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# taz.de -- Gesetz zu Chatkontrolle: Wenn der Staat deine Nacktbilder sieht
> Die EU-Mitgliedsstaaten entscheiden kommende Woche über die
> Chatkontrolle. Deutschlands Stimme könnte entscheidend sein. Und der
> Widerstand wächst.
Bild: Bald Big Brother? Innenminister Alexander Dobrindts Einstellung könnte e…
Sind Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Signal bald dazu verpflichtet, die
Kommunikation ihrer Nutzer:innen zu überwachen? Über diese Frage wird
voraussichtlich am kommenden Dienstag der EU-Rat entscheiden, das Gremium
der Mitgliedsstaaten. Und aktuell formiert sich Widerstand gegen die
sogenannte Chatkontrolle – von Expert:innen aus Zivilgesellschaft,
Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.
Der aktuelle Verordnungsentwurf der dänischen Ratspräsidentschaft sei „eine
in der freien Welt einzigartige Überwachungsinfrastruktur“, findet der
Jurist Patrick Breyer. Er hatte als EU-Abgeordneter eine kritischere
Positionierung des EU-Parlaments zur Chatkontrolle mitverhandelt. „Wer
Verschlüsselung schwächt, schwächt immer auch den Schutz von Bürger:innen,
Unternehmen und kritischen Infrastrukturen“, kommentiert Klaus Landefeld,
stellvertretender Vorsitzender des Internetwirtschafts-Verbands eco.
Svea Windwehr, Co-Vorsitzende des digitalpolitischen Vereins D64, sieht das
Vorhaben ebenfalls kritisch: „Die sogenannte Chatkontrolle untergräbt
Grundrechte, ohne den Schutz von Betroffenen zu verbessern.“ Und [1][in
einem offenen Brief], den mittlerweile mehr als 700
Wissenschaftler:innen unterschrieben haben, heißt es: Das Vorhaben
werde „beispiellose Möglichkeiten für Überwachung, Kontrolle und Zensur
schaffen und birgt ein inhärentes Risiko für den Missbrauch durch weniger
demokratische Regime“. Selbst die Betreiber der Messenger-Dienste Signal,
Threema und Whatsapp vom Mutterkonzern Meta haben sich mittlerweile dagegen
positioniert.
Die Chatkontrolle wird seit rund drei Jahren auf EU-Ebene verhandelt und
abgestimmt. Bislang gab es unter den Mitgliedsstaaten keine Mehrheit. Laut
EU-Kommission, die das Vorhaben ursprünglich einbrachte, soll damit die
Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern eingedämmt
oder verhindert werden. Dafür sollen die Anbieter von Messenger- und
Cloud-Diensten sowie Hostinganbieter dazu verpflichtet werden können, die
Kommunikation ihrer Nutzer:innen auf potenziell verdächtige Inhalte zu
scannen.
## Auch das Kindervideo für die Oma würde gescannt
Bei unverschlüsselter oder nur transportverschlüsselter Kommunikation ist
das einfach auf den Servern der Anbieter möglich. Nutzer:innen von
Cloud-Diensten wie von Google und Amazon oder US-E-Mail-Diensten wie Gmail
müssen schon heute damit rechnen, dass von ihnen hochgeladene oder
versendete Inhalte gescannt werden.
Anders sieht es bei Ende-zu-Ende verschlüsselter Kommunikation aus, wie sie
etwa die Messaging-Anbieter Signal, Threema und auch Whatspp anbieten.
Ende-zu-Ende verschlüsselt bedeutet: Nur Sender und Empfängerin können auf
den Inhalt zugreifen, nicht der Anbieter selbst. In solchen Fällen müssten
also die Firmen auf den Geräten der Nutzer:innen eine Anwendung
installieren, die die Inhalte vor dem Versenden überprüft. Auch das
Kindervideo für die Oma oder das eigene Nacktfoto für die Partnerin würden
also vor dem Versand gescannt werden, wenn den Anbieter eine entsprechende
Anordnung trifft, was schnell und flächendeckend der Fall sein kann. Der
Messenger-Dienst Signal kündigte an, Europa zu verlassen, sollte die
Integrität seiner Verschlüsselung in Gefahr geraten.
Nachdem sich die EU-Staaten über drei Jahre immer wieder gegen das Vorhaben
entschieden hatten, droht nun ein Umschwenken. Das hat vor allem mit der
deutschen Bundesregierung zu tun. Die Ampel lehnte das Vorhaben ab. Doch
der Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) scheint ihm offen
gegenüberzustehen. Eine entsprechende Anfrage zur aktuellen Position der
Bundesregierung ließ das federführende Innenministerium unbeantwortet, doch
Insider:innen zufolge wollte die Regierung ihr Abstimmungsverhalten
noch am Dienstag festlegen. Eine Vertreterin des Ministeriums hatte im
September im Digitalausschuss erklärt, man sei zwar gegen einen Bruch der
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Aber man wolle einen Kompromiss, um zu
verhindern, dass die befristete Regelung, die das Scannen auf freiwilliger
Basis erlaubt, auslaufe.
Gegen diese Aussage läuft der Jurist Patrick Breyer Sturm. „Das ist eine
bewusste Täuschung, um einen grundrechtswidrigen Deal zu erzwingen“,
kritisiert er. Denn selbst bei einer Mehrheit für die Chatkontrolle im
EU-Rat könne das Gesetz aufgrund der üblichen Umsetzungsfristen nicht vor
April kommenden Jahres in Kraft treten – und damit erst nach dem Auslaufen
der befristeten Regelung. „Das ist ein Big-Brother-Angriff auf unsere
privaten Nachrichten und Fotos – als würde die Post jeden einzelnen Brief
öffnen und durchschnüffeln“, sagt er. Die Chatkontrolle werde
Sexualstraftäter nicht aufhalten, sondern die Polizei mit Falschmeldungen
überfluten.
## Auch Kinderschutzbund ist gegen Chatkontrolle
Dieses Szenario halten auch IT-Expert:innen für plausibel. „Diese Modelle
sind weit davon entfernt, perfekt zu sein“, sagt Carmela Troncoso,
wissenschaftliche Direktorin am Max Planck Institut für Sicherheit und
Privatsphäre über die Systeme, die harmlose Inhalte von sexualisierter
Gewalt an Kindern trennen sollen. Bei einem Expert:innen-Gespräch zur
Chatkontrolle erklärt sie: Gehe es um bereits bekannte Inhalte, die eins zu
eins erneut auftauchen, sei die Erkennung bei Bildern gut – bei Videos oder
Audios aber schon nicht mehr.
Wichtigster Anwendungsfall seien in diesem Bereich aber Bilder, die im
Vergleich zum Ausgangsmaterial leicht verändert wurden, etwa gespiegelt,
gedreht oder komprimiert. Auch hier seien die Erkennungsraten nicht gut. So
ließen sich bei Bildern leicht einige Pixel verändern, sodass das Ergebnis
für das menschliche Auge unverändert aussieht – für einen Algorithmus aber
wie ein anderes Bild wirkt.
Auch der Kinderschutzbund spricht sich gegen die Chatkontrolle aus. „Zu
befürchten ist nicht nur ein Anstieg von Ermittlungsverfahren gegen Kinder
und Jugendliche, die unbedarft sexualisiertes Bildmaterial teilen, sondern
auch eine Überlastung der Strafverfolgungsbehörden durch eine große Zahl
fehlerhafter Meldungen, die wirksame Ermittlungen eher erschweren als
erleichtern würde, sowie ein Missbrauch dieser technisch implementierten
‚Hintertür‘ für antidemokratische Zwecke“, sagt Elena Frense, Expertin …
Medien und Digitales beim Kinderschutzbund. Dazu komme: Darstellungen
sexualisierter Gewalt würden in der Regel nicht über private Messenger
ausgetauscht, sondern via File-Hoster, über die sich große Datenmengen
bereitstellen und herunterladen lassen.
Aus Kinderschutzsicht braucht es daher laut Frense einen anderen Ansatz:
„Notwendig sind stattdessen Prävention, Aufklärung und klare
Verpflichtungen für Anbieter. Etwa verbindliche Sicherheitsauflagen,
Risikoanalysen und der Scan unverschlüsselter Inhalte.“ Zudem müsse die
anlassbezogene Ermittlungsarbeit ausgeweitet werden. Zum Beispiel mit
Onlinestreifen, also Polizist:innen, die im digitalen Raum unterwegs sind.
Um das Vorhaben im EU-Rat nun doch noch zu stoppen, vor allem, um die
Bundesregierung zu einem klaren Nein zu bewegen, wächst nun eine Woche vor
der Abstimmung deutlich der Widerstand. Das Bündnis „Chatkontrolle
stoppen“, zu dem unter anderem die Organisationen Reporter ohne Grenzen,
der Republikanischer Anwält*innen- und Anwälteverein und die
Giordano-Bruno-Stiftung gehören, hat am Montag [2][eine Petition gegen das
Vorhaben] gestartet. Die Grünen wollen am Donnerstag im Bundestag einen
Antrag dagegen einbringen. Und zivilgesellschaftliche Organisationen
fordern Bürger:innen dazu auf, bei Abgeordneten und beim deutschen
Innen- und Justizministerium gegen die Chatkontrolle zu protestieren.
7 Oct 2025
## LINKS
[1] https://csa-scientist-open-letter.org/Sep2025
[2] https://weact.campact.de/petitions/chatkontrolle-stoppen
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
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