| # taz.de -- EU-Plan zu Chatkontrolle: Überwachung durch die Hintertür | |
| > Nachrichten könnten bald mit einer KI auf kriminelle Inhalte geprüft | |
| > werden – um Kinder zu schützen. Doch damit steht die Freiheit aller auf | |
| > dem Spiel. | |
| Bild: George Orwell lässt grüßen: Graffiti, dass vom Big Brother aus der Lit… | |
| Chinas Gesichtserkennung, Europas Vorratsdatenspeicherung, Berlins Kameras | |
| am Kottbusser Tor – wenn Staaten ihre Bürger:innen überwachen wollen, | |
| begründen sie das meist mit Sicherheit. So auch bei der geplanten | |
| [1][Chatkontrolle der EU]. Denn diese soll, wie Befürworter:innen | |
| sagen, die Schwächsten unserer Gesellschaft schützen: Kinder. | |
| Am 14. Oktober will der EU-Rat über einen Plan abstimmen, demzufolge | |
| Anbieter bei Messengerdiensten wie Whatsapp, Signal und Co mitlesen und | |
| Infos gegebenenfalls an Ermittlungsbehörden weitergeben sollen. Beim | |
| sogenannten Client-Side-Scanning sollen Chatprogramme in Zukunft einen | |
| Baustein enthalten, der mithilfe von KI Nachrichten noch vor ihrer | |
| Verschlüsselung auf kriminelle Inhalte überprüft – etwa auf Darstellungen | |
| sexueller Gewalt gegen Minderjährige. Ein Verdacht wäre dafür nicht | |
| notwendig, das Programm würde pauschal alles scannen. | |
| Aber dürfen Staaten so was? Geht es nach klassischen Vertragstheoretikern | |
| wie Thomas Hobbes, ist Sicherheit sogar der ureigene Zweck von Staaten | |
| überhaupt. Menschen schließen miteinander einen Vertrag und geben ein | |
| großes Maß an Freiheit an den Souverän, den Staat, ab, damit der für ihre | |
| Sicherheit sorgt. | |
| ## Nützt die Kontrolle mehr, als sie schadet? | |
| Auch der liberale Vordenker und Utilitarist John Stuart Mill schreibt in | |
| seinem Essay On Liberty, dass Freiheiten von Bürger:innen gegen ihren | |
| Willen eingeschränkt werden dürfen, wenn dadurch verhindert wird, dass | |
| andere zu Schaden kommen. Und sowieso: Wer nichts zu verbergen hat, hat | |
| auch nichts zu befürchten, oder? | |
| Nicht ganz, denn ein Knackpunkt ist Verhältnismäßigkeit. Betrachtet man die | |
| Überwachungswünsche der EU aus einer utilitaristischen Perspektive – also | |
| mit dem Ziel, das größte Glück für die meisten Menschen zu erreichen –, | |
| stellt sich die Frage: Nützt Kontrolle mehr, als sie schadet? | |
| Persönlichkeitsrechte sind nicht nur ein Nice-to-have. Wenn Menschen | |
| wissen, dass sie jederzeit überwacht werden könnten, überlegen sie sich | |
| zweimal, was sie ihren Freunden auf Signal schicken – sei es nur das | |
| Nacktbild an den Partner oder aber das Video von der [2][Gaza-Demo], das | |
| Polizeigewalt dokumentiert. Von Diskussions- und Gedankenfreiheit kann dann | |
| keine Rede mehr sein. | |
| Auch Mill würde sagen: Flächendeckende anlasslose Überwachung darf es nur | |
| geben, wenn sie absolut notwendig ist, also wenn gezeigt werden kann, dass | |
| mildere Maßnahmen, wie gezielte Ermittlungen bei konkretem Verdacht weniger | |
| wirkungsvoll wären, um weitere Missbrauchsfälle zu verhindern. | |
| ## Panoptikum-ähnliche Zustände | |
| Das ist aber nicht der Fall. Erkenntnisse darüber, ob das Lesen von Chats | |
| tatsächlich zu weniger Verbrechen führen würde, sind nicht bekannt. Die | |
| EU-Kommission legte einen angefragten Bericht zur Verhältnismäßigkeit | |
| schlicht nicht vor und konnte auch nicht ausräumen, dass es zu | |
| „inakzeptabel hohen Raten an Fehlalarmen und Fehldetektionen“ kommen wird, | |
| wie Wissenschaftler:innen anmahnten. | |
| Vielmehr werden Bürger:innen hier unter Generalverdacht gestellt, um | |
| eine Hintertür für totale Überwachung zu öffnen: eine Large-Scale-Version | |
| des Foucaultschen Panoptikum, des nicht einsehbaren Gefängnisturms, der es | |
| den Herrschenden erlaubt, Gefangene rund um die Uhr zu überwachen, ohne | |
| dass die wissen, ob gerade jemand zuschaut oder nicht. | |
| Richtig gruselig wird es da nicht erst, wenn man sich überlegt, was die | |
| schon jetzt in Europa regierenden und womöglich noch kommenden | |
| Faschist:innen mit einer solchen Hintertür anfangen könnten. George | |
| Orwell lässt grüßen. | |
| 8 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Schroer | |
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