinen Einkommen tatsächlich schlechter geht.
[7][Verantwortung dafür müssen auch wir annehmen.]
Werneke: Wir haben eine gesellschaftliche Stimmung, die extrem
problematisch ist. Da hat Ricarda recht. Die Menschen sehen vielfach keine
Vorwärtsperspektive mehr. Dazu trägt auch bei, dass das Thema Wohnen die
Einkommen immer mehr belastet und dass die öffentliche Daseinsvorsorge
kaputtgespart wird. Die Kommunen haben dramatische Defizite, nicht nur in
Berlin, sondern auch in ehemals reichen Städten.
Lang: Siehe mein Wahlkreis. Ich komme aus einer Region, in der man vor zehn
Jahren noch mitleidig auf die kommunalen Finanzen im Ruhrgebiet oder in
Ostdeutschland geschaut hat. Jetzt können die Kommunen auch dort eigentlich
nur noch ihre Pflichtaufgaben erfüllen. Sozialtickets oder Ermäßigungen für
Bibliothek und Schwimmbad gehören da nicht dazu.
taz: Herr Werneke, Ihre Kritik an der Ampel klingt wohltemperiert. Als sie
noch existierte und Frau Lang im Koalitionsausschuss saß, [8][haben Sie
deutlichere Worte gefunden]. Sie warfen SPD und Grünen vor, sich von der
FDP „im Nasenring durch die Arena ziehen zu lassen“.
Werneke: Davon nehme ich auch nichts zurück.
taz: Als „völlig irre Entscheidung“ haben Sie es bezeichnet, kein sozial
gestaffeltes Klimageld einzuführen. Schwarz-Rot verzichtet auch darauf.
Warum ist der Protest der Gewerkschaften dagegen nicht lauter?
Werneke: Würde Verdi morgen zu einer Demonstration für die Schaffung eines
Klimagelds aufrufen, käme voraussichtlich kaum jemand. Man müsste es erst
mal so kampagnenfähig eingeordnet bekommen, dass es für sich genommen zu
einem Mobilisierungsthema wird. An meiner Kritik nehme ich aber auch hier
nichts zurück. Ab nächstem Jahr steigt der CO2-Preis kontinuierlich,
insbesondere für Tanken und Wohnen. Gibt es keinen sozialen Ausgleich, geht
die Akzeptanz für Klimaschutz weiter zurück.
Lang: Der CO2-Preis und der ETS-Mechanismus dahinter werden zunehmend unter
Beschuss geraten. Die aktuelle Regierung weigert sich, ihn sozial
auszugestalten, um dann zu rufen: „Muss alles weg, weil ist ja total
unsozial.“ Für meine Partei wird es wichtig sein, nicht nur den Mechanismus
zu verteidigen, sondern genau aufzuzeigen, dass und wie sozialer
Klimaschutz möglich wäre – und dafür wiederum Mehrheiten zu erkämpfen.
Gleichzeitig warne ich auch in den eigenen Reihen davor, die Frage des
sozialen Ausgleichs nur aufs Klimageld zu reduzieren. Es geht um mehr,
gerade auch um öffentliche Daseinsvorsorge.
taz: Das heißt?
Lang: Ich will ein Beispiel nennen: Wir brauchen mehr gemeinschaftliche
Wärmeversorgung, auch jenseits der Metropolen. Wir denken das immer noch
viel zu individuell: Jeder kümmert sich um seine Heizung – und die wird
dann bezuschusst. Fördergelder landen in Deutschland aber meist bei
Menschen, die eh schon einigermaßen gut Geld haben. Wer gar keine Rücklagen
hat, fällt raus. Das sollten wir viel mehr als kommunale und
gemeinschaftliche Aufgabe verstehen: So viele Haushalte wie möglich an ein
erneuerbares Wärmenetz anzuschließen, ist auch eine Frage der
Gerechtigkeit.
taz: Herr Werneke sagt, fürs Klimageld könne er nicht mobilisieren. Würden
Sie sich jetzt in der Opposition da ein bisschen mehr Rückenwind wünschen?
Lang: Was die Regierung plant, von der Aushöhlung des Sozialstaats über die
Angriffe auf Arbeitnehmerrechte bis zum Ausbleiben des sozialen
Klimaschutzes, wird die arbeitende Bevölkerung stark treffen. Es würde mich
nicht wundern, wenn auf den angekündigten Herbst der Reformen und den
Winter der sozialen Kälte ein Frühling des Protests folgt. Wir können das
alles nicht einfach so durchlaufen lassen. Ich würde aber nicht sagen: Das
müssen die Gewerkschaften machen, wir ruhen uns aus und warten, bis der
Druck kommt. Wir müssen zusammen überlegen, wie wir den nötigen Widerspruch
organisieren.
Werneke: Im Moment haben wir vor allem den Herbst des grausamen
Gequatsches. Sobald Gesetzesentwürfe kommen und es konkret werden sollte –
mit Angriffen im Bereich Rente, Gesundheit und Pflege, Leistungskürzungen,
der [9][Streichung des Acht-Stunden-Tages] – wären wir auch in der Lage,
dagegen zu mobilisieren. Im Rahmen einer solchen Mobilisierung bräuchte es
dann auch immer Antworten, was wir anders machen wollen. Dazu gehört ein
sozial gestaffeltes Klimageld genauso wie das Thema Vermögens- und
Erbschaftssteuer.
taz: Gegen die geplante Aufweichung des Acht-Stunden-Tags haben Sie schon
vor diesem Interview große Aktionen angekündigt. Wird das mehr sein als die
üblichen Gewerkschaftskundgebungen mit Bratwurst und Hüpfburg?
Werneke: Wenn wir es schaffen, zu Kundgebungen für den Acht-Stunden-Tag
aufzurufen, wird das schon Eindruck hinterlassen. So üppig ist die Mehrheit
von Union und SPD im Bundestag nicht. Inwieweit das Thema tatsächlich
skandalisierbar ist, wird sich weisen. Ich bin jedoch zuversichtlich. In
den Belegschaften nehme ich die Verteidigung des Acht-Stunden-Tages als
Herzensthema wahr.
Lang: Deutschland hat einen riesigen Dienstleistungssektor, in dem
überdurchschnittlich viele Frauen arbeiten. Genau diese Frauen werden oft
als Legitimation dafür genutzt, jetzt ans Arbeitszeitgesetz heranzugehen.
Dabei geht es hier nicht real um mehr Flexibilität für Arbeitnehmerinnen.
taz: Sondern?
Lang: Ginge es um mehr Flexibilität, dann wären ein stärkeres Rückkehrrecht
auf Vollzeit oder mehr Mitbestimmung bei Arbeitszeiten und Arbeitsort
sinnvoll. Das Arbeitszeitgesetz regelt aber das Zugriffsrecht des
Arbeitgebers. Nicht mehr die alleinerziehende Mutter soll entscheiden
können, ob sie um 22 Uhr noch eine Mail schreiben will, sondern der
Arbeitgeber soll anordnen können: Du hast dreimal pro Woche um 22 Uhr
verfügbar zu sein und deine Mails zu checken. Was das für das
Familienleben, für ehrenamtliches Engagement und die psychische Gesundheit
bedeutet, will man sich gar nicht vorstellen. Wir stellen uns deshalb klar
gegen die Abschwächung des Arbeitszeitgesetzes.
taz: Im Bundestagswahlkampf forderten die Grünen, [10][Sozialabgaben auch
auf Kapitalerträge] zu erheben. Abgaben auf Arbeitseinkommen sollten dafür
nicht mehr steigen. Verdi lobte den Vorschlag, es gab aber auch Gegenwind –
und Habeck räumte das Thema wieder ab. Fehlt den Grünen in solchen Fragen
die Standhaftigkeit?
Lang: Was als Gedanke hinter dem Vorschlag steht, ist die
Bürgerversicherung. Zum einen sollen Sozialversicherungsbeiträge also nicht
nur auf Arbeitseinkommen gezahlt werden, zum anderen sollen mehr Menschen
einzahlen, die heute rausfallen: wir Abgeordnete, aber auch Beamte oder
Selbstständige. Der Einsatz dafür wird uns einiges an Konfliktfähigkeit
abverlangen – und damit auch einen parteiinternen Wandel. Wir haben uns
lange als eine Partei verstanden, die in alle Richtungen die Hand
ausstreckt und Brücken baut. Das ist oft richtig, Sprengmeister gibt es
schon genug. Der Konflikt muss aber auch mal hart ausgetragen werden.
Werneke: Ich teile auch nicht die These, die mir oft aus den Parteien
entgegengebracht wird, dass Verteilungsgerechtigkeit kein erfolgreiches
Wahlkampfthema sei. Die gerechte Finanzierung sozialer Leistungen ist ein
vitales und berechtigtes Interesse der Bevölkerung. Wenn solche Punkte im
politischen Raum nicht stark gemacht werden, ist die Gefahr groß, dass die
Menschen falschen Antworten hinterherlaufen. [11][Das Stadtbild] wurde zum
Beispiel auch zum Thema gemacht, um von Verteilungsfragen abzulenken.
Lang: Von Friedrich Merz hören wir immer wieder Sätze wie: „Wir müssen den
Gürtel enger schnallen.“ Wer merkwürdigerweise nie Teil des „wir“ ist:
Menschen mit sehr großen Vermögen und Erbschaften etwa. Menschen wie
Friedrich Merz. Die sollen sogar noch weiter entlastet werden. Auch da
müssen wir ran – ohne zugleich weiter Vertrauen zu verspielen. Wenn wir die
Vermögenssteuer in Wahlprogramme schreiben, die SPD auch, sie in den
Koalitionsverhandlungen dann aber wieder hintenüberfällt, schafft das nur
Verdruss.
taz: Das gilt auch für die Bürgerversicherung, kommen wir deshalb auf sie
zurück: Bei der Altersvorsorge würde sie nur funktionieren, wenn auch die
Leistungen angeglichen werden, Beamte also nur noch eine Rente statt einer
Pension bekommen. Das trauen sich jedoch weder die Grünen noch die
Gewerkschaften offen auszusprechen.
Werneke: Das ist auch gar nicht die Position von Verdi.
Lang: Mein Ziel ist es schon, dass sich das näher aufeinander zubewegt. Die
große Lücke zwischen Renten und Pensionen ist eine unbeantwortete
Gerechtigkeitsfrage.
Werneke: Wir sind dafür, dass die Selbstständigen in die Rentenversicherung
einbezogen werden, auch die Abgeordneten. Bei Beamtinnen und Beamten gibt
es aus meiner Sicht dazu absehbar keinen Weg.
Lang: Da haben wir einen Dissens. Ist doch auch mal gut.
taz: Frau Lang, mit Verdi haben die Grünen trotzdem mehr Schnittstellen als
mit anderen Gewerkschaften. [12][Frank Bsirske war als Grüner sogar
Verdi-Chef.] Wie viel schwieriger ist für Sie die Zusammenarbeit mit der IG
Metall oder der IG BCE, die auch klimapolitisch weiter von Ihnen weg sind?
Lang: Wir haben uns in den letzten Jahren angenähert und Vertrauen gefasst.
Mit der IG Metall etwa teilen wir viele Forderungen. Sie hat in den letzten
Jahren wichtige Arbeit zur Modernisierung der Automobilindustrie und zur
Elektromobilität gemacht. Aber natürlich ist es zuletzt durch die Situation
in der Branche wieder herausfordernder geworden.
taz: In der Frage, ob es beim Verbrenner-Aus 2035 bleibt, hat mittlerweile
nur noch Winfried Kretschmann eine gemeinsame Position mit der IG Metall:
Beide [13][sind dagegen].
Lang: Winfried ist ja auch ein Grüner.
taz: Hm.
Lang: Manchmal ist er auch [14][ein talentierter Verhüllungskünstler].
taz: Grünen-Mitglieder sind in den Gewerkschaftsführungen immer noch
Exoten. Nur Linke gibt es noch weniger. In den Vorstand der IG BCE wurden
kürzlich sogar ausschließlich SPD-Mitglieder gewählt. Ist das für Sie noch
nachvollziehbar?
Lang: Wenn ich mir die Politik der SPD in der Regierung anschaue: Nein,
nicht so wirklich.
taz: Herr Werneke, im Verdi-Vorstand gibt es immerhin einen Grünen, Linke
sind allerdings auch auf Ihrer Führungsebene Fehlanzeige. Ist eine solche
politische Personalauswahl noch zeitgemäß?
Werneke: Die Führungsebene besteht ja nicht nur aus dem Bundesvorstand,
sondern auch aus den Landesleitungen. Dort haben wir sowohl weitere Grünen-
als auch Linken-Mitglieder und zunehmend auch Parteilose.
Lang: Auf der Landesebene gibt es auch in anderen Gewerkschaften zunehmend
Grüne, Jan Otto als Bevollmächtigter der IG Metall Berlin zum Beispiel. Der
Vertrauensaufbau, den ich beschrieben habe, wirkt sich so langsam in der
Fläche aus.
taz: Für einen wirklichen Durchbruch müssten Sie aber vielleicht auch so
einträchtig neben Gewerkschaftern sitzen, wenn Sie mal wieder regieren –
und nicht nur in Oppositionszeiten.
Lang: Das Ziel kann natürlich nicht sein, in der Opposition gemeinsame
Forderungen aufzustellen und sie dann in der Regierung wieder zu vergessen.
Wenn es auch in Zukunft keine Regierung schafft, den Glauben an mehr
soziale Gerechtigkeit wieder zu entfachen, werden klassische soziale
Konflikte immer stärker umgedeutet werden. Das zeigt sich schon heute:
Statt um „oben gegen unten“ geht es dann plötzlich um „Deutsche gegen
Ausländer“ oder „morgen gegen heute“ – nach dem Motto: Der Klimaschutz
nimmt dir den Job weg. Meiner Partei bieten sich hier zwei Optionen: Wir
können uns moralisch darüber empören. Oder wir fragen uns: Warum
funktioniert das bei so vielen Leuten? Ich denke, der zweite Weg ist der
zielführende.
Werneke: Ich weiß gar nicht, ob Einträchtigkeit das Ziel ist. Es gibt immer
unterschiedliche Meinungen und das muss man auch miteinander austragen. Ich
würde einen anderen Maßstab setzen: Gibt es ein echtes Interesse an den
tatsächlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in
Dienstleistungsbranchen, von Teilzeitbeschäftigten im Handel, von
Pflegerinnen und Pflegern, von Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen
Dienst? Das nehme ich bei den Grünen wahr, bei der SPD und bei den Linken.
Bei der Union leider überhaupt nicht.
10 Nov 2025
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