Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rezept für Überwachung mit Chatkontrolle: Grundrechte, geschnetze…
> Breiter Protest verhinderte die Abstimmung über die Chatkontrolle. Was
> nie ein gutes Rezept gegen Internetkriminalität war, ist noch nicht vom
> Tisch.
Bild: Wer alles sieht, sieht auch Dinge, die ihn überhaupt nichts angehen
Rezept: Überwachungseintopf mit geschnetzelten Grundrechten
Zutaten
1 Grundrecht, das noch nicht komplett ausgehöhlt ist
1 Idee für eine Überwachungsmaßnahme in bisher nicht da gewesenem Ausmaß
1 etabliertes Totschlagargument
≥ 15 EU-Staaten mit mindestens 65 % der EU-Bevölkerung
Zubereitung
Die Zutaten zusammenrühren. Nach dem ersten Aufkochen auf kleiner Flamme
weiterköcheln und gut ziehen lassen. Sofern nötig, wiederholt aufkochen und
dabei nach und nach weitere Mitgliedstaaten hinzufügen, bis die nötige
Mehrheit erreicht ist.
Das letzte Aufkochen dieses Spezialrezepts sollte eigentlich am Dienstag
stattfinden. In diesem Prozess sollte die nötige Mehrheit der EU-Staaten
einem höchst umstrittenen Überwachungsvorhaben zustimmen: [1][der
Chatkontrolle.] Dass die Bundesregierung der Verordnung auf massiven
öffentlichen Druck hin vorerst doch nicht zur EU-Mehrheit verhilft, ist nur
ein Sieg auf Zeit. Denn vom Tisch ist der Eintopf, pardon, das Vorhaben,
nicht. Solange die EU-Kommission den Vorschlag nicht zurückzieht, wird er
immer wieder zur Abstimmung gestellt werden – und wer weiß, wie beim
nächsten Mal die Mehrheiten aussehen?
Bei der Chatkontrolle sollen unter anderem Anbieter von Messengerdiensten
wie Whatsapp, Signal oder Threema verpflichtet werden können, die
Kommunikation der Nutzer:innen auf Inhalte mit mutmaßlicher
sexualisierter Gewalt an Kindern zu scannen. Wer einen US-Cloud- oder
Mail-Anbieter verwendet, muss heute schon damit rechnen, dass hochgeladene
Inhalte entsprechend gescannt werden. Doch der Vorschlag zur Chatkontrolle
geht darüber hinaus: Gegenstand der Überwachung sollen auch
Ende-zu-Ende-verschlüsselte Inhalte sein.
Von Ende zu Ende verschlüsselt sind Inhalte dann, wenn nur Senderin und
Empfänger sie entschlüsseln können. Niemand auf dem Weg. Nicht das
Unternehmen, das den Dienst bereitstellt, und auch nicht andere, die
vielleicht gerne mal mitlesen würden, seien es Strafverfolger:innen
oder der Stalker-Ex.
Bei E-Mails hat sich die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nie in der Breite
durchgesetzt, weil sie technisch etwas aufwendiger umzusetzen ist. Doch bei
vielen Messaging-Diensten ist sie mittlerweile Standard.
Und wer jetzt denkt, na ja, so geheim ist meine an den Partner gesendete
Einkaufsliste auch nicht, kann vielleicht einfach mal durch ein paar eigene
Chatverläufe scrollen. Es müssen gar nicht im Einvernehmen gesendete
Nacktbilder sein oder die Kommunikation zwischen Therapeutin und Patient
(ja, auch die läuft manchmal über Whatsapp).
Auch Partyfotos oder den Austausch aus der Selbsthilfegruppe für Menschen
mit Depressionen würden manche vielleicht gerne wirklich privat halten.
Ganz zu schweigen davon, vor welche Probleme eine gebrochene
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung etwa queere Menschen oder
Regierungskritiker:innen in einem EU-Land wie Ungarn stellen würde.
## Technological Fix
Die Chatkontolle ist also ein „[2][Technological Fix]“: die Idee, ein
Problem, sei es gesellschaftlich, ökologisch oder sozial, durch Technik
lösen zu können. Dieser Ansatz gewinnt immer dann an Attraktivität, wenn
die konventionellen – aber häufig sinnvolleren – Schritte zu mühselig,
teuer oder uninnovativ erscheinen. Der CO2-Ausstoß muss drastisch sinken,
um die Klimakrise abzumildern? Ach, lasst uns doch besser per
Aerosolinjektion die Sonne verdunkeln.
Die Algorithmen der großen Onlineplattformen pushen polarisierende und
extreme Inhalte und gefährden damit Menschen und Gesellschaften? Komm, lass
uns verpflichtende Alterskontrollen einrichten, um Kinder davon
fernzuhalten.
Denn klar: Regeln, die Plattformen zu besseren Orten für alle Menschen
machen, wären deutlich mühsamer durchzusetzen.
Was also die Chatkontrolle angeht: Natürlich ist die Verbreitung von Fotos,
Bildern oder Videos, die sexualisierte Gewalt an Kindern zeigen, ein
Problem. Eines mit schwerwiegenden Folgen und eines, das [3][durch das
Internet noch größer wurde,] weil die Verbreitung viel schneller, globaler
und billiger geworden ist. Und klar: Das erhöht den Ermittlungsaufwand für
die Strafverfolgungsbehörden. Aber sogar der Kinderschutzbund sagt, dass
andere Wege zielführender wären gegen sexualisierte Gewalt an Kindern als
die Chatkontrolle.
Zum Beispiel: Prävention, Aufklärung, niedrigschwellige Meldewege für
Betroffene. Gefundenes Material bei Filehostern, über die sich große
Datenmengen hoch- und herunterladen lassen, sofort löschen zu können. Die
Präsenz von Polizeistreifen im digitalen Raum.
All diese Maßnahmen hätten einen wunderbaren Nebeneffekt: Sie würden nicht
annähernd auf derart zerstörerische Weise in Grundrechte eingreifen, wie es
die Chatkontrolle wird tun können. Daher: Diesen Überwachungseintopf gilt
es endgültig wegzuschütten. Genießbar war der doch von Anfang an nicht
wirklich.
11 Oct 2025
## LINKS
[1] /EU-Plan-zu-Chatkontrolle/!6115410
[2] /Digitalisierung-der-deutschen-Verwaltung/!5958504
[3] /Sexueller-Kindesmissbrauch/!6114586
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
Messenger
Europäische Union
Datenschutz
Reden wir darüber
Social-Auswahl
Datenschutz
Kolumne Ernsthaft?
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Kolumne Die Woche
wochentaz
Messenger
Alexander Dobrindt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Chatkontrolle-Vorschlag: Freiwillige Kontrolle?
Messenger sollen Bürger:innen der EU überwachen. Dafür schlägt Dänemark,
das die Ratspräsidentschaft innehat, nun Veränderungen vor.
Kampf um neue Ressource: Bewirtschaftet eure Aufmerksamkeit doch lieber selbst
Wie bricht man das Monopol der Trump-Broligarchen auf? Die Antworten sind
komplex, aber müssen dringend schnell gefunden werden.
MIT-Professorin Yael Tauman Kalai: „In fünf Jahren werden verschlüsselte Na…
Yael Tauman Kalai hat Grundlagen von Verschlüsselungsmethoden
mitentwickelt. Sie zeigt, wie wir trotz KI und Quantencomputern mündig
bleiben können.
Frieden, Grauen, Würste, Sicherheit: Das Maul nicht voll bekommen
Die Woche mit dem Bürgergeld in neuem alten Gewand, EU-Spionagegelüsten,
Trump als Friedensstifter, die „Vurst“ als Sprachsymbol und sicherem
chatten.
Signal-Chefin Meredith Whittaker: „Privatheit würde es nicht mehr geben“
Bedeutet Chatkontrolle das Ende der Privatsphäre? Meredith Whittaker,
Präsidentin der Signal-Stiftung, über die Gefahren und individuelle
Verantwortung.
Wegen Diskussion in der Bundesregierung: Abstimmung der EU-Staaten über Chatko…
Über die umstrittene Überwachung von Chats stimmen die EU-Staaten nun doch
noch nicht kommende Woche ab. Die Bundesregierung hofft auf eine baldige
Einigung.
Gesetz zu Chatkontrolle: Wenn der Staat deine Nacktbilder sieht
Die EU-Mitgliedsstaaten entscheiden kommende Woche über die Chatkontrolle.
Deutschlands Stimme könnte entscheidend sein. Und der Widerstand wächst.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.